Dezentrale DV-Organisation wird mittelfristig unüberschaubar (Schluß)

Nur moderne IS-Systeme tragen den DV-Entwicklungen Rechnung

05.07.1991

Begriff "verteilte Informationssysteme" ist bei der Diskussion um die unternehmensweite Datenverarbeitung in den Vordergrund gerückt Häufig fehlt es jedoch an genauen Definitionen, welche konzeptionellen Organisationsformen sich dahinter verbergen. Thomas Stutenbäumer* versucht, eine Systematisierung dieses komplexen Themas vorzunehmen. Der letzte Teil beschreibt die Planung von Informationssystemen und die Modifikation bestehender Strukturen.

Wie schon an anderer Stelle bemerkt, bereitet die Beschaffung neuer Anwendungen Schwierigkeiten, da ihre Datenhaltung mit der des Unternehmens übereinstimmen muß. Die Beschaffung neuer Anwendungen sollte deshalb zentral koordiniert und kontrolliert werden. Ausnahmen sind nur in besonderen Fällen für spezielle Anwendungen wie zum Beispiel CAD oder Echtzeit-Datenverarbeitung zulässig. Im allgemeinen verwenden die auf dem Markt angebotenen Anwendungsprogramme eine eigene Datenorganisation oder ein Datenbanksystem (DBS), das nicht mit dem im Unternehmen vorgeschriebenen DBS übereinstimmt.

Die heutigen Anwendungsprogramme nutzen noch keine standardisierte Abfragesprache, die von allen in einem Unternehmen eingesetzten Datenbanksystemen umgesetzt werden kann. Demnach bleibt den Unternehmen zur Zeit nichts anderes übrig, als zwischen folgenden Alternativen zu wählen:

- es werden unterschiedliche Datenbanksysteme eingesetzt, zwischen denen sogenannte Konvertierungsprogramme zum Einsatz kommen;

- es wird eine eigene Softwareabteilung vorgehalten, die die zu beschaffenden Anwendungen auf das unternehmensweite Datenbanksystem anpaßt;

- die Softwareanbieter Müssen die Anwendungslösungen auf das vorgegebene Datenbanksystem gegebenenfalls umprogrammieren, was in der Regel zu erheblichen Mehrkosten bei der Beschaffung der Software führt;

- es wird unternehmensweit ein integriertes Softwareprodukt eingesetzt, das eine eigene einheitliche Datenspeicherung besitzt, in diesem Fall sind ein. gesetzte Anwendungen zu ersetzen, und die betriebliche Organisation von Arbeitsabläufen an die Vorgaben der integrierten Produkte anzupassen.

Welcher Weg beschnitten wird, ist für jedes Unternehmen durch Vergleich der Vor und Nachteile abzuwägen. Jedoch sollte das strategische Ziel für die Datenhaltung dabei nicht unberücksichtigt bleiben. So ist es zum Beispiel für die Einführung einer Client oder Multi-Server-Architektur sicherlich von Vorteil, die Datenbasis auf gleichberechtigte Server zu verteilen und den Zugriff der Clients auf die Daten über lokale Datenbank-Management-Systeme zu ermöglichen, als verschiedene Datenbanksysteme über ein Kommunikationsmedium zu vernetzen.

Historische Strukturen, sind zu reorganisieren

Die Planungsaufgaben umfassen die Analyse der heutigen Situation der Informationsverarbeitung, die Planung und Durchführung von Umstrukturierungsmaßnahmen sowie die Gestaltung des zukünftigen Informationssystem.

Der jeweilige aktuelle Kenntnisstand der Planung hat Rückwirkungen auf die Definition von Grundsatzentscheidungen und die Modifikation der heutigen Datenverarbeitung. Analog den exemplarisch aufgeführten Phasen zur Realisierung einer Client-Server-Architektur sind von der Planung solche Realisierungsabschnitte unternehmensspezifisch festzulegen, die aufgrund des jeweils aktuellen Wissensstandes zu modifizieren sind.

Zur Gestaltung des zukünftigen Systems zwischen drei Planungsgruppen differenziert:

- die Informationsplanung,

- die Anwendungsplanung und

- die Ressourcenplanung.

Es empfiehlt sich, vor der eigentlichen Systemplanung historisch gewachsene Strukturen von Arbeitsabläufen und Arbeitseinheiten zu reorganisieren und sukzessive an die Möglichkeiten der modernen Informationsverarbeitung anzupassen. Damit kann eine optimale Kooperation zwischen Unternehmensstruktur und der Struktur eines Informationssystems erreicht werden.

Ziel ist die Abbildung der zuvor optimierten Organisationsstruktur eines Unternehmens auf ein leistungsfähiges Informationssystem.

Innerhalb der Informationsplanung wird untersucht, wie und wo Daten im Unternehmen benötigt werden und in welchen Beziehungen sie zueinander stehen.

Durch verschiedene Erhebungsmethoden kann der gesamte Datenbestand eines Unternehmens erfaßt werden. So ist zum Beispiel mit Hilfe von Entity-Relationship-Diagrammen der Informationsbedarf aller Organisationseinheiten darstellbar und kann für die Verwendung einer unternehmensweit einheitlichen Datenbasis mit relationalem Datenbank-Management-System vorbereitet werden.

Zur Erstellung eines "unternehmensweiten Datenmodells" (UDM) sind die Datenflüsse zwischen allen Organisationseinheiten zu analysieren. Es. ergeben sich dabei in vielen Fällen Hinweise für die Reorganisation von Arbeitsabläufen. Durch die bessere Nutzung von Daten läßt sich die Produktivität eines Unternehmens teilweise in erheblichem Umfang steigern.

Die Anwendungsplanung untersucht mit Hilfe der Ergebnisse der Informationsplanung mit welchen Hilfsmitteln Verfahren und Methoden die Daten von den Organisationseinheiten bearbeitet werden können. So sind zum Beispiel auch Ein und Ausgabeformate zu definieren, die unternehmensweit einheitlich verwendet werden sollen.

Investitionen müssen geschätzt werden

In Kooperation mit der Ressourcenplanung (siehe unten) werden erforderliche Anwendungen auf die DV-technische Infrastruktur verteilt. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Anwendung auf einer kleinen, mittleren oder großen Rechenanlage zu implementieren ist.

Die Ressourcenplanung analysiert auf der Basis der Informationsplanung und in Kooperation mit der Anwendungsplanung, welche Rechnersysteme Verbindungstechniken und Peripherie-Geräte einzusetzen sind.

Mit der Einführung neuer Informationstechnologie ist unabdingbar die Reorganisation von Arbeitsabläufen und gegebenenfalls sogar von Organisationseinheiten verbunden. Hierbei werden zunächst die Erkenntnisse aus der Grobkonzeption des zukünftigen Informationssystems verwendet. je nach Entwicklungsstand der Planung können die erforderlichen Modifikationen schrittweise umgesetzt werden.

Wesentlich für den Fortschritt der Einführung verteilter Informationssysteme sind die vorbereitenden Maßnahmen an den bereits existierenden Strukturen der Datenverarbeitung. Die folgende Auflistung nennt die wichtigsten Aufgaben:

- weitestgehende Vereinheitlichung von Hardwareplattformen und Betriebssystem-Software;

- Schaffung einer unternehmensweiten Kommunikationsinfrastruktur, die auf die zukünftige Ressourcenverteilung ausgerichtet ist;

- Verteilung von Rechnerkapazitäten an die Arbeitsplätze ("Downsizing");

- Installation moderner Datenhaltungssysteme;

- Reorganisation der Abteilung "Datenverarbeitung", vorn Closed Shop zum Dienstleistungszentrum;

- Schulung von Mitarbeitern;

- Modifikation der existierenden Anwendungen;

Vor allem sind die hohen Investitionen der Vergangenheit in die Anwendungen zu schützen. Sie bestimmen im wesentlichen die heutigen Ablaufstrukturen von Geschäftsprozessen, die durch die Datenverarbeitung unterstützt werden.

Integration bestehender Anwendungen ist schwer

In der Praxis sind vier Alternativen zur Vorbereitung auf die mittelfristig angestrebte Integration bekannt:

1. Die Verarbeitung bereits existierender Anwendungen wird wie bisher fortgeführt; neue Anwendungen werden mit Hilfe neuer Methoden und Verfahren realisiert. Mit der Zeit überholen sich die alten Anwendungen durch Neuentwicklungen.

Der Vorteil dieser Methode liegt darin, daß getätigte Investitionen geschätzt werden. Aufwendig hingegen ist die gleichzeitige Wartung und Pflege des alten und des neuen Informationssystems. Zusätzliche Personalkosten müssen längerfristig eingerechnet werden, denn nur über einen langen Zeitraum können die existierenden Anwendungen durch neuere ersetzt werden.

2. Die alten Anwendungen werden auf die neue Form der Datenhaltung umgearbeitete das heißt, man verzichtet auf die bisher getätigten Investitionen.

Damit entfällt die Wartung und Pflege zweier grundlegend unterschiedlicher Systeme. Hingegen bedeutet das Ändern der alten Anwendungen einen kurzfristig hohen Personalaufwand. Die finanziellen Aufwendungen für die Änderungen sind nur schwer abzuschätzen.

3. Man setzt Endnutzer-Werkzeuge ein, die eine zentrale Verwaltung über die alten und neuen Datenhaltungssysteme schaffen. Damit kann eine Integration beider Systeme bezüglich der Datenhaltung erzielt werden. Die alten Anwendungen bleiben unverändert bestehen.

Nachteilig bleibt auch in diesem Fall die gleichzeitige Wartung und Pflege sowohl des alten, als auch des neuen Informationssystems. Hinzu kommen relativ hohe Kosten für das Endbenutzerwerkzeug.

4. Eine weitere Möglichkeit, die bisher getätigten Investitionen zu schützen, besteht darin, lediglich das Datenhaltungssystem zu vereinheitlichen, das heißt zum Beispiel, die alten Datenbestände in eine relationale Datenbank zu transformieren und Anfragen aus den alten Anwendungen über ein sogenanntes Transparency-Modul abzufangen und für das relationale Datenhaltungssystem umzuwandeln.

Problematisch ist hierbei jedoch die Übertragung der hierarchischen, satzorientierten Datenstrukturen in relationale, mengenorientierte Strukturen - dies führt unweigerlich zu Redundanzen im relationalen System, die sich dann im Antwortzeitverhalten für die alten Anwendungen auswirken und Plausibilitätskontrollen im relationalen System verhindern beziehungsweise erschweren. Darüber hinaus werden solche Re-Engineering-Instrumente nur für spezielle Anbieterspezifische Datenbanken von Mainframes angeboten, nicht aber für Datenbanken kleinerer Systeme, das heißt, eine zukünftige vertikale Integration der Datenbestände kann damit nicht ohne weiteres gewährleistet werden.

Welcher Weg für das Unternehmen der effektivere und wirtschaftlichere ist, muß aufgrund einer Abschätzung der jeweiligen Aufwendungen entschieden werden.

Fazit: Betrachtet man den Umfang der Arbeiten für die Einführung der neuen Informationstechnologie, so wird man sich fragen, warum der Auf. wand zur Realisierung eines verteilten Informationssystem gerechtfertigt ist.

Diese Frage läßt sich leicht beantworten. Wie einleitend skizziert wurde, ergeben sich aus der existierenden DV-Praxis gravierende Probleme, die ohne eine Neustrukturierung nicht beseitigt werden können. Die DV hat sich deshalb so schnell in den Unternehmen etabliert, weil mit ihrer Hilfe viele Arbeiten rationalisiert beziehungsweise effizienter gestaltet werden konnten.

Eine Fortsetzung der heutigen dezentralen DV-Organisation würde schon mittelfristig unüberschaubar werden. Die ursprünglichen Rationalisierungseffekte und Effizienzsteigerungen schlagen um in einen größeren Verwaltungs- und Abstimmungsaufwand.

Darüber hinaus können die mit der Weiterentwicklung der DV einhergehenden, höheren Anforderungen an die Informationsverarbeitung der Unternehmen nur dann langfristig erfüllt werden, wenn auch entsprechende unternehmensweite integrierte Informationssysteme aufgebaut werden. Diese Serie versucht, elementare Grundlagen für die Gestaltung von Informationssystemen zusammenhängend darzustellen. Strukturelle Unterschiede von Rechnerhardware und Betriebssystemen, Organisationsformen der Kommunikation und der Datenhaltung sowie die konzeptionelle Gestaltung von Anwendungen in verteilten Systemen werden zusammenfassend gegenübergestellt.