Neue Eiszeit?

15.12.1989

Wall Street hatte seit 1985 ausgiebig Gelegenheit, sich an So-lala-Nachrichten aus Armonk zu gewöhnen. Für leise Töne haben die Börsen-Auguren inzwischen kein Gespür mehr. So finden es einige Analysten denn auch eher enttäuschend, daß die IBM Corp. in USA "nur" um 10 000 Mitarbeiter schlanker werden will - das reiche nicht aus, um mit den leidigen Gewichtsproblemen fertig zu werden (Seite 1). Big Blue sei eben ganz einfach zu fett und damit zu unbeweglich geworden. Daß dem prominenten Patienten empfohlen wird, weitete 20 bis 30 K(Mitarbeiter) abzuspekken, ist zwar entlarvend für das Selbstverständnis der Wall- Street-Strategen, die nur in "Profit Margins" denken, aber selbst der Dümmste müßte mittlerweile erkannt haben, wie wenig mit bloßen Sparmaßnahmen erreicht werden kann.

Das finanzielle Gebaren des DV-Giganten, nämlich angesichts der ungewissen Marktentwicklung die Ausgaben zu kürzen, wird indes als angemessen klassifiziert - eine grobe Fehleinschätzung, die allerdings verständlich ist, denn die IBM kann gar nicht anders. Es fehlen Konzepte, wie der Nachfrage auf die Beine zu helfen ist. An der geringen Wachstumsrate im Mainframemarkt hat sich nichts geändert. Im Minicomputer- und Workstations-Segment kämpft IBM intern jeder gegen jeden (AS/ 400, 4381, 9370, RT-Mikro, PS/2) - und niemand weiß, wo's langgeht. Selbst im Networking-Geschäft tut sich Big Blue schwer. Dies, und daß es generell mit proprietären Systemen nicht mehr läuft, konnte man einigermaßen voraussehen.

IBM-Chef John Akers beklagt die Flaute, die ein Slowdown der gesamten Computerbranche sei. Dies ist das gewichtigste Argument, freilich in einem anderen Sinne. als es sich bei Akers anhört. Der wie eh und je vor Finanzkraft strotzende Mainframe-Monopolist kann das Risiko einer Krise in Kauf nehmen. Daß mit Marketing-Konzepten wie SAA oder AD/Cycle noch kein Hardware-Dollar zu verdienen ist, mag momentan störend sein - einen für die IBM willkommenen Nebeneffekt hat die SAA-Schaumschlägerei allemal: Auch für die Konkurrenten wird der Markt blockiert. Die Armonker sind jedenfalls bisher glimpflich aus der Krise gekommen. Was dagegen die Wangs, Primes, MAIs, Data Generals, Norsk Datas, Nixdorfs, Data-points, Apollos, Bulls, Unisys' etc. betrifft, so sehen die Fakten etwas anders aus.

Läuft die durch Polarisierung gekennzeichnete Entwicklung in der Computer-Industrie (Stichwort: Unix) darauf hinaus, daß auf längere Frist allein derjenige profitiert, der gegen offene Systeme ist? Eine berechtigte Frage. Bei systemnaher Software, bei Datenbanken etwa, schickt sich die IBM an, durch getarntes Bundling den Sack endgültig zuzubinden. Eine neue Lock-in-Eiszeit kündigt sich an. Für tiefschürfende Betrachtungen (Meint es die IBM gut mit mir?) bleibt den Anwendern keine Zeit.