Ohne eigenen Computer lebt sich's auch: Nach vier Wochen Fakturiergeräte verschrottet

26.11.1982

BIELEFELD - Keine eigene DV-Anlage schaffte sich das Bielefelder Werkzeugmaschinenunternehmen Oltrogge & Co. an, als es darum ging, von Fakturiermaschinen in die Datenverarbeitungsneuzeit einzutreten. Vielmehr nutzte das Unternehmen das Angebot eines externen Rechenzentrums in Zusammenhang mit einigen Online-Bildschirmarbeitsplätzen.

Als 1976 die Entscheidung zur EDV-Einführung gefällt wurde, lief die gesamte Abwicklung weitgehend manuell. Lediglich in der Buchhaltung war ein älterer Nixdorf-Magnetkontenbuchungsautomat im Einsatz. Fakturiert wurde mit drei Supertronic-Fakturiermaschinen mit Lochstreifenausgabe. Diese Lochstreifen wertete ein hiesiges Rechenzentrum monatlich per Standardprogramm nach Umsatz, Rohgewinn und Artikelgruppenlisten aus. Preise, Rohgewinn und Artikelgruppen wurden bei jeder Auftragsposition einzeln ermittelt und über die Auftragsblätter in die Fakturiermaschine eingegeben.

Ziel Wettbewerbsvorsprung

Der Gesamtlagerbestand ließ sich nur einmal jährlich durch die Inventur und auswertungsbedingt mit drei Monaten Verzögerung feststellen. Lagerergänzungen nahmen die Mitarbeiter nach Regalbesichtigung vor.

Ziel der geplanten Maßnahmen war es, den entscheidenden Mitarbeitern einen Informationsvorsprung vor dem Wettbewerb zu sichern, um zu größeren Absatzerfolgen zu kommen. Es mußte ein Informationssystem gefunden werden, daß folgende Probleme lösen sollte:

1) Alle entscheidenden Mitarbeiter sollten in übersichtlicher, leicht faßlicher Form mit allen Informationen versorgt werden, die sie benötigen, um Verkaufsentscheidungen an Ort und Stelle sofort treffen zu können. Informationen also über das umfangreiche Lieferprogramm, Preise, Rohgewinne, Liefermöglichkeiten, Sonderkonditionen, Kundenumsätze, Preisvereinbarungen, laufende Aufträge etc.

2) Die Informationen sollen Planzahlen und Ziele für jeden Bereich bis hin zum einzelnen Verkäufer ermöglichen, mit der ausgesprochenen Absicht der weitgehenden Verantwortungsdelegation .

3) Die Mitarbeiter müssen ausführliche Kontrollzahlen in kurzen Abständen bekommen, damit sie die Auswirkung ihrer Tätigkeit selbst beurteilen können und ihr Verhalten danach korrigieren können.

4) Die Informationen sollen es den Vorgesetzten ermöglichen, ihre Mitarbeiter über Ziele und Zielkontrollen zu steuern, um von der Tagesroutine und subjektiven Eindrücken unabhängiger zu werden.

5) Sämtliche Zahlen und Informationen sollen nur einmal erfaßt und gepflegt werden und dann für alle Mitarbeiter zur Verfügung stehen. 6) Zahlen und Informationen müssen maschinell geprüft oder miteinander verknüpft werden, daß wesentliche Fehler zwangsläufig erkennbar sind. Zusätzliche Kontrollen sind möglichst zu vermeiden. Eine vertretbare Fehlerquote wird zugunsten der Wirtschaftlichkeit akzeptiert.

7) Das Informationssystem soll als Werkzeug ohne Eigenleben in erster Linie der Absatzförderung dienen und dann der Kostenreduzierung. Es soll von den Mitarbeitern so selbstverständlich genutzt werden wie Telefon, Fernschreiber oder Fotokopierer.

8) Das System muß geeignet sein für die unterschiedlichen Belange der verschiedenen dezentral geführten Fachbereiche. Es darf ihre Eigenständigkeit nicht beeinträchtigen.

9) Das System muß zuverlässig und erweiterungsfähig sein, die Kosten und das Risiko so gering wie möglich.

Technische Unterschiede bedeutungslos

Diese Forderungen waren zum Entscheidungszeitpunkt nicht so präzise formuliert und nicht schriftlich fixiert. Sie existierten jedoch gedanklich und beeinflußten die Entscheidung.

Zunächst suchten die Bielefelder den Markt ab, sprachen bekannte EDV-Hersteller an, fragten EDV-Anwender nach ihren Erfahrungen und besuchten Fachmessen. Das Ergebnis: Die Verwirrung war größer als am Anfang. Lediglich zwei Dinge wurden deutlich: Die Preis- und technischen Unterschiede der Hardware der diversen Anbieter waren gemessen an den Gesamtkosten der EDV-Einführung für den Neuling praktisch bedeutungslos.

Alle Anbieter behaupteten, auch über geeignete Anwendersoftware zu verfügen. Nur vorführbar war sie nicht, da diese erst noch "etwas angepaßt" werden müsse.

Die Suche konzentrierte sich also auf einen Anbieter, der auch eine geeignete fertige Software vorweisen konnte. Zum damaligen Zeitpunkt war das im Prinzip nur Honeywell Bull mit dem "Ingros"-Programm, einem komplexen "integrierten Großhandelsprogramm", aus dem man nicht benötigte Programmsegmente weglassen konnte. Dieses clever gemachte Programm erforderte jedoch auf den für Anfänger geeigneten relativ kleinen Anlagen so unwahrscheinlich lange Laufzeiten, daß hier eine wirtschaftliche Lösung nicht erkennbar war.

In dieser Phase bot die Cendata, Rechenzentrum der Seidensticker Gruppe, Bielefeld, die geteilte EDV an: Organisation und Datenerfassung bei Oltrogge, Programmierung und Datenverarbeitung im Rechenzentrum.

Die Vorteile waren überzeugend:

- Nutzung erfahrener EDV-Spezialisten,

- maßgeschneiderte Programme zum Festpreis und mit festen Terminen,

- monatliche Pauschalkosten für die Verarbeitung,

- tägliche Verarbeitung in der Nachtschicht,

- keine Anlageninvestitionen,

- keine Festlegung auf ein System,

- kein eigenes EDV-Personal,

- kein Risiko durch Personal- oder Anlagenausfall,

- Referenz von Kunden, die diese Angaben bestätigen.

Am 1.März. 1977 wurde der jederzeit kündbare Vertrag mit dem Rechenzentrum abgeschlossen. Der erste Abschnitt umfaßte die Gebiete: Auftragseingang und Auftragsbestandsverwaltung, Fakturierung und Gutschriften, Provisionsabrechnung, Rohgewinnkontrolle sowie umfangreiche Absatzstatistiken.

Start mit dem Rechenzentrum

Gemeinsam mit Cendata legte Oltrogge die Stamm-Dateisätze und Programmanforderungen fest, wobei aufgrund der Erfahrung und Empfehlung der Rechenzentrumsmitarbeiter ausbaufähige Strukturen für Datensätze und Programme gewählt werden konnten, die sich nicht an der begrenzten Kapazität einer eigenen Anlage orientieren mußten. Diesen Vorteil erkannten die Bielefelder erst später, als sie "von Wachstumsproblemen in der Dateiorganisation" verschont blieben.

Fünf Monate später stellte Cendata die ausgestesteten Programme zur Verfügung. Während dieser Zeit waren bereits die meisten Stammdaten erfaßt, zum Teil durch externe Lohnbüros. Die Umstellung von den Fakturiermaschinen auf EDV erfolgte am Stichtag ohne Parallellauf und mit fließendem Übergang. Vier Wochen später wurden die Fakturiermaschinen verschrottet.

Entscheidung für das DE-Gerät

Auf Empfehlung von Cendata mietete Oltrogge ab Oktober 1977 zur Datenerfassung im Hause einen Tandem-Diskettenerfassungsplatz IBM 3742 mit Zeilendisplay an. Dies war damals mit 672 Mark pro Monat für zwei Erfassungsplätze die billigste Lösung und reichte für den Anfang aus. Das Gerät verfügte jedoch nur über sehr begrenzte Plausibilitätsprüfungen, so daß alle Daten zur Kontrolle zweifach eingegeben werden mußten. Anfang September 1979 wurde das Gerät ausgetauscht gegen ein Distributed Processing System MDS 21/20 mit drei Bildschirmen, zu einem vergleichbaren Preis aber mit mehr Komfort. Dieser Komfort zeigt sich im übersichtlichen Maskenaufbau, in detaillierten Plausibilitätskontrollen, großen Bildschirmschriftzeichen und in der Parallelerfassung mit unterschiedlichen Programmen.

Da alle Verkaufsmitarbeiter möglichst alle Informationen am Arbeitsplatz im direkten Zugriff haben sollten, stellte sich schnell heraus, daß dies mit gedruckten Listen nicht zu machen war. Abgesehen von der Kostenbelastung für den Mehrfachdruck sowie für Papier, hätte jeder der mehr als 20 Mitarbeiter je über 30 Kilogramm Listen auf dem Tisch zu wälzen. Eine Versorgung aller Mitarbeiter mit Bildschirmen kam schon aus Kostengründen nicht in Betracht. Das Problem wurde effektiv und sehr preiswert gelöst durch COM-Fiche.

Statt der 30 Kilogramm Listen verfügt jeder Sachbearbeiter jetzt über ein kleines Päckchen postkartengroßer Filme und ein Mikrofilm-Lesegerät. Kaufpreis eines Lesegerätes zirka 400 Mark, Kopienpreis für einen COM-Fiche mit 260 EDV-Listenseiten 60 Pfennig. Für 12 Mark Kopienpreis kann jeder Sachbearbeiter mit bis zu 5000 Saiten Information ausgerüstet werden. Allein das nackte Papier würde bereits das Zehnfache kosten. Diese sehr wirtschaftliche Möglichkeit war gegeben, da das Rechenzentrum über die erforderliche Anlagenkapazität, Bandstation und Programme verfügte.

Abschluß des ersten Abschnittes

Ende 1979, zwei Jahre nach dem Start, ließ sich folgender Organisationsstand feststellen:

Die gesamte Auftragsabwicklung lief bereits seit 1 1/2 Jahren über EDV die Aufträge wurden vom Sachbearbeiter auf Erfassungsbelege eingegeben, dann von den Fakturistinnen an MDS-Bildschirm-Arbeitsplätzen auf Disketten erfaßt. Die Verarbeitung erfolgte im Stapelbetrieb täglich in der Nachtschicht beim Rechenzentrum, die Ausdrucke standen regelmäßig am nächsten Morgen um 7.30 Uhr zur Verfügung.

Sämtliche zum Teil sehr detaillierten Verkaufsstatistiken kamen regelmäßig; die Inventur, Debitoren und Kreditoren wurden über EDV abgewickelt. Alle entsprechenden Mitarbeiter waren über COM-Fiche mit den notwendigen Informationen versorgt. Aufgrund der praktisch unbegrenzten Speicherkapazität des Rechenzentrums ließen sich sämtliche Auftragspositionen einzeln abspeichern, so daß die Daten auch rückwirkend aufbereitet werden können.

Bis zu diesem Punkt war die tägliche Stapelverarbeitung voll ausreichend. Der Appetit kommt jedoch "beim Essen". Die Sachbearbeiter wünschten sofortige Auskunft über Lagerbestände und die Möglichkeit, diese für ihre Aufträge zu reservieren. Während alle anderen Daten in der Verarbeitung mindestens einen Tag Zeit haben, müssen Lagerbestände sofort verändert werden. Das ist nur im direkten Zugriff möglich. Mit der bisherigen Stapelverarbeitung war dies nicht zur erreichen. Ein Gespräch mit MDS ergab, daß die Lösung dieses Problems machbar war, ohne das Konzept der Verarbeitung beim Rechenzentrum aufzugeben.

Umstellung auf Sofortverarbeitung

Im eigenen Haus soll lediglich das getan werden, was in Stapelverarbeitung im Rechenzentrum nicht möglich ist:

- Dateneingabe mit weitgehender automatischer Kontrolle dieser Eingaben,

- Sofortverbuchung der Lagerbestandsveränderungen,

- sofortige Anzeige der Lagerbestände,

- Schreiben von Sofortlieferscheinen mit Berücksichtigung der Lagerbestände.

Das vorhandene MDS-System wurde erweitert auf acht Bildschirme, eine Magnetplatte mit 20 MB, eine Bandstation und zwei Drucker für die Lieferscheine. Die beiden Programme "Auftragserfassung mit Bestandsveränderungen und Lieferscheindruck" sowie "Dateipflege" wurden einem von MDS benannten externen Programmierer übertragen, der die Programme mit einem Tag Testzeit gebrauchsfertig übergab. Der jetzt auch im Haus benötigte Teilsatz der Kunden- und Artikeldatei wurde vom Rechenzentrum per Band auf die MDS-Platte überspielt und täglich durch kurze Bandübertragungen automatisch mitgepflegt.

Da jetzt alle Daten für die notwendige Eingabekontrolle im Hause waren, konnte die Bedienerführung für die Auftragseingabe so abgesichert werden, daß auch wenig geübte Mitarbeiter kaum noch eine Chance haben, einen Auftrag falsch oder unvollständig einzugeben.

Damit war der Weg frei für die Sachbearbeitererfassung direkt über den Bildschirm. Bei der Eingabe erkennt der Sachbearbeiter die Richtigkeit sowie die Lieferbereitschaft.

Der Sofortlieferschein ist für uns besonders wichtig, da ein großer Teil der Aufträge nicht nur im umfangreichen Abholergeschäft sofortige Auslieferung erfordert. Bisher mußten Sofortlieferscheine von Hand geschrieben werden, da der ausgedruckte Lieferschein vom Rechenzentrum für eingehende Aufträge erst am nächsten Tag zur Verfügung stand.

Automatische Terminanmahnung

Da der Lagerstatus auf der Diskette gespeichert ist, kann jetzt im Rechenzentrum für alle Artikel, die nicht über Lager geliefert werden, automatisch eine Einzelbestellung an das Lieferwerk geschrieben werden. Zusätzliche Eingaben hierfür sind nicht mehr erforderlich, da alle anderen Angaben bereits in den Stammdateien gespeichert sind.

Auch Lagerergänzungsaufträge werden nach diesem Programm erstellt, wobei außer einer Schlüsselnummer lediglich die Artikelnummer und Menge über den Bildschirm eingegeben werden. Diese Aufträge werden automatisch sofort als zu erwartende Neuzugänge verbucht. Im Moment der Eingabe kann der nächste Verkäufer bereits über die Zugänge verfügen. Es ist naheliegend, daß diese Aufträge auch über automatische Terminannahmen verfolgt werden.

Getreu dem Konzept, daß alle Daten nur einmal erfaßt, aber möglichst vielfältig verwertet werden sollen, geht am Monatsende ein Magnetband mit den aktuellen Lagerbeständen auf der MDS-Platte an das Rechenzentrum. Dort wird unter Einbeziehung der im Rechenzentrum ermittelten Absatzzahlen eine detaillierte Lagerbestandsanalyse erstellt, die einmal für das gesamte Unternehmen, für Vertriebsbereich, Warengruppe und Artikelgruppe bis hin zum einzelnen Artikel folgende Angaben liefert: Umsatz, Rohgewinn, Menge und Wert des Lagerbestandes, Umschlaghäufigkeit sowie Lieferbereitschaft ab Lager beziehungsweise aus Neuzugang, Anzahl der Aufträge je Artikel und sinnvoller Mindestbestand.

Mit dieser Lageranalyse läßt sich das umfangreiche Lager mit über 25 000 Positionen erstmals gezielt steuern. Voraussetzung war die sofortige Lagerbestandsrechnung vor Ort, gepaart mit der Kapazität des Großrechners im Rechenzentrum.

Tägliche Bestellwertermittlung

Die Lagerbereinigung warf zwangsläufig auch die Frage nach der Lieferbereitschaft auf. Wieviel Prozent des Umsatzes wird über Lager abgewickelt? Wieviel Prozent sollte eigentlich über Lager laufen? Wie beeinflußt die Lagerbereinigung die Lieferfähigkeit? Welche Kapitalbindung ist für das Lager erforderlich? Wie kann der Wert der Lagerergänzungsaufträge dem Lagerabgang angepaßt werden?

Da alle Basisdaten vorhanden waren, konnte eine Art "tägliches Wirtschaftsblatt" ausgedruckt werden auf dem auf einer Seite, getrennt nach Vertriebsbereichen, die wesentlichen Geschäftsdaten für Geschäftsleitung und die entscheidenden Mitarbeiter ausgewiesen werden. Und zwar: Auftragseingang, Lager- und Streckenumsatz, Lieferbereitschaft ab Lager, Lohnumsatz sowie Rohgewinn, Einzelbestellungen beim Lieferanten, Lagerergänzungsbestellungen und Wert der Lagerbestandsveränderung.

Diese Werte werden für den Tag und aufgelaufen für den Monat angezeigt. Da alle Zahlen sich auf Aufträge des gleichen Tages beziehen, sind auch die Bestandsveränderungen Vorausberechnungen auf dieser Basis und können noch beeinflußt werden, beispielsweise durch Zurückhalten von Lagerergänzungsaufträgen bis zu starkem Anwachsen des Lagerbestandes. Damit wurde erstmals sowohl eine wirksame Vorausplanung des wertmäßigen Lagerbestandes möglich, als auch eine Planung des Liquiditätsbedarfs für Lagerergänzungsaufträge. Die Auswirkung der Lagerbestandsbeeinflussung wird täglich an der Quote der Lieferbereitschaft kontrolliert.