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Zu simpel macht simpel

Nicholas Carr fordert kompliziertere Technik

20.09.2010
Von pte pte
Der IT-Autor Nicholas Carr fordert ein Umdenken bei der Usability: Kompliziertere Technologie soll den geistigen Verfall der User verhindern.

Die rasante technologische Entwicklung und der Siegeszug des Internets haben das Leben der Menschen grundlegend verändert. Während einige in diesem Zusammenhang von einem "enormen Fortschritt" sprechen, sind andere diesbezüglich wesentlich pessimistischer. Der US-Autor und Tech-Experte Nicholas Carr ("Does IT matter?") kritisiert, dass moderne Technologien ihren Nutzern einen Teil ihrer intellektuellen Leistungsfähigkeit entziehen würden. Um einen "geistigen Verfall" zu verhindern, sollten Anbieter bzw. Entwickler deshalb dafür sorgen, dass ihre Dienste in puncto Usability nicht einfacher, sondern komplizierter gestaltet werden.

"Wir werden mit ziemlicher Sicherheit eine Verminderung - oder sogar eine Ausmerzung - spezieller Qualitäten des menschlichen Gehirns erleben", gibt sich Carr in einem aktuellen Interview mit dem "BBC World Service" überzeugt. Als Beispiele verweist der Autor des Buches "The Shallows: What the Internet Is Doing to Our Brains" auf Satelliten-Navigatonssysteme oder Internet-Suchmaschinen à la Google. Beide würden Menschen in Sekundenschnelle mit Informationen versorgen, die sie ansonsten in mühevoller Gehirnarbeit selbst finden müssten. "Hier werden intellektuelle Kapazitäten abgebaut", so Carr.

Der Forderung, die Websuche für die User komplizierter zu gestalten, bringt der Internetkonzern Google erwartungsgemäß wenig Verständnis entgegen. "Der Trend geht eindeutig genau in die Gegenrichtung", erklärt Unternehmenssprecher Stefan Keuchel auf Nachfrage von pressetext. Usability und Geschwindigkeit seien heute entscheidende Kriterien für die Nutzer. "Je schneller und einfacher sie ans Ziel kommen, desto besser", betont Keuchel.

Neue Entwicklungen und Features wie das kürzlich gestartete Google Instant, das User schon während der Eingabe von Suchbegriffen mit automatischen Ergebnissen beliefert, seien als nützliche Hilfestellungen gedacht. "Wir haben festgestellt, dass diese neue Funktion den Usern im Schnitt zwischen zwei und fünf Sekunden pro Suche spart. Das bedeutet nicht, dass dem Nutzer das Denken völlig abgenommen wird. Er hat dadurch einfach mehr Zeit, sich den nachfolgenden Aufgaben zu widmen", erläutert Keuchel.

Zur Untermauerung seiner These verweist Carr unter anderem auf eine nicht näher benannte Studie. Diese habe bewiesen, dass Internet-Suchmaschinen schon bei einer geringen Nutzungsdauer von einer Stunde pro Tag Veränderungen im Aktivitätsmuster des menschlichen Gehirns hervorrufen können. "Es scheint, als wären gerade jene Bereiche betroffen, die die Konzentrationsfähigkeit der User erschweren", schildert Carr.

Innerhalb seiner grundsätzlich kritischen Äußerungen gesteht der US-Autor aber auch mögliche positive Effekte der modernen Technologien - insbesondere im Bereich des Internets - ein: "Die Studie zeigt, dass bei Websuchen die Gehirnregionen, die für die Entscheidungsfindung zuständig sind, stärker aktiviert waren. Auf diese Weise könnte etwa dem geistigen Abbau während des Alterungsprozesses entgegengewirkt werden." (pte)