CWLeserbriefe

Nobelpreisverdächtig, Herr Gallmann, ...

12.04.2005

CW 13/05, Seite 5: "Das Potenzial von IT wird zurzeit wiederentdeckt", und CW 12/05, Seite 14: "Microsofts großer ERP-Wurf bleibt aus".

... insbesondere das farblich markierte Zitat: "Es gibt in der Softwareentwicklung ein paar allgemein gültige Erkenntnisse", die sich anscheinend auch schon zu Microsoft durchgesprochen haben. Oder etwa doch nicht?

Denn Sie glauben wohl selbst keine Sekunde daran, dass es Microsoft oder sonst wer schaffen könnte, bis 2008 oder 2020 unterschiedlichste technologische Produkte wie Axapta, Navision, Great Plains, Solomon und Microsoft CRM so zusammenzubringen, dass Sie, Zitat: "Voraussichtlich ab 2008 (...) die bisherigen Module der einzelnen Projekte in Business-Objekte gewandelt (haben), die man dann individuell kombinieren kann."

Das hört sich an, als ob Ferrari seinen neuen F2008 ankündigen würde mit: Aus je einem alten VW Golf, Ford Escort, und Opel Kadett werden unsere Ingenieure durch freies Zusammenstellen von Golf-Kotflügeln, Escort-Fahrgestell etc. den hochmodernen F2008 komponieren. So lesen sich Ihre Versprechungen, und ich hoffe, dass Ihre Kunden sich diese vertraglich zusichern lassen. Ab 2008 wird Microsoft dann "Prozessrechner" bauen.

Spitze.

Herr Gallmann, lesen Sie doch einfach mal die CW 14/05! Sie werden dann sehen, dass Ihr Haus es nicht einmal schafft, einzelne Produkte wie die Navision-Versionen 2.60 bis 4.0 bis zum Jahr 2008 zu vernünftigen Kosten Release-fähig zu halten. Auch eine gültige Erkenntnis - sicherlich auch bei Microsoft. Schlaue Leute in Ihrem Hause, übrigens auch bei SAP, haben dagegen schon erkannt, dass mit den heutigen alten Produkten in der Zukunft kein Geld mehr zu verdienen ist.

Insofern wäre es viel weniger revolutionär als vielmehr zwingend notwendig gewesen, wenn Ihr vergleichsweise kapitalkräftiges Unternehmen sein Projekt "Green" auch offiziell durchgehalten hätte. Verlassen Sie sich drauf: Irgendwann werden auch die Anwender draußen merken, dass Ihre evolutionäre Produktphilosophie nur etwas mit Marketing, aber gar nichts - wirklich gar nichts - mit Einsatz von moderner Technologie im eigentlichen Sinne zu tun hat.

Das sollte sich mal ein Mittelständler leisten: Wie Microsoft und SAP zweimal im Jahr neue Produkte ankündigen, alte Produkte abkündigen, dann doch Release-Pläne bis 2012 schreiben und so weiter. Selbst Kunden sind nur Menschen, die bei aller Betriebsblindheit merken, dass jemand, der ein Produkt abkündigt, erkannt haben muss, dass darin keine Zukunft mehr steckt. Aber klar: Mir würde es auch schwerste Kopfschmerzen bereiten, wenn ich wie Sie die nächsten Jahre im Neukundengeschäft ohne wirklich moderne Lösungen überbrücken müsste. Ihre Strategie heißt offenbar: "evolutionärer Weg" oder zu Deutsch: "Hinhalten der Kunden".

Nobelpreisverdächtig. Und weiter so mit den allgemein gültigen Erkenntnissen in der Softwareentwicklung...

Karl Langenstein,

Vorstand e.bootis AG,

Am Luftschacht 21, 45307 Essen