Akquisitions- und Betreuungssituation bei 3380-Neukunden noch unausgegoren:

OEM-Vertrag mit Siemens schocke IBM-Vertrieb

02.03.1984

STUTTGART/MÜNCHEN- Das Abkommen zwischen der IBM Deutschland GmbH und der Siemens AG über den Vertrieb von 3380-Speicherplatteneinheiten enthält offensichtlich mehr Zündstoff, als beide Unternehmen erwarteten, Wie aus IBM-Kreisen zu erfahren ist, fühlen sich die Peripherieverkäufer des Marktführers von ihrem Management hintere Licht geführt. Sie befürchten, die Münchner PCM-Vertreiber könnten ihnen durch eine gezielte Niedrigpreispolitik das bislang lukrative Speichergeschäft erschweren. Siemens-Insider sprechen hingegen von einer gravierenden Verschlechterung des Verhältnisses zwischen dem Elektrokonzern und dessen japanischem Hardwarelieferanten Fujitsu.

Über Einzelheiten des im Januar geschlossenen Vertriebsabkommens (siehe CW Nr. 7 vom 1 0. Februar 1984, Seite 1) wollen sich weder die Münchner noch die Stuttgarter äußern. Es ist keine Geheimnistuerei, daß wir zu dem Peripherievertrag nichts sagen", erklärt ein Siemens-Sprecher, "wir haben uns mit der IBM darauf geeinigt, keine Informationen herauszugeben." Immerhin lassen Öffentlichkeitsarbeiter des Marktführers durchblicken, daß der IBM/Siemens-Kontrakt ausschließlich produktbezogen ausgelegt sei und lediglich die Vermarktung der 3380-Systeme beinhalte. Damit wäre das Abkommen zwar hinfällig, wenn Big Blue das Speicherprodukt nicht mehr produziere, dennoch sind die Stuttgarter nach eigenen Angaben an einer "dauerhaften Geschäftsbeziehung" interessiert.

Der Wille zu einer Langfristbindung mit den Münchnern ist aber vor allem für die Stuttgarter mit Problemen behaftet. Hieß es zunächst, Siemens-Vertriebsbeauftragte dürften mit dem 3380-Speicherprodukt nur ihren eigenen Kundenpark bedienen, so sickerte jetzt durch, daß die Münchner auf der Grundlage des deutschen Wettbewerbsrechts und der europäischen Kartellgesetzgebung auf breiter Ebene verkaufen dürfen.

Mit einem Abkommen zwischen den beiden Unternehmen haben aber scheinbar am wenigsten die Großkundenbetreuer des Computermultis gerechnet. Nach Aussagen von IBM-Insidern seien bis zuletzt nicht einmal hochangesiedelte Vertriebsmanager informiert gewesen. Stuttgarter Verkäufer, die noch im Januar gegen Siemens-Produkte argumentieren mußten, hätten sich von einem Tag zum anderen mit einer neuen "Sprachregelung" konfrontiert gesehen. Als schließlich bekannt wurde, daß die Münchner die 3380-Magnetplattensysteme bis zu 20 Prozent unter dem Preis des Marktführers anbieten wollen, seien die Stuttgarter Vertriebsbeauftragten auf die Barrikaden gegangen. Konnten IBM-Verkäufer noch im letzten Jahr nahezu konkurrenzlos Dünnfilm-Speicherperipherie absetzen, so müssen sie sich jetzt auf eine prekäre Wettbewerbssituation einstellen. Urteilt ein süddeutscher Großrechnerbenutzer: "Es wäre unsinnig, heute 3380-Plattenstationen bei IBM zu ordern, wenn man exakt das gleiche Equipment bei Siemens 20 Prozent billiger bekommt."

Wartungssituation ungeklärt

Wie aus Stuttgart verlautet, will das IBM-Management seine Vertriebsbeauftragten nun mit einem neuen Incentive-Plan bei Laune halten. Ein Großkundenbetreuer erhält demnach auch dann Provision, wenn Siemens in seinem Abnehmerbereich ein 3380-System installiert. Eine derartige Regelung existiert bereits im Umgang mit Brokern und Leasinggesellschaften.

Ungeklärt im Verhältnis zwischen IBM und Siemens scheint indes noch die Maintenance-Frage. Während von den Münchnern zu erfahren ist, daß sie die Wartung für die von ihnen vertriebenen 3380-Magnetplatteneinheiten übernehmen, gibt es offensichtlich noch keine Einigung bei den 3880-Steuereinheiten. Dieses Produkt wird nach wie vor von der IBM vermerktet, die zwangsläufig dafür auch den Service übernehmen müßte. Bei den derzeitigen Vereinbarungen ist ein Benutzer, der bei Siemens ein 3380-System ordert, gezwungen, das dazugehörige Steuergerät bei den Stuttgartern zu bestellen. Wie aus der Isarmetropole zu erfahren ist, wird augenblicklich noch darüber diskutiert, welches Unternehmen die Wartung für die 3880-Steuereinheiten übernehmen soll. In der jetzigen Situation müßte je ein Service-Mann aus München und aus Stuttgart anreisen.

Die Kooperation zwischen dem Marktführer und dem Elektrokonzern hat nach Informationen aus Siemens-Kreisen auch das Verhältnis der Münchner zu ihrem Hoflieferanten Fujitsu getrübt. Der japanische Großrechnerhersteller belieferte das süddeutsche Unternehmen bislang mit IBM-kompatibler Speicherperipherie und Mainframe-Prozessoren. Während Fujitsu-Peripherie nach dem IBM/Siemens-Abkommen hierzulande nur noch von Amdahl vermarktet wird, wollen die Münchner weiterhin die Nippon-Rechner vertreiben.

Erste Differenzen zwischen Siemens und den Japanern wurden bereits Mitte letzten Jahres kolportiert, als der Elektrokonzern Angaben über die Extended-Architecture-Fähigkeit der Fujitsu-Rechner machte, obwohl sich der Nippon-Produzent dazu selbst noch nicht zu äußern vermochte.

Daß der "IBM-Schwenk" der Münchner nun zu einem "verschärften Umgangston" zwischen den beiden OEM-Partnern geführt hat, wollen auch Fujitsu-Beobachter wissen. Immerhin hatten sich die Münchner in den beiden letzten Jahren zu einem beachtlichen Absatzträger der Japaner im europäischen Markt gemausert. Siemens-Kenner schätzen den in 1983 mit Nippon-Maschinen eingefahrenen Umsatz der AG auf rund 250 Millionen Mark.

Neue Nippon-Jumbos erwartet

Daß die Japaner - sie wurden dem Vernehmen nach über das IBM/Siemens-Abkommen erst nach Vertragsunterschrift informiert - nun die Münchner nach ihrem "Partnertausch" mit Restriktionen im Prozessor-Geschäft belegen könnten, wird von Verantwortlichen des bayerischen Elektrokonzerns freilich nicht erwartet, Grund: Die mit Fujitsu laufenden Kontrakte sind bis 1990 ausgelegt. Vergleichbar mit dem IBM-Abkommen, bezieht sich der Vertrag mit Fujitsu lediglich auf die Vermarktung der von den Japanern unter der Produktbezeichnung M380 vertriebenen PCM-Rechner. Da die Japaner bereits verkündeten, daß innerhalb der kommenden zwei Jahre mit einer neuen Maschinengeneration. zu rechnen ist, könnte nach Ansicht von PCM-Beobachtern ein Bruch zwischen beiden Unternehmen bereits zum Zeitpunkt des Announcements eintreten. Dieser könne zur Folge haben, daß Fujitsu die Vermarktung ihrer Rechner in Europa selbst in die Hand nimmt.

Offensichtlich ist die Siemens AG für einen solchen Fall bereits gerüstet. In München hält sich das Gerücht, der deutsche Elektroriese arbeite in seinem Augsburger Werk an einer Rechnerserie, die ein Leistungsspektrum von bis zu 40 Mips abdecken soll. Daß schon bald Maschinen mit Performancewerten von zehn bis 15 Mips von der Rampe laufen werden, die "architektonisch über ein Redesign weit hinausgehen" (O-Ton Siemens), bestätigen inzwischen auch offizielle Stellen in der bayerischen Hauptstadt. (Zum Vergleich: Ein IBM-System 3081 G verfügt über elf Mips, der kleinste Fujitsu-Rechner im Siemens-Angebot über 2,4 Mips.) Allerdings seien die erwarteten Prozessoren als Highend-Jumbos für die Systemreihe 7.500 vorgesehen.

Daß die in Augsburg entwickelten Maschinen das heutige Fujitsu-Produktspektrum des Elektrokonzerns ersetzen könnten, wollen Siemens-Manager freilich nicht eingestehen. Aufschluß könnten indes die Aussagen des Siemens-Vorstandsvorsitzenden Karlheinz Kaske geben, der am 31. Januar auf einer internationalen Pressekonferenz in München verkündete: "Die Datentechnik hat einen ansehnlichen Gewinn erzielt und wird ihre Investitionen im laufenden Geschäftsjahr verdoppeln, vor allem, um Augsburg zu einer der modernsten Computerfabriken auszubauen.