Neues Ausbildungskonzept bei der Zuercher Kantonalbank (ZKB) DV-Profis lernen am Schalter die Probleme des Anwenders kennen

17.06.1994

Vom Arbeiten mit objektorientierten Programmen ueber Erlernen von kundenorientiertem Verhalten bis zum zweiwoechigen Aufenthalt in einer Filiale reicht das Ausbildungsprogramm der Informatiker bei der ZKB. Marianne Payer und Rainer Sprau* berichten ueber Erfahrungen mit diesem interdisziplinaeren Konzept.

Die Zuercher Kantonalbank realisiert im Rahmen mehrerer, kurz- bis mittelfristig angelegter Informatik-, Kommunikations- und Logistikprojekte den sogenannten "Bankarbeitsplatz 90" (BAP 90). Dabei sind an einigen tausend Arbeitsplaetzen Client-Server- gestuetzte Anwendungssysteme mit grafischer Benutzeroberflaeche vorgesehen.

Der Ausbildungsmarkt bot keinen adaequaten Kurs an

Die BAP-90-Projekte bieten ein hohes Potential fuer die berufliche Entwicklung von Informatikern in den Bereichen Systems- Engineering, Software-Engineering, Telekommunikation, Logistik und Projektfuehrung. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen.

Bankintern und auf dem gesamten Arbeitsmarkt fuer Informatikfachkraefte bestand ein Defizit an Mitarbeitern mit Kenntnissen der erwaehnten Methoden und Werkzeuge. Die ZKB bot daher jungen qualifizierten Uni-Informatikern eine begleitende Einfuehrung in die Ingenieurpraxis im Rahmen des bankeigenen Open- Systems-Engineering-(OSE-)- Lehrgangs. Die Direktion Informatik der ZKB beauftragte die Abteilung Informatikerausbildung mit der Durchfuehrung des Lehrgangs und der Auswahl der Teilnehmer.

Auf dem Ausbildungsmarkt wurde keine solche Veranstaltung angeboten. In einer fuer uns neuen interdisziplinaeren Zusammenarbeit zwischen der Informatik, der Personalabteilung, dem Ausbildungszentrum der ZKB und der Firma DEC entstand die Struktur des OSE-Lehrgangs.

Fuer die einzelnen Kurseinheiten wurden Angebote verschiedener Ausbildungsanbieter eingeholt und der jeweils ueberzeugendste beauftragt.

Vorteile:

- verschiedene Blickwinkel der Open-Systems-Anbieter koennen durch die Teilnehmer diskutiert werden,

- fuer jedes Thema kann der Beste auf dem Markt bestimmt werden,

- es besteht Konkurrenzdruck unter Anbietern,

- unterschiedliche Referenten setzen unterschiedliche didaktische Konzepte ein, was die Informationswiedergabe fuer die Teilnehmer interessanter macht und die Aufnahmefaehigkeit erhoeht und

- die Offenheit der Systeme wird demonstriert.

Nachteile:

- erhoehter Koordinations- beziehungsweise Kommunikationsaufwand fuer den Kursverantwortlichen zur Abstimmung der einzelnen Referenten untereinander,

- nicht alle Teilnehmer sind in der Lage, den roten Faden zu finden.

Alternativ waere die Gestaltung des Kurses durch einen oder wenige Referenten moeglich gewesen, die ein umfassendes Kursangebot zur Verfuegung stellen. Allerdings hat kein Anbieter auf dem Markt einen groesseren Teil der gewuenschten Lehrinhalte in seinem Angebot gehabt oder eine gewisse einschlaegige Erfahrung nachweisen koennen. Deshalb wurde zugunsten vieler Einzelreferenten entschieden. Fuer die Bank ergab sich daraus ein grosser Gewinn an Erfahrungen ueber die Zusammenarbeit mit den Ausbildungsanbietern und die didaktischen Faehigkeiten der Open- Systems-Cracks.

Fuer die Verteilung von Theorie und Praxis standen grundsaetzlich zwei Varianten zur Diskussion:

- Theorie und Praxis gemischt, mit einer sukzessive erweiterten, kursbegleitenden Fallstudie oder

- zunaechst Theorievermittlung, danach in sich geschlossener Praxisteil mit einer real im Bankbetrieb benoetigten Applikationserstellung als Lehrprojekt.

Die zweite Variante wurde gewaehlt, obwohl sie fuer den Projektleiter Mehraufwand und fuer die Lehrgangsverantwortliche das groessere Risiko bedeutete. Einerseits musste zu einem fruehen Zeitpunkt ein geeignetes, einigermassen abgeschlossenes Teilprojekt gefunden werden, andererseits entfiel der betraechtliche Aufwand fuer eine unproduktive Fallstudie. Die Herausforderung an die Teilnehmer war gross, konnte doch die Erreichung der Lernziele direkt am Projekterfolg gemessen werden. Entsprechend hoeher war die Motivation.

Die Open Systems Engineers wurden von Beginn an auf die Beruecksichtigung von Wirtschaftlichkeitsfaktoren sensibilisiert. Ihre Arbeit, das Entwickeln von Anwendungsprogrammen, hat dann fuer die Bank einen Nutzen, wenn sie den Anwender in seiner taeglichen Arbeit unterstuetzen. Damit dieser Aspekt in der Praxis bewusst bleibt, erlebten die OSE-Teilnehmer die Situation ihrer "Kunden" live waehrend eines zweiwoechigen Einsatzes in einer Zweigstelle. Zuvor wurden sie ins Bankgeschaeft eingefuehrt und theoretisch auf ihren Schaltereinsatz vorbereitet.

Die Ausbildungsinhalte des OSE- Lehrgangs gliederten sich in folgende fuenf Teilgebiete:

- Kennenlernen der bestehenden Informatikinfrastruktur und - organisation der Zuercher Kantonalbank,

- Vertiefung der Kenntnisse ueber die im BAP-90-Projekt angewandten Entwicklungsmethoden und Einarbeitung in die geschilderte Entwicklungsumgebung (siehe Kasten), sowie Erweiterung des Wissens ueber Entwurf und Implementierung von offenen Systemen,

- beruflich relevante Persoenlichkeitsbildung und Unterstuetzung des Teambildungsprozesses,

- Einfuehrung der Hochschulinformatiker in die neue Materie des Bankgeschaeftes und Konfrontation mit dem Einsatz der Applikationen direkt im praktischen Bankbetrieb sowie

- Aufarbeitung und Anwendung der erworbenen theoretischen Kenntnisse in einem zweimonatigen Lehrprojekt.

Die bestehende Informatikinfrastruktur der ZKB wurde den Lehrgangsteilnehmern in erster Linie durch Praesentationen und Diskussionsrunden mit den Verantwortlichen der einzelnen Abteilungen vermittelt. Ausserdem mussten in kleinen Gruppen bestimmte Teilgebiete durch Interviews mit erfahrenen Mit- arbeitern und Studium von Handbuechern, Anweisungen etc. selbst erarbeitet und anschliessend im Kollegenkreis vorgestellt werden. Besonderes Gewicht wurde dabei auf die Bereiche Rechenzentrumsbetrieb, Mainframe-basierte Applikationsentwicklung, kommerzielle Transaktionsverarbeitung und Informatikgesamtkonzept gelegt. Weitere wichtige Bestandteile waren die Einfuehrung in das unternehmensweite Datenmodell sowie die Projekt-Management- und Qualitaetssicherungskonzepte der ZKB.

Die Erlangung von BAP-90-spezifischen Engineering-Kenntnissen war naturgemaess der umfangreichste und wichtigste Teil der fachlichen Ausbildung. Einerseits wurde die Handhabung der benoetigten technischen Hilfsmittel gelehrt. Das fing beim Textverarbeitungssystem (Framemaker) und den Dokumentationsrichtlinien an und reichte ueber das Betriebssystem (Unix) und seine Shell-Programmierung sowie die eingesetzte Workbench bis zu den Werkzeugen fuer Konfigurations-Management und Versionskontrolle (Process Weaver und CMVC).

Andererseits wurde grossen Wert auf detailliertes Wissen ueber objektorientierte Techniken in Analyse, Design und Implementierung gelegt. Um von Anfang an eine kompromisslose objektorientierte Denkweise bei den Kursteilnehmern zu erreichen, wurde zunaechst ein Kurs in objektorientierter Analyse nach G. Booch, ergaenzt durch eine Einfuehrung in das Designtool Rational Rose, durchgefuehrt. Daran anschliessend ging es erst an die Abbildung von objektorientierten Systemen in der Programmiersprache C++.

Vertrauensperson sucht das Fuehrungspotential

Der anwenderfreundlichen Gestaltung der Benutzeroberflaeche kommt bei der Entwicklung des neuen Bankarbeitsplatzes eine besondere Bedeutung zu. Folgerichtig bereitete ein einwoechiger Kurs in ergonomischem Design von grafischen Benutzeroberflaechen die eigentliche Ausbildung in der Implementation von Oberflaechen vor. Eine Einfuehrung in das fuer die Oberflaechenentwicklung gewaehlte Werkzeug (das User-Interface- Management-Tool ISA Dialog Manager) war danach unabdingbar.

Abgerundet wurde die informatikspezifische Ausbildung durch eine Schulung in Konzeption und Realisierung von verteilten Anwendungen unter dem Standard OSF/DCE und den Zugriff auf relationale Datenbanken mittels Embedded SQL.

Die Einfuehrung in das fuer Informatiker relativ unbekannte Bankfach passierte in erster Linie durch einen zweiwoechigen Filialaufenthalt. Waehrend dieser Zeit sollten die zukuenftigen Software-Ingenieure alle Taetigkeiten eines Bankkassierers nicht nur aus erster Hand kennenlernen, sondern auch selbst ausfuehren. Damit sollte zum einen das Verstaendnis fuer die Probleme des Anwenders gefoerdert und zum anderen die theoretische, teilweise mit Computer Based Training (CBT) unterstuetzte, Bankfachausbildung praktisch ergaenzt werden.

Neben fachlichen Aspekten ist die Kommunikation innerhalb eines Teams und die Praesentation von Arbeitsergebnissen nach aussen von grosser Bedeutung fuer den Erfolg eines Informatikprojektes. Entsprechend wurde der Lehrgang durch Kurse in Kommunikations-, Praesentations- und Arbeitstechnik ergaenzt.

Den Abschluss des OSE-Lehrgangs bildete ein zweimonatiges Lehrprojekt, das der Integration und erstmaligen praktischen Anwendung der bisher erworbenen theoretischen Kenntnisse diente. Gegenstand des Projektes war die Entwicklung einer Applikation zur Steuerung der Management-Funktionen eines automatischen Kassentresors (Akt). Das Projekt wurde in allen Phasen einschliesslich Projekt-Management eigenverantwortlich durch das OSE-Team ausgefuehrt.

Das Team hatte sich dabei gegenueber dem Auftraggeber, dem BAP-90- Projektleiter, als Dienstleistungslieferant zu profilieren. Um in kritischen Situationen Unterstuetzung bieten zu koennen, wurde der Gruppe ein erfahrener Projektleiter beratend zur Seite gestellt. Der Ausbildungseffekt des Projektes wurde durch Job-Rotation innerhalb der Open Systems Engineers maximiert.

Eine intensive Zusammenarbeit mit den heutigen ZKB-Informatikern schon waehrend des Lehrgangs erleichterte das Verstaendnis der Open Systems Engineers fuer die Gesamtinformatik der ZKB. Zudem erhielt jeder Kursteilnehmer waehrend der Ausbildung einen sogenannten Goetti oder eine Gotte als Ansprech- und Vertrauensperson zugeteilt. Damit erreichte die Bank folgende Zielsetzungen:

- eine intensive, auch individuelle Betreuung waehrend des Lehrgangs, damit die Kontinuitaet fuer dieses zukuenftige Mitarbeiterpotential gewaehrleistet ist,

- die Integration des Open Systems Engineers in das Arbeitsumfeld BAP 90, in die Informatik und in die ZKB sowie

- Foerderung einzelner Mitarbeiter bezueglich Fuehrung und Coaching anderer Mitarbeiter.

Die Projektarbeit gilt als Qualitaetsmassstab

Nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren rekrutierte die Bank elf Teilnehmer, darunter eine Frau. Fachliche Voraussetzung war ein Informatikstudium oder eine aequivalente Ausbildung. Daneben galten als wichtigste Kriterien strategische Kompetenz, Faehigkeit zum Denken und Handeln als Ingenieur, Zielstrebigkeit, Kooperationsbereitschaft, sprachlicher Ausdruck, Belastbarkeit und Ausdauer.

In einer Abschlussveranstaltung erhielt jeder Open Systems Engineer die Gelegenheit, sich und seine Arbeit einem Gremium, bestehend aus dem Leiter Informatik, dem direkten Vorgesetzten, dem Goetti und einem Vertreter der Personalabteilung und des Ausbildungszentrums, zu praesentieren. Diese Veranstaltung in Verbund mit dem unter realistischen Produktionsbedingungen durchgefuehrten Projekt laesst sich als Qualitaetsmassstab fuer die absolvierte Ausbildung heranziehen.

*Marianne Payer ist Leiterin der Informatikerausbildung bei der Zuercher Kantonalbank (ZKB), Rainer Sprau ist Absolvent des Open- Systems-Engineering-(OSE-)Lehrgangs, auf den die Autoren im Artikel eingehen.

Grafik: Aufwand fuer einzelne Arbeitsbereiche

Die Ausbildung von Informatikern bei der Zuercher Kantonalbank widmet sich fast zu dreiviertel dem Software-Engineering und der Projektarbeit.

Die Informatikinfrastruktur

bei der Zuercher Kantonalbank

Die Server (RISC) der Zuercher Kantonalbank (ZKB) werden unter Unix mit dem relationalen Datenbank-Management-System Oracle betrieben und kommunizieren einerseits mit dem Mainframe (MVS/IMS/ DB2) ueber ein Multiprotokollnetz (APPC LU6.2) und andererseits mit den Arbeitsstationen ueber lokale Netze (TCP/IP).

Fuer Applikationen der Bereiche Kommerz, Finanz, Anlagen und Logistik wird eine Server-gestuetzte Betriebsplattform entwickelt, die systemnahe Funktionen wie Kommunikation, Recovery und Autorisierung bereitstellt. Im Rahmen eines Re-Engineering- Konzeptes sollen nach und nach auch die bestehenden Applikationen ueber die erwaehnte Plattform zur Verfuegung gestellt werden. Um eine fortschrittliche Systementwicklung der geplanten Art erfolgreich durchfuehren zu koennen, muessen drei Voraussetzungen erfuellt sein:

- die Existenz einer adaequaten Entwicklungsmethodik,

- die Bereitstellung einer geeigneten Entwicklungsumgebung und

- der Einsatz von hervorragend ausgebildeten und motivierten Systemingenieuren.

Als Entwicklungsmethodik wurde ein objektorientierter Ansatz mit phasenbegleitendem Prototyping (Spiralmodell) gewaehlt. Der Anforderungen an die neue Technologie und der gewaehlten Entwicklungsmethodik wegen entschied sich die ZKB nach umfangreichen Evaluationen zugunsten einer Entwicklungsumgebung bestehend aus dem Analyse- und Designtool Rose von Booch, der objektorientierten Programmiersprache C++ und dem User- Interface- Management-System ISA Dialog Manager.