Kann sich AOL in Europa behaupten?

Netz-Provider kämpfen um Kunden

24.01.2003
MÜNCHEN (CW) - Nach dem Rückzug des AOL-Managers Steve Case aus der Spitze von AOL Time Warner werden die Probleme des Internet-Anbieters nicht kleiner. Es existiert nur einer weniger, dem man die Schuld an allem geben kann. Aber auch die europäischen Wettbewerber des Providers kämpfen noch mit den Widrigkeiten des Marktes. Von CW-Mitarbeiterin Bettina Wirth

Steve Case wird den Sessel des Verwaltungsratsvorsitzenden von AOL Time Warner im Mai räumen. Künftig bekleidet Chief Executive Officer Richard Parsons in einer Doppelrolle auch die Position des Chairman. Der Rücktritt des letzten AOL-Managers aus dem Medienkonzern findet Nachhall in der gesamten Online-Branche. Denn wie alle Internet-Service-Provider (ISP) steht America Online am Scheideweg: Da mit der Dienstleistung Internet-Zugang nicht mehr viel Geld zu verdienen ist und die Werbeeinnahmen im vergangenen Jahr stark eingebrochen sind, stellt sich die Frage, woher die Profite künftig kommen sollen.

Die Internet-Sparte des Medienkonzerns AOL Time Warner verzeichnet zwar sechs Millionen Kunden in Europa und belegt damit einen guten vierten Platz unter den größten europäischen Online-Providern. Doch die Zukunft sieht alles andere als rosig aus. Vor allem die finanzielle Situation macht den Unternehmen zu schaffen.

Analysten gehen davon aus, dass AOL Time Warner für das vierte Quartal 2002 Abschreibungen in Höhe von bis zu 15 Milliarden Dollar verbuchen könnte. Bereits im ersten Quartal des vergangenen Jahres hatte der Konzern Sonderabschreibungen in einer historisch einmaligen Höhe von 54 Milliarden Dollar vorgenommen. Auch wenn es sich dabei zunächst um rein bilanztechnische Berechnungen handelt - ganz ohne Folgen blieben sie nicht, da hohe Abschreibungen die Kreditwürdigkeit des bereits mit rund 26 Milliarden Dollar verschuldeten Unternehmens mindern können.

AOLs Werbeumsätze schrumpfen dramatisch

Die Umsätze in den Bereichen Werbung und elektronischer Handel liegen vorläufigen Zahlen zufolge im Jahr 2002 bei 1,5 bis 1,6 Milliarden Dollar. Im Vorjahr beliefen sich die Werbeumsätze noch auf 2,7 Milliarden Dollar. Für 2003 erwartet AOL einen weiteren drastischen Rückgang seiner Einnahmen in den Bereichen E-Commerce und Online-Werbung um voraussichtlich 40 bis 50 Prozent. Erst für 2004 rechnet das Unternehmen wieder mit Wachstum.

Die angesichts der massiven Konsolidierung auf ein halbes Dutzend geschrumpfte Zahl von Konkurrenten in Europa hat es momentan auch nicht leicht, steht jedoch wenigstens in finanzieller Hinsicht besser da: Die Telekom-Tochter T-Online hat zwar bisher noch keinen Nettogewinn erwirtschaftet, rechnet aber für das abgelaufene Jahr mit einem positiven Ergebnis im Kerngeschäft. Konkret stieg der Umsatz im dritten Quartal gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 42 Prozent auf 383 Millionen Euro. Rund 297 Millionen Euro nahm der Netzdienstleister im dritten Quartal mit der Bereitstellung von Internet-Zugängen ein, knapp 86 Millionen Euro Umsatz kamen aus dem E-Commerce und der Online-Werbung.

Bezogen auf die Kundenzahl, steht T-Online unangefochten an der Spitze der europäischen Internet-Dienstleister. 11,85 Millionen Nutzer nehmen die Services des deutschen Anbieters in Anspruch. Wichtig ist der Telekom-Tochter insbesondere der Anteil an Breitbandkunden: Diese zahlen nicht nur mehr Geld für ihren Internet-Anschluss als Schmalbandnutzer, sie greifen darüber hinaus auch häufiger auf kostenpflichtige Netzangebote zu. T-Online bringt es laut Firmenchef Thomas Holtrop hierzulande auf mehr als 2,4 Millionen DSL-Kunden.

T-Online setzt auf Breitbanddienste

Auch das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) fiel mit 35,6 Millionen Euro besser als erwartet aus. Analysten hatten zunächst nur mit einem Plus von 18 Millionen Euro gerechnet. Für das Gesamtjahr 2002 erwartet der ISP Einnahmen von 1,6 Milliarden Euro, etwa 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Unterm Strich verzeichnet T-Online jedoch ein negatives Nettoergebnis von 273 Millionen Euro.

In den schwarzen Zahlen bewegt sich hingegen der französische Anbieter Wanadoo, der im vergangenen Jahr erstmals in seiner Firmengeschichte einen Gewinn erzielen konnte. Genaue Resultate will der ISP erst Ende Februar bekannt geben. Einer Reuters-Umfrage unter Analysten zufolge soll das Nettoergebnis aber rund 68 Millionen Euro betragen. Das Unternehmen, an dem der französische Konzern France Télécom mit 73 Prozent beteiligt ist, verzeichnete im vergangenen Jahr einen um 33 Prozent gesteigerten Umsatz in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro.

Die Internet-Sparte von Wanadoo konnte im Verlauf des vergangenen Jahres ein Umsatzplus von 67 Prozent erreichen. Maßgeblich trug dazu das Zugangsgeschäft bei. Hier legte der Provider um 83 Prozent auf mehr als eine Milliarde Euro zu. Ein weiteres wichtiges Standbein stellt das Directories-Segment dar. In dem Angebot von Telefonverzeichnissen stiegen die Einnahmen um vier Prozent auf 880 Millionen Euro. Zum Jahreswechsel verfügte das Unternehmen über 8,5 Millionen Kunden; davon greifen schon rund 1,4 Millionen Nutzer via Breitband auf das Internet zu.

Nachholbedarf in Sachen Breitband hat hingegen der italienische Anbieter Tiscali. Bei insgesamt sieben Millionen Kunden betrug der Anteil der DSL-Nutzer des italienischen Marktführers im September vergangenen Jahres lediglich 155000. Während dies einem Plus von 55 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Quartal entspricht, ist die Gesamtzahl der Abonnenten rückläufig. Tiscali musste bei der Bekanntgabe der Zahlen für das dritte Quartal 2002 seine ursprünglichen Umsatzerwartungen für 2002 von 800 Millionen Euro revidieren.

Auch AOL Deutschland verzeichnete im September vergangenen Jahres gerade einmal 260 000 Broadband-User. Der scheidende Chairman Case muss sich also vorwerfen lassen, die Entwicklung verschlafen zu haben. Für die Konzernstrategen galt bisher als wichtig, dass möglichst viele Kunden schnell und einfach surfen können. Gewinne sollten Anschlussgebühren und Werbung abwerfen.

Als Gegenstrategie gegen sinkende Neukundenzahlen und rückläufige Werbeeinnahmen will der Konzern nun die einzelnen Unternehmenssparten stärker bei AOL einbinden. So sollen die Kunden des Internet-Dienstes künftig exklusiv in den Genuss von Musik, Filmen und Artikeln aus den Magazinen des Time-Verlags, der Filmtöchter Warner Bros. und New Line sowie der Musikfirma Warner Music Group kommen.

Gute Ware darf auch etwas kosten

Doch Paid Content ist nach wie vor ein schwieriges Geschäft: Zwar sind 51 Prozent aller Internet-User bereit, für Inhalte zu bezahlen. Dies ergab zumindest eine Studie des Beratungsunternehmens Sapient und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger unter 11 000 Internet-Nutzern. Doch für welche Angebote Kunden tatsächlich Gebühren berappen würden, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Eines scheint sicher: Große Datenmengen aus dem Angebot des jeweiligen Providers herunterzuladen, beispielsweise Filme, Musik oder Spiele, ist hauptsächlich für Breitbandkunden attraktiv. Letztere sind folglich auch in höherem Maße geneigt, für exklusive Inhalte zu bezahlen. So haben die Meinungsforscher von Jupiter Research herausgefunden, dass 41 Prozent aller europäischen Internet-Nutzer kostenpflichtige Inhalte grundsätzlich ablehnen. Breitbandnutzer dagegen, die sich für das Downloaden von Filmen und Musik interessieren, entrichten schon eher einen Obulus: Während 18 Prozent der Breitband-User für Web-Inhalte Geld ausgeben würden, sind die Einwahlkunden hierzu nur zu elf Prozent bereit.

Abb: Kundenzahl europäischer Online-Anbieter

AOL zählt mit sechs Millionen Nutzern zwar zu den großen Vier der Internet-Branche, hat aber im Breitbandsegment Nachholbedarf. Quelle: Unternehmensangaben