Ohne hohe ISDN-Gebühren im TV-Netz schneller surfen

21.02.1997

Die Arbeitswelt ist um eine neue Lärmquelle reicher. Seit dem Run auf das Internet und die globale Kommunikation via E-Mail gehört das Rauschen der Modems im Büroalltag zum guten Ton. Geübte Ohren erkennen dabei bereits im Vorbeigehen, ob ein Arbeitgeber oder Abteilungsleiter seine Beschäftigten mit langsamen Modems zum stundenlangen, unproduktiven Warten verurteilt hat. Dank WWW und multimedialer Stilelemente kapitulieren die herkömmlichen Modems vor den zu bewältigenden Datenmengen, von den Kapazitätsengpässen mancher Provider wie Compuserve ganz zu schweigen. Schon ein zweieinhalb Minuten dauernder Videoclip entspricht je nach Auflösung einem Datenvolumen von rund 20 MB. Wer eines der in deutschen Büros noch verbreiteten 14400er Modems besitzt, muß rund eineinhalb Stunden auf die Übertragung von 10 MB warten, während der Kollege mit einem aktuellen 28800-Modell die gleiche Aufgabe in 46 Minuten bewerkstelligt. Nicht nur ein unproduktives, sondern auch ein teures Vergnügen: Denn zur Primetime am frühen Vormittag kassiert die Telekom für die Verbindung zum Einwahlknoten des Providers seit der großen Tarifreform 1996 immerhin 4,80 Mark pro Stunde.

Wer dagegen in die neueste Modemgeneration mit Transferraten von 56 Kbit/s investiert, wartet auf die gleiche Datenmenge nur noch 24 Minuten. Allerdings hat dieses neue Verfahren - von U.S. Robotics unter der Bezeichnung "X2"-Technologie propagiert, während das Rockwell-Lager die Bezeichnung "56K plus" bevorzugt - den Nachteil, daß es nur vom Provider zum Anwender die höhere Geschwindigkeit erreicht. In umgekehrter Richtung ist die Kommunikation mit maximal 33600 Bit/s gemäß dem Standard V.34+ möglich. Außerdem sind die neuen Geräte auch deshalb nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß, weil die Verfahren von U.S. Robotics und Rockwell nicht kompatibel zueinander sind und den digitalen Ausbau der Telefonvermittlungen voraussetzen (siehe CW Nr. 4 vom 24. Januar 1997, Seite 25).

Sollte der multimediale Ausbau des Internet Realität werden, so dürften 56-Kbit/s-Modems und ISDN nur eine Zwischenlösung sein. Selbst bei der Bündelung zweier ISDN-B-Kanäle, die eine Transferrate von 128 Kbit/s ermöglicht, wartet der User im obigen Beispiel noch zehn Minuten auf die Daten. Sound und Video via Internet machen allerdings nur dann Spaß, wenn die Daten im Sekundentakt beim Anwender ankommen. Dazu wären für die als Beispiel genannte Videodatei mit 10 MB Transferraten im Mbit/s-Bereich erforderlich. Bei einer Übertragungsgeschwindigkeit von 10 Mbit/s könnte der Surfer sein Video nach acht Sekunden betrachten.

Raten, wie sie vor allem mit ADSL (Asymmetric Digital Subscriber Line)-Geräten und Kabelmodems für TV-Netze zu bewältigen sind (Technisch Interessierte finden eine ausführliche Beschreibung der Verfahren auf Seite 43). Beide Verfahren sind bereits seit den achtziger Jahren bekannt, versanken aber wegen der ATM-Euphorie (Stichwort: ATM zum Desktop) in der Versenkung. Erst im Zuge der Internet-Euphorie und der langwierigen ATM-Standardisierungsdebatte erlebten sie ihr Comeback.

In Sachen ADSL spielen vor allem die Amerikaner eine Vorreiterrolle. Carrier wie Bell Atlantic, US West oder Pacific Bell, um nur einige zu nennen, testen das Verfahren bereits in ersten Pilotprojekten. Dabei werden die Daten vom Carrier zum Anwender mit Geschwindigkeiten zwischen 1,5 und 6 Mbit/s transportiert, während der eher schmalbandige Rückkanal eine Transferrate zwischen 128 und 640 Kbit/s aufweist.

Die Begeisterung der Amerikaner für ADSL hat vor allem einen technischen Grund: ADSL ist hauptsächlich ein Datenkanal, während ISDN mit seinen zwei Sprachkanälen ein Mehrdienstenetz verkörpert. Deshalb läßt sich ADSL relativ einfach als Zusatznetz in die vorhandenen Telefonnetze integrieren. Somit könnten die US-Carrier, bekanntlich ausgeprägte ISDN-Muffel, hohe Datenraten anbieten, ohne zuvor ihre Switches in einem teuren und langwierigen Upgrade-Prozeß auf ISDN umzurüsten. Vor diesem Hintergrund gehen amerikanische Optimisten trotz derzeit noch ungeklärter Standardisierungsfragen davon aus, daß die ADSL-Technologie bereits 1997 ihren Durchbruch auf breiter Front feiern kann.

Beim weltweiten ISDN-Musterknaben Deutsche Telekom, die bereits über 2,2 Millionen ISDN-Anschlüsse unterhält, sieht man ADSL dagegen nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu ISDN. Neben der Integration von Sprache, Video und Daten zeichnet das digitale Telefonnetz der Telekom vor allem die Fähigkeit aus, 64 Kbit/s pro B-Kanal in beide Richtungen zu transportieren. Der Telekom-eigene ADSL-Pilotversuch in Nürnberg bietet den 100 Testkunden dagegen via Kupferkabel einen Rückkanal mit nur 9,6 Kbit/s, während der Downstream mit 2 Mbit/s fließt. Die Übertragungskapazität des seit Dezember 1996 im Betrieb befindlichen Testnetzes soll demnächst auf 6 oder 8 Mbit/s ausgebaut werden.

Applikationen mit Einbahnstraßen-Charakter sieht auch Gerd Tenzer, Telekom-Vorstand für den Bereich Netze, als typisches Einsatzfeld für ADSL. Beispiele seien "Fast Internet" oder "Video on demand", "für die Telefonie empfehlen wir auf alle Fälle ISDN." Deshalb arbeite die Telekom auch daran, ADSL und ISDN künftig über eine Leitung zu transportieren. "Das dürfte im Laufe des Jahres möglich sein", gibt sich Tenzer optimistisch. Wenig Verständnis hat der Telekom-Vorstand dagegen für Fragen, ob ADSL das Aus für ISDN bedeute: "Warum leben wir Deutschen eigentlich immer so von Ablösungsfragen?" Ungeklärt ist bis jetzt auch, wie die Telekom einen möglichen ADSL-Dienst tarifieren will, der zumindest bei der Datenkommunikation eine Konkurrenz zu ISDN sein könnte.

Während die Telekom hierzulande bezüglich ADSL durch- aus die Zeichen der Zeit erkannt hat, ist sie in Sachen Kabelmodems noch nicht über das Laborstadium hinausgekommen. "Wir prüfen zwar die Technologie", so Telekom-Pressesprecher Willfried Seibel, "doch eine Entscheidung, inwieweit dies ein Markt für uns ist, wurde noch nicht getroffen."

Aufgrund der technischen Konzeption des Telekom-Kabel-TV-Netzes als reines Verteilnetz in Baumstruktur könnte sich Seibel vorstellen, daß dieses für den Downstream genutzt wird, während das Telefon als Rückkanal fungiert. Eine Schätzung, wieviel etwa die Implementierung eines Rückkanals in das bestehende Kabelnetz kostet, mit dem die Telekom rund sechs Millionen der 16,5 Millionen angeschlossenen Haushalte versorgt, wollte Seibel nicht abgeben.

Kabelmodems als Alternative

Einen Markt, wenn nicht gar einen wichtigen Baustein in ihrer Überlebensstrategie, stellen die Kabelmodems dagegen für die privaten Kabelnetzbetreiber in der Bundesrepublik dar. Seit es in jedem Baumarkt um die Ecke billig Satellitenschüsseln zu kaufen gibt, die dem Kunden mehr Fernsehkanäle offerieren als die TV-Netze, suchen die Kabel-Betreiber nach Mehrwertdiensten, um die Attraktivität ihres Angebots beispielsweise mit einem Internet-Zugang zu erhöhen.

Entsprechend betrachtet der Verband der privaten Kabelnetzbetreiber, kurz ANGA, die Kabelmodems nicht als neue Wertschöpfungsquelle, sondern als eine Methode, um bestehende Services besser vermarkten zu können. Dieser Argumentation folgend, hält Guido Schwarzfeld, Technischer Referent der ANGA, hinsichtlich einer Tarifierung aus heutiger Sicht eine Pauschalgebühr für am wahrscheinlichsten. Diese könne in der Größenordnung von 80 Mark liegen und die Modemmiete einschließen. Zukunftsmusik ist dagegen noch die Telefonie via Fernsehnetz, die die ANGA als weiteren Mehrwertdienst plant. "Während es sich bei den Kabelmodems bereits um bewährte Technologie handelt, ist die Kabeltelefonie noch relativ jung", gibt der ANGA-Mitarbeiter zu bedenken und weist auf mögliche Kinderkrankheiten hin.

Auf die Problematik des Rückkanals angesprochen, sieht der Referent die ANGA-Mitglieder, die für rund 6,5 Millionen Haushalte die Kabelanschlüsse bereitstellen, für die Zukunft gut gerüstet.

Man habe nämlich bei der Installation der Netze bereits von Anfang an einen Rückkanal eingebaut, der ursprünglich nur für das Netz-Management konzipiert war. Allerdings könnten elektrische Störquellen im häuslichen Umfeld, zum Beispiel Staubsauger, den Netzbetreibern einen Strich durch die Rechnung machen: Sind die Koaxkabel nicht sauber verlegt, ist eine kostspielige Nachbesserung notwendig.

Auf ein anderes Problem finanzieller Natur macht zudem Sascha Neuberger von der Münchner Pentacom aufmerksam: Die zerklüftete Struktur der deutschen Kabelnetze erschwere die Internet-Anbindung.

LAN-LAN-Koppelung via Fernsehnetz

Laut der Kalkulation des Münchner Vollservice-Ausstatters für Kabelnetze rechnet sich die Aufrüstung der Netze zur Datenkommunikation erst, wenn etwa 1000 Wohneinheiten in ei- ner sogenannten Kabelinsel zusammengefaßt sind, da Neuberger zufolge wohl nur zehn bis 15 Prozent der Haushalte Interesse an einem Kabelmodem haben. Abgesehen von den Modems selbst müssen die Netzbetreiber grob geschätzt Investitionskosten zwischen 10000 und 12000 Mark für Router, Server sowie die Einrichtung einer 2-Mbit/s-Standleitung zum Internet-Provider einkalkulieren.

Bisher hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Universitäten sieben Kabelmodem-Projekte realisiert, deren größtes in Stuttgart 3000 Zimmer der Studentenwohnheime betrifft. Da die Gebäude teilweise auf dem Campus liegen und die Hochschulen über einen Internet-Zugang verfügen, entfielen dort die Kosten für die Standleitung.

Aufgrund der technischen Restriktionen ist Neuberger zufolge der Traum vom Internet-Access und der Telefonie über Fernsehnetze nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts wirtschaftlich zu verwirklichen. Dabei sei die ANGA mit dem Prinzip der Cluster-Bildung - hierbei werden einzelne Kabelinseln zu größeren Einheiten zusammengefaßt - auf dem richtigen Weg.

Solche Sorgen plagen die Beteiligten am Pilotprojekt Gelsenkirchen nicht: Sie können auf die Lichtwellenleiter der Stadtwerke Gelsenkirchen sowie auf die Infrastruktur des Energieversorgers RWE Regional zurückgreifen. An dem auf drei Jahre angelegten Vorhaben sind unter der Leitung von RWE Telliance die Stadt Gelsenkirchen, die Stadtwerke Gelsenkirchen GmbH, die Gesellschaft für Kabelkommunikation und Gebäudetechnik mbH (GfKG) sowie die Sparkasse Gelsenkirchen beteiligt.

Dabei wollen die Gelsenkirchener, wie Birgit Schultz, Referentin beim Projektbüro Multimedia, ausführt, "nicht nur die Oma an die Maus bringen", sondern auch 20 Unternehmen gemäß der Lizenz des Bundespostministeriums die Möglichkeit der LAN-zu-LAN-Koppelung via Fernsehnetz anbieten. "Durch Verwendung der TCP/IP-Technologie erhält bei uns jedes Modem seine eigene Adresse, so haben wir quasi ein Intranet im Internet", beschreibt Schultz. Auf diese Weise ist die Vernetzung der Gelsenkirchener Krankenhäuser geplant sowie die Anbindung der Filialen eines größeren Autohauses im Gespräch.

Bis dann allerdings jeder private Anwender angeschlossen werden kann, dürfte noch etwas Zeit vergehen, denn das "notwendige Equipment bekommen Sie ja nicht in jedem Mediamarkt", räumt Schultz ein. Derzeit benötigen die Pilotanwender einen 486-DX100-Rechner mit 8 MB RAM, der über eine Netzwerkkarte mit den Kabelmodems verbunden wird. Zusätzlich sind eine Soundkarte sowie eine MPEG-Karte erforderlich, die RWE den Teilnehmern wie das Netzequipment kosten- los zur Verfügung stellt. Die Installation übernimmt noch ein Fachmann, da die Modems auf das Netz eingestellt werden müssen. Ein Vorgang, der zumindest für die Geräte von Motorola bald der Vergangenheit angehört: Der Hersteller plant nach Aussagen seiner deutschen Niederlassung Produkte, die sich nach ihrem Anschluß ans Netz selbständig beim Router melden und von diesem automatisch konfiguriert werden.

Abhängig von den verwendeten Modems ist in Gelsenkirchen auch die Übertragungsrate. Die Betreiber garantieren im Hinkanal mindestens eine Bandbreite von 2 Mbit/s, während der Rückkanal eine garantierte Kapazität von 64 Kbit/s aufweist. Beim Einsatz entsprechender Modems lassen sich jedoch auch Transferraten von 4 Mbit/s im Duplexbetrieb erzielen.

Mit Internet-Set-top-Boxen, die auch für Haushalte ohne PCs geeignet sind, rechnet Multimedia-Referentin Schultz erst im Spätsommer 1997. "Die derzeitigen Set-top-Boxen mit dem Telefon als Rückkanal sind für uns uninteressant, da wir im gleichen Medium bleiben wollen", begründet Schultz die Verzögerung. Hier dürfte einer der wahren Beweggründe für das Engagement von Carriern wie RWE Telliance oder Vebacom beim Kabel-Pilotprojekt "Infocity" liegen: Die künftigen Telekom-Konkurrenten hoffen, mit Hilfe der TV-Netze auf der letzten Meile im Ortsbereich dem Bonner Carrier ein Schnippchen zu schlagen und so ihre eigenen Netze flächendeckend anbieten zu können.

Während im Lager der Telekom-Konkurrenten und seitens der Hersteller in Sachen Kabelmodems bereits Goldgräberstimmung herrscht, gibt sich das ISDN-Lager angesichts der neuen Herausforderung gelassen. Bei der Berliner ISDN-Schmiede AVM vertritt man beispielsweise die Meinung, daß die neuen Übertragungsverfahren ihre Bewährungsprobe noch vor sich hätten, während ISDN seine Feuertaufe in der Praxis bereits glänzend bestanden habe. Neben fehlenden Standards und unbewiesener Stabilität sehen die Berliner vor allem ein Manko der Kabelmodems: Da die Anwender sich wie in Ethernet-LANs die mögliche Maximalrate von 40 Mbit/s teilen müssen, könne einem Anwender bei voller Auslastung des Netzes weniger Bandbreite als bei ISDN zur Verfügung stehen.

Unabhängig davon, ob, wann und wie ADSL oder Kabelmodems eine sinnvolle und bezahlbare Alternative zu ISDN darstellen, können professionelle Anwender bereits heute ihre Internet-Kommunikationskosten durch einen sinnvollen Netzaufbau drastisch senken. Das größte Sparpotential bietet die zentrale Vorhaltung von Internet-Inhalten auf einem unternehmenseigenen Server, so daß der einzelne Anwender sich nicht jedesmal zum Informationsabruf via Modem oder ISDN ins Internet einwählen muß.

Beispielsweise könnte Microsofts "Exchange Server" nicht nur als Kommunikationsplattform für den unternehmensweiten E-Mail-Austausch fungieren, sondern über seinen dem Network News Transfer Protocol (NNTP) entsprechenden Connector auch alle Inhalte der News-Groups, wie die Diskussionsforen des Internets heißen, vorhalten. Eine weitere Möglichkeit zur Senkung der Kommunikationskosten bietet der Einsatz eines Proxy-Servers, der häufig abgerufene Web-Seiten einmal herunterlädt und zwischenspeichert. Auf diese Weise können Anwender über das firmeneigene LAN schneller auf die Informationen zugreifen, und eine Internet-Verbindung über das öffentliche Netz ist nur einmal erforderlich.Jürgen Hill