Open Source stärkt die lokale Wirtschaft

09.02.2007
Quelloffene Software hat eine weit größere gesamtökonomische Bedeutung als gemeinhin bekannt. Ihre Förderung würde vor allem den regionalen DV-Anbietern helfen.
Wenn die stets klammen öffentlichen Verwaltungen bei Open-Source-Projekten Dienstleister in Anspruch nehmen, dann sind es vorzugsweise kleine regionale Unternehmen.
Wenn die stets klammen öffentlichen Verwaltungen bei Open-Source-Projekten Dienstleister in Anspruch nehmen, dann sind es vorzugsweise kleine regionale Unternehmen.

Europa hat eine hervorragende Ausgangsbasis, um mittels Förderung von Open Source die eigene IT-Industrie zu stärken. Das ist die Kernaussage einer Studie, die das Generaldirektorat für Unternehmen und Industrie der Europäischen Union finanziert hat. Erarbeitet hat sie ein Team verschiedener europäischer Forschungsinstitute unter Leitung der UN-Universität Maastricht. Ihr langatmiger Titel: "Study on the Economic Impact of Open Source Software on Innovation and the Competitiveness of the Information and Communication Technologies (ICT) Sector in the EU".

Hier lesen Sie ...

• welche wirtschaftliche Bedeutung Open Source in Europa hat;

• welche gesamtökonomischen Effekte seine Förderung hätte;

• wie die Open-Source-Orientierung der öffentlichen Verwaltung auf die deutsche IT-Industrie wirkt.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de

582563: Open-Source- Informationsdrehscheibe für öffentliche Verwaltungen;

578232: Anforderungen an Open-Source-Dienstleister im Wandel;

577399: Zunehmende Nachfrage nach Open-Source-Services;

sowie

Studie der UNU Maastricht: http://ec.europa.eu/enterprise/ ict/policy/doc/2006-11-20-flossimpact.pdf;

Studie Fraunhofer-IAO:

http://www.iao.fraunhofer.de/ d/oss_studie.pdf.

Milliarden Euro gespart

Die Forscher beschreiben darin zunächst die ökonomische Rolle von Open-Source-Software. Diese wird auf EU-Ebene grundsätzlich mit dem hierzulande weniger gebräuchlichen Begriff "Free/Libre Open Source Software" (Floss) bezeichnet. Laut Studie würde es zwölf Milliarden Euro und 131000 Personenjahre erfordern, gängige Business-relevante Floss-Programme neu zu entwickeln. Zwei Drittel des Codes haben individuelle Programmierer geschrieben. Open-Source-Anwendungen haben der Industrie mehr als 36 Prozent Investitionen für die Softwareentwicklung eingespart.

Insgesamt sind europaweit 22 Milliarden Euro in quelloffene Programme investiert worden. In den USA sind es deutlich mehr, nämlich 36 Milliarden Euro. Auf der personellen Seite aber hat Europa erheblichen Vorsprung. Laut Studie leben 63 Prozent der Floss-Entwickler auf dem alten Kontinent, während 20 Prozent aus den USA und Kanada kommen. Und auch in den Open-Source-Projekten sind europäische Entwickler deutlich engagierter.

Die Maastrichter Studie bezeichnet das als den strategischen Vorteil, den Europa aus Open Source ziehen könnte. Sie kommt zu folgendem Schluss: "Europa hat wegen beschränkten Risikokapitals und geringerer Risikobereitschaft im Vergleich zu den USA eine historisch geringere Fähigkeit, neue Softwareunternehmen aufzubauen. Vor diesem Hintergrund schafft der hohe Anteil europäischer Entwickler von Floss eine einzigartige Chance."

Wirtschaftliche Modellrechnungen, so die Autoren der Maastrichter Studie, hätten ergeben: Eine Steigerung des Open-Source-Anteils an den Softwareinvestitionen von jetzt 20 auf 40 Prozent würde zu 0,1 Prozent mehr Wachstum des jährlichen Bruttosozialprodukts in der gesamten EU führen. Das wären pro Jahr zehn Milliarden Euro, die in die Kassen europäischer Open-Source-Firmen fließen und Arbeitsplätze schaffen würden.

Mit den ökonomischen Effekten von Open Source in der öffentlichen Verwaltung auf regionaler Ebene hat sich eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) beschäftigt. In Auftrag gegeben haben sie die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) sowie IBM und Novell. Das IAO hat dazu 209 öffentliche Verwaltungen und IT-Unternehmen nach ihren Einschätzungen zu quelloffener Software befragt.

Fast die Hälfte (47 Prozent) der 115 befragten öffentlichen Einrichtungen hat durch quelloffene Software die Lizenzkosten um mehr als 50 Prozent reduziert. Weitere 20 Prozent sprechen von Kostensenkungen bis zu 25 Prozent. Die Betriebs- und Personalkosten waren keineswegs, wie oft befürchtet, höher, sondern etwa gleich.

Nicht nur der finanzielle Vorteil hat Wirkung: Für 59 Prozent der Befragten ist die Umstellung auf Open-Source-Anwendungen Teil ihrer IT-Gesamtstrategie. Dabei spielen weitere Argumente eine wichtige Rolle: Größere Herstellerunabhängigkeit nennen 50 Prozent, besseren Zugang zu offenen Standards 43 Prozent und eine flexiblere IT 41 Prozent als wichtige erreichte Ziele.

Offene Quellen zur Selbsthilfe

Die öffentlichen Einrichtungen erwarten allgemein steigende Dienstleistungskosten. Jede zweite geht von bis zu 25 Prozent mehr aus, jede fünfte hält sogar bis zu plus 50 Prozent für möglich. Das kollidiert mit der Kassenlage, und offenbar verringert Open Source den Bedarf an Dienstleistungen: Nur jede vierte Behörde hat sich bei Open-Source-Projekten externe Unterstützung geholt.

Wenn es aber notwendig war, dann kamen in mehr als vier von fünf Fällen kleine regionale oder nationale Unternehmen zum Zuge. Große nationale Unternehmen wurden nur von einem Viertel beauftragt, internationale IT-Firmen und freie Berater noch seltener. Die meiste Unterstützung wurde in der Projektdurchführung gebraucht (73 Prozent), gefolgt vom Support der eingeführten Anwendung, der Hilfe bei Rollout beziehungsweise Einführung sowie während der Konzeption.

Supportpartner gesucht

Die Studie betont in diesem Zusammenhang ein Detail: "Beim Betrieb der Open-Source-Lösungen haben die wenigsten öffentlichen Einrichtungen auf externe Unterstützung zurückgegriffen, hätten sie aber dort als besonders sinnvoll angesehen. Dies erklärt sich sicher damit, dass Open-Source-Communities und Foren die einzigen Quellen sind, auf die man bei auftretenden Problemen zurückgreifen kann. Durch den Zukauf professioneller, externer Unterstützung mit eventuellen garantierten Service-Levels lassen sich Betriebsrisiken in diesem Bereich verringern."

Auch auf Seiten der IT-Anbieter ist die größere Open-Source-Nachfrage der öffentlichen Hand inzwischen ein wichtiger Faktor. Laut IAO-Studie trägt quelloffene Software bei 55 Prozent der befragten Unternehmen zu mehr als 25 Prozent zum Umsatz bei, erstaunliche 18 Prozent sprechen sogar von "nahezu 100 Prozent". Insgesamt bezeichnet sich mehr als jedes dritte Unternehmen als "nicht lebensfähig ohne Open-Source-Angebot". Bei starker Konkurrenz ist der Preis das wichtigste Argument im Wettbewerb.

In der IAO-Studie fällt unter anderem auf, dass die Anwender aus der öffentlichen Verwaltung die Qualität der externen Leistungen in Open-Source-Projekten zu mehr als drei Vierteln als "gut bis sehr gut" beurteilten. Besonders hoch war die Zufriedenheit bei Konzeption und Projektbegleitung. Hans-Ulrich Schmid von der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart bringt das auf die Formel: "Open Source bedeutet Softwareversorgung à la carte statt Stammessen."

Die IAO-Studie habe belegt, so Schmid, dass sich die IT-Anwender weniger auf große Firmen und verstärkt auf kleinere lokale Dienstleister verlassen. "Die sind einfach näher am Kunden", erklärt Schmid, der in der Verschiebung einen "tief greifenden Strukturwandel im IT-Markt" erkennt. Quelloffene Software habe diesen Trend noch verstärkt und werde mit ihm an Bedeutung weiter zunehmen: "Open Source ist kein Strohfeuer."

Schmid fordert eine stärkere Nutzung von quelloffener Software durch die öffentliche Hand. Die habe in zahlreichen Fällen für Schlagzeilen gesorgt, die Open Source zu größerer Bedeutung verholfen haben. Aber es sei mehr möglich und notwendig: "Wir brauchen über die Open-Source-Pioniere hinaus mehr Bewegung auf der Anwenderseite."

Gefördertes sollte öffentlich sein

Auch könnten sich übergeordnete politische Institutionen engagierter zeigen, als zu Linux-Events Grußworte zu schreiben. Schmid bemängelt: "Ein Hemmnis ist die Verwendung proprietärer Dateiformate durch die öffentliche Hand. Das ist durch nichts zu rechtfertigen."

Der Wirtschaftsförderer wünscht sich eine Umverteilung der vorhandenen deutschen und EU-Fördermittel. "Man sollte diese Fördermittel auf Open-Source-Projekte umschichten." Die, und nicht die proprietäre Softwareentwicklung, hätten die Gelder verdient, so Schmid: "Wenn Code schon öffentlich gefördert wird, dann sollte er auch öffentlich zugänglich sein."