Nichts fuer Buerokraten: SNI baut in Rotchina PCs fuer ganz Asien

12.05.1995

FUZHOU - Wolkenbruchartiger Regen ergiesst sich auf die sechsspurige Ueberlandstrasse. In der Dunkelheit beleuchten die Scheinwerfer unseres japanischen Jeeps die Fahrbahnmarkierungen, an die sich hier aber niemand haelt. Wir passieren unbeschadet drei Unfaelle auf den 50 Kilometern zwischen der Hafenstadt Fuzhou und Fuqing, dem Sitz der PC-Fertigung von Siemens-Nixdorf.

CW-Reportage, Kriemhilde Klippstaetter

Ein bisschen trostlos wirkt die Yuanhong Road schon, die sich schnurgerade kilometerlang durch das Industriegebiet von Fuqing zieht. Rechts und links erstrecken sich flache Gebaeude moderner Industriebetriebe, immer umgeben von weitlaeufigen Gruenanlagen - die Chinesen lieben Blumen. Die Strasse selbst ist das Geschenk eines reichen Taiwan-Chinesen. "Mr. Lin" ist der Foerderer der Gegend und verfuegt ueber ausgedehnten Grundbesitz. Er ist, so scheint es, die graue Eminenz, von der auch Siemens-Nixdorf profitierte.

Wie so oft, spielte Mr. Zufall eine wichtige Rolle bei der Wahl des Standorts der SNI-Fabrikation in der Volksrepublik China. Michael Maquet, der leitende Siemens-Mann vor Ort, erzaehlt ueber den Start der Unternehmung - wie Lin ihn Anfang 1994 mit Jason Hsuan bekannt machte, dem Geschaeftsfuehrer der taiwanischen Top Victory Electronics Ltd. Das Unternehmen produzierte bereits in Fuqing Monitore.

Maquet, acht Jahre fuer Siemens in Hongkong stationiert, zoegerte nicht lange. Im Maerz vergangenen Jahres begannen die Verhandlungen mit Top Victory und den chinesischen Behoerden. Ein Joint-venture wurde gegruendet, die Siemens-Nixdorf PC Ltd., an der SNI einen Anteil von 70 Prozent haelt, 20 Prozent der Staat und zehn Prozent der taiwanische Monitorhersteller. Bereits im Oktober begann die PC-Fertigung an der Yuanhong Road.

Maquet nutzte die Chance, von dem Partner aus Taiwan nicht nur die benoetigten Gebaeudekapazitaeten zu mieten, sondern auch gleich dessen Haendler- und Partnernetz als Vertriebskanaele in China zu nutzen. So verfuegt die junge Firma nach einem halben Jahr bereits ueber knapp 200 inlaendische Verkaufsstellen, in Shanghai stehen Siemens-PCs auch in den Regalen eines Kaufhauses. In Peking, Shanghai und Kanton sollen - unter der Leitung von chinesischen Managern - Verkaufslaeden eroeffnet werden.

Um den Namen SNI bekannt zu machen, wurde eine Million Mark in Werbung investiert. Zwei Microsoft-Schulen werden unterstuetzt, 25 PCs stehen an der Universitaet in Peking, die Studenten in Shanghai arbeiten ebenfalls mit 25 SNI-Rechnern. Wichtig fuer das persoenliche Image der Chinesen sei es, Importware zu verwenden, erklaert Maquet den Hinweis auf das Mutterland Deutschland in der Werbung und auf dem fertigem Produkt.

Gemogelt ist das nicht, die Hauptplatine stammt aus der Augsburger Produktion. Derzeit ueberlegt SNI allerdings, ob nicht das Werk in Indien, in dem Midrange-Rechner gefertigt werden, auch die PC- Boards fuer den asiatischen Wirtschaftsraum herstellen sollte, die dann zum Grossteil nach Fuqing geliefert wuerden. Dort will SNI zukuenftig die PCs fuer Gesamtasien produzieren.

Fuer 1995 schaetzt Maquet allein den Markt in China auf eine Million Stueck, zehn Prozent davon will er liefern. Die Planzahlen fuer das erste Jahr sehen die Fertigung von 25000 PCs vor, die man leicht erreichen werde. Fuer die Periode 1995/96 peilt er die 100000er Marke an. Damit waere man dem Plan um ein Jahr voraus.

Derzeit beschaeftigt der SNI-Manager 25 Mitarbeiter, darunter drei Deutsche. Christoph Singer ist als kaufmaennischer Leiter mit nach China gekommen. Er ist bislang sehr zufrieden mit der Kostenentwicklung: "Den Break-even-Punkt erreichen wir weit unterhalb eines Ausstosses von 50 000 PCs, vielleicht machen wir schon bei 25 000 Stueck Gewinn."

Zu kaempfen hat er hauptsaechlich mit der Logistik. Geliefert wird ueber den 50 Kilometer entfernt liegenden Freihafen in Fuzhou, und fast immer muss bei den Behoerden oder Verladern um Termintreue gekaempft werden. In Containern mit je 100 Stueck treten die PCs ihre Reise an: Philippinen oder Thailand steht meist auf den Frachtpapieren - noch sind dies die Hauptabnehmerlaender. Als Investitionsperspektiven gelten Japan, Korea und Australien.

Der chinesische Staat schreibt vor, dass nur 30 Prozent der Produktion im Inland abgesetzt werden duerfen, 70 Prozent muessen exportiert werden. Allerdings sei es moeglich, Quoten von anderen Firmen zu kaufen, erklaert Singer die Praktiken, 16 Jahre nachdem Staatschef Deng Xiaopings dosiert den Kapitalismus einfuehrte.

Eine Episode, die die oft ungewohnten Praktiken im Land des Laechelns verdeutlicht, gibt Finanzchef Singer zum besten: Anfang 1995 beschloss die chinesische Regierung, nach westlichem Vorbild Sozialabgaben fuer Arbeitnehmer einzufuehren. Nach dem Motto "Was des Staates ist, das nimmt er sich" griffen die Finanzbehoerden ohne Vorwarnung auf das Geschaeftskonto der Siemens-Fabrik zu. Die chinesische Bank duldete den Eingriff und liess den Betrag abbuchen. Manager Singer ueberlegt deshalb derzeit, ob man nicht das Konto in das 750 Kilometer entfernte Shanghai verlegen sollte, dort hat die Dresdner Bank eine Geschaeftsstelle eroeffnet.

Eine andere Vorschrift fuer auslaendische Investoren sieht vor, dass die fertigen Produkte zu mindestens 20 Prozent aus chinesischer Produktion stammen muessen. Zugekauft werden deshalb vor Ort Festplatten von Conner, Floppys von Teac und Maeuse von Logitec, die in der Gegend um die Provinzhauptstadt Fuzhou ebenfalls Joint- ventures betreiben. Hinzu kommen die Monitore vom Partner Top Victory. Demnaechst will man auch Drucker, CD-ROM-Laufwerke und Multimedia-Karten aus chinesischer Fabrikation einsetzen.

Produziert werden 486er PCD-4H- und Scenic-PCs mit PCI-Bus, Pentium-Maschinen sollen demnaechst vom Band laufen. Jeder der chinesischen Arbeitnehmer/ innen in der Fertigung montiert einen kompletten PC in rund 30 Minuten. Sie sollen spaeter, wenn die Produktion ausgeweitet wird, als Vorarbeiter die neuen Arbeitskraefte anlernen. Bei der Preisgestaltung orientiert sich Geschaeftsfuehrer Maquet am PC-Hersteller Compaq, der auch in China fertigt. "AST und IBM sind hier ebenfalls stark vertreten; wir profitieren vom Namen Siemens."