Die Zukunft heißt E-Business

Oracle beendet die Phase der Datenbank-Monokultur

14.07.2000
MADRID (ls) - Die Jahreskonferenz 2000 der European Oracle User Group (EOUG) nutzte Oracle als Plattform, um eine Verschiebung in der Strategie zu erläutern. Der Datenbanker baut eine zweite Produkt-Hauptlinie auf, die zur Grundlage künftiger Internet-basierter Dienste werden soll.

Im Frühjahr dieses Jahres hat Oracle eine Serie von Produkten herausgebracht, die nicht einfach in das Bild von einem Datenbank-Marktführer passen, der im Markt für betriebswirtschaftliche Standardsoftware Fuß fassen will (siehe CW 22/00, Seite 9). Die Beiträge führender Oracle-Manager auf der Madrider Tagung der EOUG Ende Juni 2000 haben für mehr Klarheit gesorgt.

Dass alle Neuprodukte seit Beginn dieses Jahres Internet-Techniken nutzen und dort übliche Schnittstellen unterstützen, ist nicht Ergebnis des Bemühens, "buzz-word compliant" zu sein. Mit der Ankündigung des "Internet Application Server 8i" (IAS 8i) eine Woche nach der EOUG-Tagung stellt Oracle die zweite Hauptproduktlinie, betriebswirtschaftliche Standardsoftware, in einen neuen Rahmen.

E-Business war in Madrid das meistverwendete Wort der Oracle-Repräsentanten. "Nur" zwölf Prozent Umsatzzuwachs im angestammten Datenbankgeschäft kümmerte angesichts der E-Commerce-Euphorie niemanden. Dabei spielt die Datenbank auch in der Internet-Orientierung von Oracle eine zentrale Rolle. Denn sie ist das Fundament des Firmengeschäfts, sie finanziert die strategische Neuausrichtung und alle mit ihr notwendigen Arbeiten - konkret zum Beispiel die IAS-Entwicklung, an der im letzten Jahr rund 2000 Programmierer arbeiteten. Die Datenbank soll in absehbarer Zeit ihre beherrschende Rolle im Oracle-Portfolio verlieren. Damit wäre das Risiko einer Monokultur erheblich reduziert.

Oracle muss dafür tiefgreifende Veränderungen durchstehen. Predigte Firmengründer Larry Ellison einst Unix und Client-Server-Computing, heißt heute die Botschaft: "consolidate, concentrate, centralize". Der Datenbank-Marktführer will mit dieser Strategie zugleich seine Zielgruppe von Großunternehmen auf mittelständische und kleine Betriebe ausdehnen.

Das soll so funktionieren: Oracle propagiert, künftig würden alle Geschäfte über das Internet laufen. "E-Business or out-off-Business" hieß ein Hauptslogan in Madrid. Gerade mittleren und kleinen Anwendern - beliebtestes Beispiel sind auffälligerweise Arztpraxen - wird das Softwarehaus künftig nicht als Direktanbieter entgegentreten. Den Kontakt stellen Partner und neue Hosting-Serviceanbieter her.

Die Gruppe der mittleren und kleinen Unternehmen soll künftig nicht mehr eine eigene DV-Landschaft pflegen, sondern IT per Internet beziehen. Softwarepartner von Oracle werden ihnen Lösungen anbieten, die nicht vor Ort installiert sind. Die wiederum nutzen für ihre Applikationen am Backend die - natürlich von Oracle stammende - Datenbank eines Hosting-Services, der zugleich für die Aufrechterhaltung des Netzbetriebs sorgt.

"Dadurch werden wir an die kleinen Anwenderunternehmen heran kommen", meint Timothy Payne, Verantwortlicher für Server-Marketing im Oracle-Bereich Europa, Naher Osten und Afrika. "Die werden in Zukunft keinen NT-Server mit Datenbank und Applikationen mehr installieren, administrieren und pflegen sollen. Sie werden auf eine Website gehen und dort ihre Buchhaltung erledigen."

Die Anwender sollten sich nicht mehr mit Updates und Entwicklungsarbeiten herumschlagen, denn das sei pure Vergeudung von knappen finanziellen und personellen Ressourcen. "Sie sind nicht mehr in der Lage, den bisherigen Aufwand mit IT-Systemen zu betreiben" erläutert Payne. "Es ist nicht ökonomisch, es gibt nicht genug IT-Experten."

Oracle predigte in Madrid das Application-Service-Providing- (ASP-)Modell, obwohl Ellison davon noch vor nicht allzu langer Zeit nichts wissen wollte. "Nur über meine Leiche", antwortete er auf die Frage, ob Oracle Datenbank und Softwareprodukte an ASP-Partner abgeben würde. Offenbar hat man beim Softwareriesen nun erkannt, dass das ASP-Modell eine deutliche Ausdehnung des Marktes ermöglicht.

Eine Etage über diesen neuen Anwendern setzt Oracle sein klassisches Datenbankgeschäft mit großen Unternehmen fort. Sie haben laut Oracle ähnliche Interessen wie ASPs: eigene Hardware, Netze, mächtigen Datenbanken, Middleware und Anwendungen.

Hier hat der Internet Application Server 8i seinen Platz. Oracle-Manager Payne positioniert ihn als "Middle-tier"-Produkt. "Die Datenbank ist die beste Lösung, um Daten zu managen, IAS ist die einfachste Weise, Applikationen zu verbinden." Das neue Produkt werde, so Payne, "entscheidend unser Geschäft verändern. Wir glauben, es wird so wichtig wie die Datenbank."

An Großunternehmen mit weltweiten Niederlassungen richtet das Oracle-Management den Appell, ihre IT-Landschaft zu zentralisieren. Es sei einfach unwirtschaftlich, bei jeder Niederlassung Rechenzentrum, Datenbank, Applikationsentwicklung und -pflege sowie Sicherheitsaufwand zu betreiben. Das Internet und seine Techniken seien Transportvehikel für Daten in einem zentralisierten Konzept. In wenigen Jahren werden Breitband-Übertragungstechnik in internationalen Netzen für die notwendigen Durchsatzraten sorgen. Manchen Client-Server-geschädigten IT-Bossen wird die Botschaft gefallen.

Oracle präsentiert die Chancen einer solchen Ausrichtung gern am eigenen Beispiel. Eine Milliarde Dollar hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge im letzten Jahr durch Zentralisierung gespart. Statt 97 Servern betreibt man nun zwei, statt 120 Datenbanken nur noch vier. In diesem Jahr soll noch einmal dieselbe Summe gespart werden, weil jetzt Rationalisierungseffekte in Einkauf, Verkauf und Büroorganisation greifen können. Geringerer Personalbedarf im Support soll die Zahl der dortigen Mitarbeiter von 1500 auf 800 schmelzen lassen. Die Vertriebsmannschaft kann sich mehr auf neue Kunden konzentrieren, denn die Stammkunden bedienen sich selbst per Internet.

Der Selbstbedienungsladen heißt im Fall des Datenbankanbieters Oracle Technology Network, OTN, aus dem sich Oracle-Anwender neue Produkte und Updates selbst herunterladen können. Laut Claus-Peter Unterberger, Marketing-Direktor der deutschen Oracle-Tochter, gab es beim OTN-Relaunch vor eineinhalb Jahren rund 10 000 OTN-Mitglieder. Heute seien es 800 000 und täglich würden es 2000 mehr. Solche Zahlen zeigen allerdings auch, dass Oracle mit der Internet- und E-Business-Orientierung weit voraus ist: Die Anwender holen sich die OTN-Services für die eigene DV. Es könnte einige Zeit vergehen, bis nur noch multinationale Konzerne, Softwarepartner und Hosting-Services das OTN brauchen. Oracle muss nicht nur Anwender überzeugen, sondern auch ein komplett neues Netz von Geschäftsbeziehungen aufbauen.

In den USA hat das Unternehmen sieben Verträge mit künftigen Hosting-Partnern abgeschlossen. In Europa beginnen gerade erst Verhandlungen, man redet mit rund zehn Unternehmen, ohne Namen zu nennen. Auf Seite der Softwarepartner sind allein in Europa 7000 Firmen für das neue Modell zu überzeugen. Immerhin haben sich in den USA bereits über 100 unabhängige Softwarehäuser für das Hosting-Modell registrieren lassen.

Kernprodukt Nummer Zwei: IAS 8iAm 30. Juni 2000 hat Oracle seine künftige Produktstrategie auf drei Säulen gestellt, die zusammen "Oracle Internet Platform" heißen: die Datenbank 8i, der neue "Internet Application Server" (IAS) 8i und die unter dem Titel "Oracle Internet Developer Suite" zusammengefassten Entwicklungswerkzeuge.

Das neue Kernprodukt IAS 8i ist eine auf die Datenbank aufsetzende Middleware, welche die Applikationen verbindet. Wer künftig gemeinsame Nutzung von Daten für verschiedene Anwendungen möchte, sollte das nicht über die Datenbank organisieren, sondern über IAS, denn dieser Server ist die erste Transaktions- und Kommunikationsinstanz.

Oracle folgt den gängigen Standards aus dem Internet. IAS basiert auf dem "Apache"-Web-Server, XML-Unterstützung ist selbstverständlich. Der Bestandteil "Component Services" benutzt Java und vereinfacht die Applikationsentwicklung mit entsprechenden Softwarekomponenten. "Integration Services" ermöglichen die Einbindung von Websites und Services aus unterschiedlichen, auch älteren Systemen. Über "Forms Services" lassen sich ältere datenbankbasierte Anwendungen mit neueren IAS-gestützten so verbinden, dass die Netzbelastung nicht ins Unermessliche steigt.

IAS organisiert einen definierbaren größeren Daten-Cache für häufig benötigte Informationen aus der Datenbank. Entgegen früheren Gerüchten hat Oracle nicht die Datenbank mit Business-Intelligence ausgestattet, sondern IAS. Zumindest einfache Grundlagen für Data-Mining durch Querying- und Reporting-Dienste sind im neuen Application-Server schon integriert. Das IAS-Services-Set umfasst auch "Oracle Portal", eine Software, um in einem Web-Browser Informationen zu sammeln, zu managen und bereitzustellen.