Open-Source-Systeme/Experimente im Open-Source-Marketing: Source Xchance und Cosource

Neues Geschäftsmodell: die offene Auftragsentwicklung

12.05.2000
Eine Unmenge wichtiger Softwareprojekte liegt wegen Fachkräftemangel auf Eis, denn auf dem Arbeitsmarkt gibt es keine guten freien DV-Spezialisten. Andererseits existieren rund um den Globus verteilt Tausende Open-Source-Programmierer, die sich seit Jahren sehr engagiert um die optimale Programmierung für spezifische Teilprobleme kümmern. Man müsste beide zusammenbringen.Von Eva-Katharina Kunst*

Open-Source-Auftragsentwicklung heißt das Zauberwort. Den Kontakt zwischen suchenden Anwendern und freien Open-Source-Programmierern stellen Dienste wie Sourcexchange oder Cosource her. Die Unternehmen sind Ende vergangenen Jahres fast zeitgleich gestartet. Beide verstehen sich als eine Art Börse oder Marktplatz für Open-Source-Entwicklungen. Sie verwirklichen eine Variante so genannter Web-Auktionen, bei denen Projektvorhaben veröffentlicht werden und interessierte Parteien Angebote abgeben können.

Das neue Open-Source-Modell ist jedoch mehr als nur eine Job-Börse. Die Dienste begleiten und koordinieren den gesamten Open-Source-Entwicklungsprozess und versuchen dabei, die Ansprüche sowohl der Sponsoren als auch der Entwickler zu schützen. Als generelle Bedingung gilt stets: Jegliche Softwareentwicklung muss unter eine Open-Source-Softwarelizenz gestellt werden.

Sourcexchange (http://www.sourcexchange.com), das als Projekt des O´Reilly-Verlags unter Mithilfe von Hewlett-Packard entstand, vergibt allerdings den Entwicklern wie auch dem Sponsor ein eigenes Copyright auf den entstandenen Code. Das heißt im KlarteXT:Anders als bei der GNU Public Licence (GPL), die die Weiterverwertung des Codes unter andersartigen Lizenzen verbietet, kann hier jede der beiden Parteien die Software unter einer neuen Lizenz relizenzieren. Der für die Öffentlichkeit verwertbare Open-Source-Quellcode verbleibt auf der Sourcexchange-Website.

Brian Behlendorf, Chief Technical Officer (CTO) und Mitbegründer von Sourcexchange, sieht seinen Markt vor allem in der großen Zahl generisch lösbarer Probleme. In diese Zielgruppe fallen denn auch die häufigsten der angetragenen Softwarewünsche: Java-E-Commerce-Komponenten, ein Telefon-Open-Source-Interface, Templates für Web-Applikationen, ein Remote-Desktop mit E-Speak-Features, grafische Interfaces für objektorientierte Browser (OO-Browser) etc.

Diese Vorschläge - so genannte Requests for Proposals (RFP) - sind erster Bestandteil des festgelegten Prozedere im Projektablauf. Haben Unternehmen, die Entwickler suchen, sich auf der Website als Sponsorwillige registrieren lassen und zugestimmt, sie auch zu bezahlen, wird ihr Projektwunsch zunächst intern begutachtet.

Im nächsten Schritt wird der RFP auf die Website gepostet. Dieses öffentliche Review durch die Entwickler liefert einen ersten Input über mögliche Projektansätze oder bereits existierende Codebasen, auf die aufgesetzt werden könnte. Zugleich sind die derzeit rund 1300 registrierten Entwickler aufgerufen, konkrete Projektvorschläge abzugeben.

Die folgende Phase ruft einen von Sourcexchange eingesetzten und bezahlten "Peer Reviewer" auf den Plan. Er ist Vertrauensperson und Mentor, Schiedsrichter und neutrale dritte Partei für Auftraggeber und Entwickler. Es handelt sich dabei um ein erfahrenes Mitglied der Open-Source-Szene, das für die Qualität der Entwicklung sorgen soll. Dazu fungiert der Peer Reviewer als Instanz für das bei Open-Source-Entwicklungen typische große Feedback. Um die Entwicklung transparent zu halten und weitere Kommentare durch die Entwicklergemeinschaft zu erhalten, werden zusätzlich projektspezifische, aber öffentliche Diskussionsforen eingerichtet.

Auch für den Sponsor ist der Peer Reviewer die wichtigste Anlaufstelle. Er hilft ihm bei der Wahl eines geeigneten Vorschlags unter den eingegangenen Angeboten und prüft gemeinsam mit ihm das Erreichen festgesetzter Meilensteine (Code, Dokumentation, Qualitätschecks oder gar Support für ältere Software), die ihm zeigen sollen, ob es mit seinem Projekt vorangeht. Mit jeder Freigabe eines Meilensteins erhalten die Entwickler einen Teil der vereinbarten Entlohnung. Nach Projektende werden die Ergebnisse veröffentlicht und der Code zum Downloaden freigegeben.

Hewlett-Packard war durch Projektbedarf Initiator und sicherte als erster und einziger, hier Sponsor genannter Auftraggeber die Betaphase. Seit Dezember vergangenen Jahres steht der Service jedermann offen. Inzwischen sind zwei Projekte abgeschlossen, 13 laufen noch, und acht Requests for Proposals warten auf konkrete Entwicklungsvorschläge.

Auch Entwicklungsprojekte für Einzelanwender

Aufträge kann inzwischen jeder erteilen. Die Services wenden sich sowohl an professionelle als auch an private User. Auch die Entwickler selbst können Ideen für Projekte anregen, die sie gern gesponsert sähen. Diese Wunschliste wird von Sourcexchange kategorisiert und für Sponsoren veröffentlicht.

Behlendorf sieht die kritische Masse jedoch erst erreicht, wenn mehrere Endanwender sich organisieren, um einen gemeinsamen Fonds für ein spezielles Projekt einzurichten, das sie als Anwender brauchen: "Wenn 1000 Open-Source-Anwender beispielsweise 20 Dollar ausgeben, um besseren Audio-Streaming-Support zu erhalten, ist es sehr wahrscheinlich, dass jemand aus der Gemeinschaft das Problem löst."

Wer sich über fehlende Teile freier Software beschwert, könne nun selbst in diese investieren, meint auch der Gründer und CEO des Konkurrenten Cosource (http://www.cosource.com), Bernie Thompson. Das zweite Online-Forum, bei dem Auftraggeber für Open-Source-Produkte auf Entwickler treffen, wurde im Dezember von Applix aufgekauft.

Das Unternehmen orientiert sich mehr an kleineren Auftraggebern, wie die 13 bisher abgewickelten Projekte belegen. Die hauptsächliche Cosource-Zielgruppe und ihre Ausgangslage umschreibt Thompson wie folgt: "Es sind meistens Open-Source-Anwender, die ein Problem mit ihrer Software haben, aber nicht in der Lage oder willens sind, es selbst zu lösen."

Das Auftragsvolumen ist entsprechend niedrig und beläuft sich in den meisten Fällen auf weniger als 1000 Dollar. Cosource hat gar für Open-Source-frustrierte Anwender ein spezielles Forum eingerichtet, in dem sie ihre Probleme darlegen und sich mit anderen Anwendern sowie Entwicklern austauschen können. Entwickler wiederum können das Feedback der Anwender sammeln und bei Bedarf ein neues Projekt initiieren.

Doch auch im Fall Cosource beginnen größere Investoren, ihre Softwareentwicklung auszulagern. Beispielsweise ging die Linux-Company Lineo versuchsweise einen Kontrakt mit Cosource ein, um die integrierte grafische Programmierumgebung "K-Develop" für die Entwicklung eingebetteter Systeme zu verbessern.

In der Herangehensweise an Projekte unterscheidet sich Cosource von Sourcexchange: Den extensiven Review-Prozess durch eine unabhängige Instanz und die Regelung, die Entwickler abschnittsweise zu bezahlen, gibt es hier nicht. Erst wenn das Projekt zu Ende geführt ist, wird es begutachtet, und die Entwickler werden entlohnt.

Die Zeiten, in denen die Open-Source-Entwickler sich allein mit dem Schreiben freier, technisch anspruchsvoller Software beschäftigten, sind endgültig vorbei. Behlendorf und Thompson sind Beispiele für Entwickler, die erfolgreich eigene Unternehmen im Open-Source-Umfeld platziert haben.

Behlendorf stört das Image von Open-Source: "Manche Leute halten die Open-Source-Gemeinschaft immer noch für eine Bande von Code-Hackern, die nicht durch weltliche Freuden gestört werden will." In Wirklichkeit schrieben die Entwickler aber Software aus ganz unterschiedlichen Motiven: um ein spezielles Problem zu lösen, um an einem anspruchsvollen Projekt mitzuwirken, wegen der Anerkennung oder - im Glücksfall - gegen Bezahlung.

Von der Allianz mit kommerziellen Unternehmen verspricht sich Behlendorf einen weiteren Schub für Open-Source-Entwicklungen: "Langfristig hoffen wir, dass Firmen zunächst an uns denken, wenn sie Softwareentwicklung outsourcen wollen." Und Thompson meint: "Die Tatsache, dass diese Open-Source-Softwareentwicklung erfolgreich ist, ohne dass Kapital dahintersteht, ist großartig. Doch Kapital kann es noch besser machen."

* Eva-Katharina Kunst ist freie Journalistin in Kempen.