Olympischer Ehrgeiz

05.02.1982

Die IBM trifft Anstalten, Nachfolger für die 43XX zu suchen. In Böblingen sollen vier "Olympia"-Modelle auf dem Prüfbock stehen (siehe Seite 1: "Neue NAS-Serie als IBM-'Olympia'-Vorläufer").

Die 4300er Systeme wurden im Februar 1979 auf den Markt gebracht. In den drei Jahren seither sprachen Marktbeobachter ganz offen darüber, daß sich IBM mit dem Pricing gründlich vergaloppiert habe. Die Billigmacher schockten zwar die Konkurrenz und erfreuten kostenbewußte IBM-Anwender - für die Gewinnplaner des Marktführers erwiesen sie sich jedoch bald als "heiße Kartoffeln". Die hausgemachte Preisdegression sollte nämlich durch eine Mengendegression aufgefangen werden.

Diese Rechnung ging anfangs auch auf. Benutzer kleinerer und mittlerer 370-Systeme orderten, was das Zeug hielt. Bald waren astronomische Auftragszahlen im Umlauf. Doch IBM konnte zunächst nur schleppend liefern. So entstand eine Cash-lücke. Daß So ganz im Vorbeigehen einem Computerleaser wie Itel die Luft abgedreht wurde, darum scherte sich niemand. Schon mehr Aufruhr gab's bei den Mainframe-Mitbewerbern, die ihre Preise dem 4300-Niveau anpassen mußten. Für Siemens erwies sich dies schnell als Bumerang - der Markt honorierte den "Preistanz" nicht. Doch auch "Big Blue" wurde, wie gesagt, mit der Preisdegression nicht recht glücklich. Heute zeichnet sich ab, daß das Geschäft mit den großen Stückzahlen zu Ende geht. Und dies bereits nach drei Jahren. Die Produkt-Lebenszyklen werden eben kürzer - so ist das Leben.

Es kann daher durchaus sein, daß Pläne in den Schubladen der IBM schmoren, in der 43XX-Klasse dem Vertrieb neue Maschinen mit einem (für IBM) ausgewogeneren Preis-/Leistungsverhältnis an die Hand zu geben - Produkte, auf die der VB sehnsüchtig wartet. Daß die 4300er Reihe kürzlich um ein neues Einstiegsmodell erweitert wurde (CW Nr. 48 vom 27. 11. 1981: "4321: Kleines DOS/VSE für/3-Aufsteiger"), war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allerdings darf man nicht übersehen, daß die meisten 4300-Zentraleinheiten erst kurze Zeit im Feld stehen, IBM somit noch nicht den Return on Investment gebracht haben, den der Marktführer braucht. Deshalb ist nicht anzunehmen, daß der Computerriese "olympischen" Ehrgeiz entwickelt, den Markt durch eine vorschnelle Ankündigung zu verunsichern.

Es sieht vielmehr eher danach aus, daß IBM zunächst das 4300-Spektrum abrundet - nach oben etwa durch eine 4351. Der Dreh bestünde dann darin, daß der Eindruck einer Produktlinie gewahrt bleibt, die noch voll im Saft steht. Die Lückenfüller könnte man aber schon in einer moderneren Bauweise ausführen, die beispielsweise 32-Adressierung ermöglicht - wie die 3081-Prozessoren. Als Betriebssystem käme dann nur MVS in Frage.

Daß mit den "Olympia"-Modellen eine Zweigleisigkeit in das IBM-Angebot für die Mittelklasse hineinkäme, wird allenfalls Architektur-Puristen stören. Insider wissen ohnehin, daß es sich bei 4331 und 4341 um unterschiedliche Prozessoren handelt. Für das laufende Jahrzehnt wäre aber das Hauptproblem der IBM gelöst, die kleineren und mittleren DV-Anwender in die "große" (308X/MVS-)Weit einzuführen- Abschied zu nehmen von der 370-Ära, ohne die Software-Investitionen der Kunden zu entwerten. Dieser Punkt ist wesentlich bedeutsamer als die Frage, wie die nächste IBM-Serie aussieht. Verschwinden wird die 4300 auf jeden Fall. Noch völlig offen ist, ob die Olympia-Modelle kommen. Bekanntlich wissen selbst IBM-Insider bis zum Tage der Ankündigung nicht, ob eine Entwicklung durchgeht oder s "strategischen" Überlegungen gekillt wird.