IT im Tourismus/Branchenübergreifende Netzwerke im Tourismusmarkt

Online buchen: Die virtuelle Reise führt auf die reale Trauminsel

05.03.1999
Allein die Amerikaner buchten 1998 Reisen für eine Milliarde Dollar im Internet. Reisebüros müssen sich mit Konkurrenten auseinandersetzen, die bis vor kurzem mit dem Tourismusmarkt noch nichts zu tun hatten. Gerda von Radetzky sah sich im World Wide Web um.

Die Reisebranche boomt wieder, das Jammertal scheint durchschritten. 82 Milliarden Mark steckten die Deutschen 1998 in Hotels und Mietwagen, Flugzeuge und Restaurants. Gegenüber 1997 ist dies eine Steigerung um 2,4 Prozent. Die Dresdner Bank prognostiziert für 1999 Ausgaben für Reisen in Höhe von 85 Milliarden Mark.

Um diesen Kuchen rangeln Pauschalanbieter und Exklusiv-Airlines, Autoverleiher und Hotels - quer durch alle Regionen, vom Allgäu bis Zypern. Im innerdeutschen Verkehr hat die Deutsche Bahn längst den Fluggesellschaften Kunden abspenstig gemacht. Wäre sie im realen Schienenverkehr so gut wie im virtuellen (www.bahn.de), flöge vermutlich niemand mehr die Strecke zwischen Frankfurt und München.

Am Beispiel der Deutschen Lufthansa (www.lufthansa.de) wird deutlich, wie sich das Angebot eines Unternehmens aufgrund einer neuen Vertriebsalternative ändern kann. Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, daß sich der Kranich herablassen würde, um Restplätze via Versteigerung an den Mann/die Frau zu bringen? Aber der Surfer ließ sich sofort auf das schöne Spiel ein.

Ein Phänomen des Internet bestätigt sich hier: Eine gute Idee spricht, respektive schreibt sich per E-Mail in Bruchteilen von Sekunden tausendfach herum, ohne daß der Anbieter für die Bekanntmachung des Produkts auch nur einen einzigen Euro hinblättern muß.

In der Elektronik fliegt die Lufthansa (LH) auch in anderer Hinsicht nach vorn: 15 Mark weniger bezahlt seit dem 1. Februar derjenige für einen innerdeutschen Flug, der bis an den Touchscreen im Flughafen ohne Papier kommt. Dort steckt er nur noch seine LH-Kundenkarte hinein, und auf dem Bildschirm erscheinen sämtliche Buchungsdaten. Der Reisende braucht sich nicht einmal mehr den Code zu merken, den er bei der Online- oder der telefonischen Buchung erhalten hat. An dieser Stelle kann er auch umbuchen, sofern dies nach dem Tarif des Tickets zulässig ist.

Offenbar will die LH die 60 Kunden, die noch nicht elektronisch buchen - und das sind immerhin 60 Prozent - über den Preis gewinnen. United Airlines bietet das ticketlose Fliegen bereits für sämtliche Strecken ab Europa an. Weltweit passieren bereits 44 Prozent der Kunden ohne Papier den Schalter.

Ganz ohne Hardware läuft es noch nicht, denn der Check-in-Automat spuckt ein Stück Papier aus. Ab April will die LH den nächsten Schritt mit bis zu 25 Großkunden testen: Erst beim Check-in, also erst in dem Augenblick, in dem feststeht, daß der Kunde tatsächlich fliegt, muß er zahlen - per Lufthansa-Karte. Und auch die Anwesenheit der Dame am Ausgang ist nur mehr eine Frage der Zeit. Schon übernehmen in Frankfurt und München die ersten Drehkreuze mit Schlitz für die Bordkarte deren Arbeit.

Privat ohne Zugangsbeschränkung

Nach einer Untersuchung der OAG Worldwide sind heute bereits neun von zehn Vielfliegern zwingend an die Vorgaben ihres Unternehmens gebunden. Allerdings kann sich ein Reisebüro mit dem Unternehmen vernetzen und selbst online den jeweils günstigsten Tarif suchen. Und der Onliner könnte seine privaten Reisen eben auch über dieses Büro abwickeln, mit seiner privaten Karte, ohne Zugangsbeschränkung, nur mit Internet-Anschluß. In den Chip können die unterschiedlichsten Funktionen eingebaut werden, wie beispielsweise Identifizierung, Flugklasse oder Hotelkategorie.

Neuester Schachzug der Airplus: Sie will noch in diesem Jahr Firmen Extranets für E-Commerce anbieten. Authentifizierung und Identifikation laufen dann über die Plastikkarte. Die Lesegeräte liefert Airplus mit.

Ein weiterer Fremder trat über die Plastikkarten die Reise an: Die Bayerische Landesbank erweiterte Ende Januar die LH-Karten um Kreditkartenfunktionen - ab 125 Mark ist man dabei. Jeder Euro, mit der Karte umgesetzt, stockt das Meilenkonto der LH um eine weitere Meile. Das Konto wiederum läßt sich jederzeit online abfragen.

Die Zeiten, in denen ein Manager seine Sekretärin beauftragte, die Geschäftsreise auf den Freitag zu legen, sind vorbei. Reise- Management-Systeme finden Eingang in die Buchhaltung. Der Siemens- Konzern arbeitet mit einer selbstentwickelten Komplettlösung zur Online-Buchung (www. siemens.com/public/transp). Mit "Scenic Interactive Travel" kann der Mitarbeiter von seinem PC aus Flüge, Hotels und Mietwagen buchen. Er begleicht die Reise mit einer von der IBM in Zusammenarbeit mit American Express entwickelten Firmenkreditkarte. Das System beinhaltet die gesamte Abwicklung, von der Planung bis zum Controlling. Auch in diesem Geschäft ist die LH über Airplus sehr aktiv. Einer ihrer größten Kunden ist der Chemiekonzern Bayer.

Unternehmensinterne Systeme dürften einer der Gründe dafür sein, warum Online-Reisebüros fast ausschließlich auf den Privatkunden abzielen. Er wird nicht mit Argumenten, sondern mit emotional anregenden Bildern umworben - Erlebnis, Event lautet die Werbebotschaft. Amerikanische Supereinkaufsstätten locken bereits mit Pauschalarrangements. Um so erstaunlicher ist es, daß kaum ein deutsches Reisebüro, kaum eine Kette oder gar ein Veranstalter auf die Idee kommt, seinen Internet-Auftritt als Portal zu nutzen, als Tor zum Produkt Reise.

Neben die Bücher könnten die aktuellen Nachrichten der Zeitschrift FVW treten, die Tips zur Gesundheit vom Düsseldorfer Reisemedizinzentrum. Aufgemacht als Newsletter oder Abo, würde dieser den User bewegen, sich länger aufzuhalten und wiederzukommen. Auch mangelt es noch an der Nutzung der Web- Techniken, von Pop-up über Flash zu Sound.

Reisebuchungen sind heute ohne CRS (Computer Reservation System) nicht mehr denkbar. Marktführer in Deutschland ist die Start Holding, zu zwei Dritteln im Besitz der LH, ein Drittel hält die Deutsche Bahn. Kunden sind rund 15 000 Reisebüros. Start selbst bietet im Internet (www. start.de) eine ausführliche Homepage und Links zu Online-Reisebüros. Konkurrent Sabre bedient, im Gegensatz zu Start, auch den Endverbraucher. Auf Sabre greift auch TISS zu, mit mehr als 40 Millionen Flugtarifen.

Daß im E-Business andere Regeln herrschen als im konventionellen Geschäft, hat Start offenbar noch nicht verinnerlicht. Das Online- Reisebüro mit einem Start-PC muß 90 Mark pro Monat an Neckermann bezahlen, wenn es dessen Link auf seine Homepage nimmt. Verkehrte Welt - aber schließlich will auch Neckermann Umsatz machen, nicht nur über My-World, den Online-Shop der Neckermann-Mutter Karstadt.

Außerdem lassen die immer geringer werdenden Provisionen den Reisebüros nicht allzuviel finanziellen Spielraum. Bei Ires sind sie mit 99 Mark im Monat dabei und haben Zugriff auf dessen Buchungsmöglichkeiten. Ifao will sich mit eigener Software in den Unternehmensreisemarkt und im Frühjahr an den Frankfurter Neuen Markt begeben, um Kapital für die Ausweitung ins Ausland zu beschaffen. Galileo, der Konkurrent von Start, hat sich an Uniglobe Travel Online beteiligt, einem der Führer für elektronische Buchungssysteme. Auch die Northeimer Mondia will am Online-Boom über Reisebüros und Endkunden profitieren.

Das günstigste Angebot für Reisebüros hat seit kurzem die Buchungsmaschine (www.buchungsmaschine.de). Hier zahlen sie nichts, wenn es zu keiner Buchung kommt, auch keinen Pfennig für die Anbindung, nur die eigenen Online-Telefonkosten. Erst bei einer Buchung sind zehn Mark fällig. Finanziert werden soll das Angebot über Werbeanzeigen anderer Branchen, beispielsweise Versicherungen. Web-Erfahrung wurde bereits gesammelt: Buchungsmaschine betreibt die über Focus (www.focus.de) erreichbaren Last-Minute-Flüge.

Die wohl spannendste Frage blieb bei Redaktionsschluß noch unbeantwortet: Wer macht das Rennen mit Microsoft? Die Amerikaner wollten Expedia (www. expedia.com), das 1998 Tickets für 250 Millionen US-Dollar umsetzte, bereits Ende des vergangenen Jahres auf den deutschen Markt bringen. Unter anderem wurde lange mit Gruner + Jahr verhandelt. Doch der Abschluß steht noch in den Sternen. Zurückholen auf die Erde will ihn ein Wettbewerber, der nicht genannt werden möchte. Er ist bereits im Online-Geschäft tätig und bietet Reisebüros ein attraktives Konzept für den elektronischen Umsatz. Geplant ist, sämtliche Pauschalangebote der rund 600 deutschen Veranstalter per Knopfdruck vergleichbar zu machen. Hier endlich soll das kommen, was man von keinem Reisebüromitarbeiter für sämtliche Angebote verlangen kann: Ein Gegenüberstellen gleicher Produkte unterschiedlicher Veranstalter. Spätestens dieser Service dürfte, sofern er mit einem nutzer- freundlichen Buchungssystem verbunden ist, demjenigen Reisebüro den Durchbruch beim E-Business bringen, das die Gunst der Stunde zu nutzen weiß.

Expedia ist nicht der größte US-Reise-Onliner. Travelocity setzte online 285 Millionen Dollar um. Auf Expedia folgen Preview Travel mit 225 Millionen und ITN mit einem vergleichbaren Umsatz. Allerdings entfielen dabei rund 80 Prozent auf Flugtickets. Dies ergibt eine Summe von nahezu einer Milliarde Dollar.

Auch wenn insgesamt der Online-Reise-Umsatz stieg - genaue Zahlen liegen nicht vor -, so dürfte nicht zuletzt die derzeitige Diskussion um das Aus für den Vorsteuerabzug bei Reisekostenpauschalen dämpfend auf geschäftliche Pläne wirken. Videokonferenzen als Reise-Ersatz haben Zukunft, zumal die kleinen Kameras für weniger als 100 Mark zu haben sind. Als Trost bleibt dem Träumer dann der Klick auf eine der weltweit sich enorm schnell vermehrenden Webcams, um London im Nebel oder Sylt in der Sonne zu sehen. Oder er wählt das australische Queensland als Bildschirmschoner. Oder er klickt das Malliouhana-Hotel auf Anguilla an und wandert als Avatar so lange durch sein zukünftiges Zimmer, bis er doch auf den Buchungsbutton drückt. Oder er spielt mit in Orlando beim Online-Look-Alike-Wettbewerb zu Hemingways 100stem Geburtstag.

Die Touristikmanager von Mittelflorida (www.go2orlando.com) haben das Reisebüro als Zubringer erkannt und ihnen eine eigene Website erstellt. Im Allgäu griffen das einige Bäuerinnen auf und bieten neben Betten auch frischen Käse über das Web an. Die Postkarte schließlich mailt der Daheimgebliebene von den Cayman Islands (www.caymanislands.ky). Und wenn ihn dann doch die Sehnsucht übermannt, sucht er sich einen neuen Job in den Florida Keys (www.fla.keys.com) unter "Help Wanted". Dort wird ihm nicht nur das Hotel, sondern auch gleich ein Haus zum Kauf geboten.

Sollte es einem Reisebüro, einem Veranstalter oder einem Newcomer an Ideen mangeln, wie er aus Kunden Stammkunden macht, so braucht er Zeit: Rund 15 000 Links führen zu Zielen und Zahlen.

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Das Internet wird zum ernstzunehmenden Konkurrenten für das Reisebüro ohne Anschluß. Um den Umsatz mit dem Geschäftsreisenden muß zunehmend stärker gubuhlt werden, und um Lieschen Müller kämpft inzwischen sogar der Kranich im direkten Online-Flug. Auch Microsoft will endlich des Deutschen Reise-Euro. Der Markt ist völlig im Umbruch. Auf der Strecke werden diejenigen bleiben, die sich den neuen Techniken verschließen, seien es Veranstalter oder Reisebüros. Denn mit dem Internet werden die Offerten vergleichbar, und als Anbieter wird jeder ernstgenommen, der seine Idee online gut verkauft.

Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.