Denken in strategischen Dimensionen:

Ohne Planung geht es einfach nicht

14.10.1988

Zu den taktischen Aufgaben des Informationsmanagements gehört es, theoretische Unternehmensziele in konkrete Realisierungs-vorhaben umzusetzen. Hinzu kommt ein strategischer Aspekt, nämlich die Konzeption der dazu erforderlichen Infrastruktur. Ein fundierter Informationsplan ist dabei unerläßlich, meint Klaus Röber*.

Information ist Wissen, das aus Daten gewonnen werden kann, indem sie interpretiert, in verschiedenen Weisen miteinander kombiniert, analysiert oder sonstwie in sinnvoller Weise darge-stellt werden. Ziel ist es, Einsichten zu vermitteln, die sich aus den Roh-Daten nicht oder nur schwer gewinnen lassen.

Es geht also darum, Wissen um betriebliche oder externe Zusammenhänge zu gewinnen. Dies ist die Grundlage dafür, fundierte Entscheidungen treffen zu können und somit wichtig für das Führen einer Organisation. Inzwischen hat es sich durchgesetzt, Informa-tionen als Ressource des Unternehmens im Sinne der betriebs-wirtschaftlichen Definition zu betrachten und sie gleichrangig neben die anderen Ressourcen - Arbeit, Kapital, Produktionsmittel etc. - zu stellen.

Ressourcen müssen professionell gemanagt werden, damit das Unternehmen sie optimal nutzen kann. Das Management wichtiger Ressourcen ist deshalb meist in der Geschäftsleitung angesiedelt. So gibt es zum Beispiel normalerweise in großen Industrieunter-nehmen einen Finanzvorstand, einen Produktionsvorstand, einen Arbeitsdirektor und inzwischen - allerdings in Deutschland noch recht selten und stark branchenabhängig - einen Informations-vorstand.

Operationale, taktische und strategische Aspekte

Die Aufgabe dieser Institution ist das Managen der Informati-onen, die für das Unternehmen relevant sind; das heißt, sie hat dafür zu sorgen, daß jeweils die richtige Information zur richtigen Zeit an den richtigen Arbeitsplatz kommt.

Diese Aufgabe hat verschiedene Aspekte, einen operationalen einen taktischen und einen strategischen. Die operationalen Aufgaben bestehen zum Beispiel darin, Daten zu definieren, zu erfassen, zu speichern, zu verarbeiten, und sie dann dem Anwender in transparenter Weise zugänglich zu machen. Die taktischen Aufgaben des Informationsmanagements bestehen in der Umsetzung der strategischen Ziele in konkrete Realisierungsvorhaben sowie in der Planung und Steuerung der Infrastruktur, die zur Durchführung der operationalen Aufgaben des Informationsmanagements bereitgestellt werden muß.

Der strategische Aspekt des Informationsmanagements besteht in der Konzeption dieser Infrastruktur. Die wichtigste Aufgabe des Informationsmanagers besteht also darin, einen strategischen Informationsplan zu entwickeln. Dieser stellt ein Konzept für die Entwicklung der Informationsverarbeitung eines Unternehmens, einer Behörde, einer kommunalen Institution, eines Verbandes oder einer sonstigen Organisation dar.

Obwohl "strategisch" und "langfristig" keineswegs das gleiche bedeutet, ist der Zeithorizont eines strategischen Informations-plans meist auf mindestens fünf Jahre angesetzt. Das liegt daran, daß es meist eine geraume Zeit dauert, bis strategische Entschei-dungen (zum Beispiel der Wechsel des Hardwareherstellers, die Einführung eines relationalen Datenbanksystems, die Einführung eines neuen Vorgehensmodells zur Anwendungsentwicklung, die Entwicklung einer neuen Anwendungssystemlandschaft) in die Realität umgesetzt werden können; denn der Aufwand zu ihrer Realisierung bindet einen signifikanten Teil der Ressourcen des DV-Bereichs.

Ein strategischer Informationsplan besteht aus einer Reihe von sogenannten Architekturen, das heißt geordneten Strukturen, die einen grundlegenden Aspekt der Informationsverarbeitung in seinen inneren Zusammenhängen und in seiner Einpassung in die Umwelt beschreiben (siehe Abbildung). Grundlegend für die gestalterische Aufgabe des strategischen Informationsplaners sind die Unternehmensziele und -prioritäten; denn der Plan erfüllt natürlich keinen Selbstzweck, sondern er dient dazu, die Realisierung dieser Ziele in optimaler Weise zu unterstützen.

Die wichtigste Basis-Architektur ist die Informations-Architektur (Information Architecture). Sie ist ein Modell des Unternehmens beziehungsweise der Organisation, dargestellt durch ein Informationsobjekt-Beziehungsmodell (Entity Type-Relationship- Model), ein Funktionenmodell (Function Decomposition Model) sowie durch ein Modell der Interaktion dieser beiden Strukturen, um damit das betriebliche Geschehen sachgetreu abzubilden.

Aus der Informationsarchitektur läßt sich die Anwendungs-system-Architektur (Business Systems Architecture) entwickeln. Dabei handelt es sich um eine Struktur, in der die zur optimalen Unterstützung der organisatorischen Aufgaben erforderlichen Anwendungssysteme und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten dargestellt sind. Um die Aussagefähigkeit und Übersichtlichkeit der Darstellung zu erhöhen, werden die Systeme klassifiziert nach der Art ihrer Unterstützung von Aktivitäten der Organisation (strategische-, Planungs- und Analyse-, Monitoring- und Control- sowie operationale Systeme).

Die Realisierung verschlingt viele Millionen

Die dritte wichtige Architektur ist die Technische Architektur (Technical Architecture); dies ist eine Struktur, in der die Hardware-, Software- und Kommunikationseinrichtungen dargestellt sind, die die Entwicklung und den Einsatz der Anwen-dungssysteme oder anderer Teile der Informationsverarbeitung in der Organisation unterstützen beziehungsweise unterstützen sollen.

Weiter muß ein strategischer Informationsplan die zur Realisierung erforderliche Aufbauorganisation des Informationsver-arbeitungsbereichs und die benötigten Ressourcen beschreiben (Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten, Finanzmittel etc.). Neben den Strukturaussagen zur Infrastruktur der Informationsverar-beitung muß der Plan eine Kosten-/Nutzenanalyse der vorgeschla-genen Komponenten enthalten; denn andernfalls wird die Geschäfts-leitung kaum ihre Zustimmung erteilen. Und last but not least ist ein Plan für die Einführung der Architekturen im Unternehmen erforderlich.

Der Gedanke, daß sich ein kompliziertes Vorhaben nur dann vernünftig, also effizient und effektiv verwirklichen läßt, wenn die Realisierung vorher sorgfältig geplant wurde, ist nicht neu. Die Realisierung einer Anwendungssystemlandschaft für eine große Organisation stellt ein solches Vorhaben dar. Sie verschlingt oft mehr als 100 Millionen Mark und zieht sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hin. Es liegt also nahe, vor Beginn der eigentlichen Aktivitäten ein Konzept zu erarbeiten, das die Grundzüge der zu realisierenden Struktur beschreibt. Diese Aufgabe löst ein strategischer Informationsplan.

Trotzdem gibt es in überraschend wenigen Organisationen strategische Informationspläne, die ihren Namen verdienen. Statt dessen existiert meist eine in vielen Jahren gewachsene Anwen-dungssystemlandschaft, die aus Hunderten von Programmen und aus Tausenden von Datenbeständen besteht; diese sind nur unvollkommen miteinander integriert. Daten werden redundant gespeichert und sind für gewöhnlich nicht widerspruchsfrei.

Meist werden auch nur die operationalen Aspekte der Leitung der Organisation und kaum die taktischen oder strategischen unterstützt. Trotzdem funktioniert alles irgendwie, wenn auch häufig nur mit erheblichem Aufwand an Zeit und Geld.

Hier schlummern erhebliche Reserven zur Effizienz- und Effektivitätsverbesserung der Geschäftsführung. Sie lassen sich freisetzen, wenn eine Anwendungssystemarchitektur geschaffen wird, also letztlich der "computergestützte Industriebetrieb" aufgebaut wird.

Die Aufgaben der strategischen Informationsplanung, das heißt der Konzeption einer Informationsverarbeitungs-Infrastruktur, werden häufig mit den Aufgaben eines Stadtplaners bei der Aufstellung eines Generalbebauungsplans verglichen. Und in der Tat hat das Ergebnis, die geplante Stadtstruktur, in seinem inneren Wesen viele Ähnlichkeiten mit der Infrastruktur der Informations-verarbeitung einer Organisation. Deshalb kann dieser Vergleich durchaus zur Verdeutlichung der Problematik herangezogen werden.

Allerdings haben die Stadtplaner schon sehr viel früher als die meisten großen Organisationen erkannt, daß man die Entwicklung des komplexen Organismus "Stadt" nicht dem Zufall oder den sich aus der Bewältigung von Tagesproblemen herleitenden Prioritäten überlassen kann.

Als 1842 im großen Hamburger Brand weite Teile der Stadt in Schutt und Asche gelegt wurden, besaß der Senat die Weitsicht, nicht einfach das Vorhandengewesene wieder aufzubauen, sondern einen fähigen externen Berater, den englischen Ingenieur William Lindley, mit der Konzeption eines neuen Stadtzentrums zu beauf-tragen. Bereits wenige Monate nach dem Brand wurde ein General-bebauungsplan verabschiedet, dessen Realisierung 1909 mit dem Bau des Hamburger Rathauses seinen Abschluß fand.

Aus diesem Beispiel läßt sich eine Menge lernen, wenn auch die Organisation, die ihre Informationsverarbeitung neu gestalten will, meist in einer besseren Situation ist als der Stadtplaner. Um ein neues Anwendungssystem zu schreiben und neue Datenbanken einzuführen, muß man die alten nicht gleich wegwerfen, da man durchaus längere Zeit mit einer in Teilen vorhandenen geplanten Redundanz leben kann.

Planung ohne "Kochbuch-Charakter"

Allerdings tut man gut daran, sich der Hilfe eines kompeten-ten Beraters zu versichern. Denn ein Informationsplan wird nur alle fünf bis zehn Jahren erstellt, zwischendurch ist natürlich eine Fortschreibung erforderlich. Die Mitarbeiter des Unternehmens haben also nur sehr selten oder vielleicht nur einmal in ihrem Berufsleben die Chance, an der Gestaltung eines solchen Plans mitzuarbeiten. Ein Berater, dessen täglich Brot diese Aufgabe ist, hat da etwas mehr Routine.

Zweitens sollte man sich eine geeignete Software zur Unter-stützung besorgen, da andernfalls die Arbeit sehr mühsam und zeitraubend ist oder nur unvollkommen durchgeführt werden kann. Es gibt inzwischen eine Reihe von Softwarepaketen am Markt, die dafür mehr oder weniger gut geeignet sind.

Drittens ist eine Methode des Vorgehens erforderlich. Obwohl keine zwei strategischen Planungsobjekte in ihrem Ablauf und ihren Ergebnissen genau gleich sind - dies hängt stark von der Kultur der Organisation, den Zielsetzungen und der vorhandenen Ist-Situation ab - gibt es ausgereifte Methoden, die den Planer unter-stützen. Man muß sich jedoch darüber im klaren sein, daß auch die ausgefeilteste Vorgehensweise zur strategischen Planung niemals "Kochbuch-Charakter" haben kann. Zum Gelingen benötigt man neben der Methode noch ein gehöriges Quäntchen Kreativität und Erfahrung.

Die Aktivitäten eines typischen ISP-Projekts (Informations-strategie-Planung) gliedern sich in Analyse-, Synthese- und Planungsaktivitäten. Man kann sie in sechs große Aktivitätsblöcke zusammenfassen:

þAnalyse der Geschäftsstrategie

Die wesentlichen Aspekte der strategischen Unternehmensplanung werden gesammelt, dokumentiert und analysiert. Die Methoden, die diese Aufgabe unterstützen, beschreiben einen generellen Ansatz zur Ermittlung und hierarchischen Einordnung von strategischen und operativen Geschäftszielen sowie zu ihrer Priorisierung. Alle relevanten Aspekte des Unternehmensplans - soweit vorhanden - werden analysiert, ausgewertet und der Geschäftsleitung zur Verfügung gestellt, um bei der weiteren strategischen Planung

Berücksichtigung finden zu können.

þAnalyse der Organisation

Die Verantwortlichkeiten für die Definition, Analyse und Verwen-dung von Informationen im gesamten Unternehmen sind zu ermitteln und zu dokumentieren. Das vorhandene Know-how und die Aufbauorga-nisation des Informationsverarbeitungs-Bereichs werden mit den Anforderungen verglichen, die erfüllt sein müssen, um ein Information-Engineering-Konzept erfolgreich einführen zu können. Eine passende Organisationsstruktur und ein Personalplan, in dem Trainingserfordernisse und der eventuelle Personalbedarf darge-stellt sind, werden für das Management des Informationsbereichs als Implementierungsvorschlag erstellt.

þAnalyse und Definition der Informationsarchitektur

Dabei geht es darum, die gesamten Informationsbedürfnisse und geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens zu analysieren und in ein Gesamt-Architekturkonzept umzusetzen, in dessen Rahmen sich die nachfolgenden Analyse- und Designphasen abwickeln lassen. Dargestellt werden die für die Organisation relevanten Informa-tionen und Aktivitäten durch zwei aufbauorganisationsunabhängige und damit sehr stabile Modelle, nämlich das Informationsobjekt-Beziehungsmodell und das Funktionenmodell.

Ein vernünftiges Informationsobjekt-Beziehungsmodell stellt eine Struktur der für die Organisation relevanten Informations-objekte (zum Beispiel Auftrag, Mitarbeiter, Plan, Organisations-einheit, Fabrik, Lager Rechnung) und ihrer Beziehungen unter-einander dar. Einer Fabrik können beispielsweise mehrere Lager zugeordnet sein, eine Organisationseinheit enthält für gewöhnlich mehrere Mitarbeiter, ein Auftrag resultiert im allgemeinen in mindestens einer Rechnung.

Beim Funktionenmodell handelt es sich um eine hierarchische Zerlegung der in der Organisation durchgeführten Aktivitäten in Teilaktivitäten über mehrere Stufen. Durch CRUD-Matrizen (Create, Read, Update, Delete) und Funktionsabhängigkeitsmodelle werden die Auswirkungen der Aktivitäten auf die Informationen und die Reihenfolge der Ausführung von Aktivitäten abgebildet. Die daraus resultierenden Modelle stellen ein adäquates - wenn auch abstraktes - Modell dar, das sich in folgenden Projektphasen schrittweise in Programme und Datenbanken umsetzen läßt.

þAnalyse und Definition der Anwendungssysteme

Hierbei gilt es, die vorhandenen Anwendungssysteme zu analysieren und auszuwerten, ferner ist eine grobe Anwendungssystemarchitektur als Basis für die zukünftige Systementwicklung zu erstellen. Im Rahmen dieses Aufgabenkomplexes wird die Organisation in eine Anzahl von miteinander verbundenen Geschäftsgebieten (Business Areas) zerlegt, innerhalb derer sich die detaillierte Analyse und Definition der Anwendungssystemarchitektur in der Folgephase der Methode am effektivsten durchführen läßt.

þAnalyse und Definition der technischen Architektur

Es kommt darauf an, die gegenwärtigen und geplanten Installationen von Komponenten der DV-Infrastruktur (Hardware und Software) zu analysieren und auszuwerten. Eine technische Architektur wird definiert, in der die zur Entwicklung und Einführung der Anwendungssystemarchitektur erforderlichen Komponenten beschrieben sind.

- Erstellung des Informationsstrategieplans

Am Schluß des Projekts wird ein formaler Informationsstrategieplan veröffentlicht, der Entwicklungs- und Einführungspläne sowie ihre Rechtfertigung durch eine Kosten- und Nutzenanalyse enthält.

Der Aufwand, der zur Erstellung eines strategischen Informationsplans betrieben werden muß, hängt nicht zuletzt von der Art und Größe der Organisation, der Ist-Situation der Informationsverarbeitung, ferner von der Qualität des Analyseteams sowie von der Unterstützung und der Mitarbeit durch das Management der Organisation ab. Eine typische Zeitdauer für ein derartiges Projekt liegt etwa zwischen sechs und neun Monaten und beschäftigt ein Kernteam von mindestens fünf Vollzeit-Mitarbeitern. Der Mindestaufwand liegt also etwa zwischen 30 und 45 Mann-monaten.

Der Aufwand zahlt sich immer aus

Wem das für eine derartige Aufgabe zuviel erscheint, der sollte sich vergegenwärtigen, daß meist einige hundert Mannjahre in die Entwicklung einer Anwendungssystemlandschaft gesteckt werden müssen; der Anteil der strategischen Planung am Gesamt-Realisierungsaufwand beträgt normalerweise weniger als ein Prozent. Damit schneidet ein Strategieplanungsprojekt im Vergleich mit anderen komplizierten Aufgaben, wie zum Beispiel der Planung und Realisierung einer Fabrik, der Planung und Einführung eines neuen Produkts oder der Reorganisation eines Unternehmens, durchaus vorteilhaft ab. Berücksichtigt man die signifikanten Verbesserungen, die sich in der Führung der Organisation durch die Realisierung einer neuen integrierten Anwendungssystemarchitektur ergeben werden, gehört der Aufwand für ein ISP-Projekt sicherlich mit zu den aussichtsreichsten Investitionen, die eine Geschäftsleitung beschließen kann.