Mutmaßungen über FS

23.01.1976

Keine Frage, die wichtigste Ankündigung des Jahres 1975 war eine Nicht-Ankündigung, nämlich die offizielle Mitteilung der IBM, daß es sobald kein "Future System" (FS) geben werde - genauer, daß der Name "Future System" als Projektname bei IBM nicht mehr verwendet werde. Dabei wurde gleichzeitig natürlich versichert, daß IBM auch weiterhin neue Produkte ankündigen wird.

Ging es hier nur um Namen oder um die Produktstrategie des Marktführers für den Rest der 70er Jahre?

FS war fester Terminus der IBM-Produktplaner und -Entwickler für eine komplette neue Generation von Maschinen - das zeigten die lBM-Top-Secret-Dokumente der Ermittlungen im Telex-Antitrust-Verfahren-, deren Ankündigung gemäß Planung der Anfangsjahre dieses Jahrzehnts für 1976 vorgesehen war. Diese neue Produktlinie sollte als entscheidender Fortschritt der Computertechnologie die 370-Serie ablösen. Als wichtigstes Merkmal war ein total neues, wenngleich kompatibles Betriebs- und Datenbanksystem - Arbeitstitel "System Q" - vorgesehen, das durch bisher unbekannten Komfort auch Nicht-Programmierern die direkte Nutzung der Maschine ermöglicht hätte, wenn es nicht gar zur Computerei ohne Programmierer hätte führen sollen. So stand es in den geheimen Protokollen des obersten IBM-Entscheidungsgremiums namens "Management Review Committee". Stichworte waren: "assoziative Programmierung", "Organisations-Sprachen", "Distributed Processing". Der Konkurrenz, aber auch den IBM-Anwendern, jagten die Telex-Papiere kalte Schauer über den Rücken.

System Q in der Sackgasse

Gleichzeitig mit der Ankündigung, daß es kein IBM-FS-Projekt mehr gebe (warum eigentlich dieser Schritt?), wurde bekannt, daß verschiedene große Entwicklungsteams in den IBM-Denkfabriken aufgelöst und neu organisiert wurden, vermutlich - etwas sickert immer durch - weil Entwicklungen für die System-Software des FS in der Sackgasse landeten. So stand es in der Computerworld und in Datamation - und damit weltweit in der Fachpresse.

Hatte IBM nur geschickt geblufft? Nichts ist ungewöhnlich daran, daß IBM, die bekanntlich alle neuen Produkte zunächst mehrgleisig entwickeln läßt, gelegentlich jene Projektgruppen auflöst, die in dieser Art von Wettbewerb unterlegen blieben. IBM könnte immer noch 1976 eine revolutionär neue Systemfamilie ankündigen - zumal die Marktsättigung mit 370-Systemen und die vermutlichen Umsatzplanungen des Marktführers für die nächsten Jahre eine neue Generation geradezu verlangen -, ungeachtet, ob die Anwender dergleichen brauchen.

Bald schon System 380?

Indes, solch IBM-Wachstum könnte auch durch andere Schachzüge realisiert werden. Armonk-Astrologen, Wall-Street-Auguren und Kaffeesatz-Propheten vermuten unisono eher eine Interims-Lösung - etwa die baldige Ankündigung einer Reihe verbesserter 370-Maschinen, die als 370/138 und /148 sowie als neue 370/178, möglicherweise auch als "System 380" vorgestellt werden dürften. Diese Zwischenlösung würde es IBM ermöglichen, Soll-Vorgaben-gemäß neue Maschinen zu verkaufen, ohne unter doch wohl aufgetretenen Schwierigkeiten alsbald eine radikal neue, derzeit noch nicht komplette System-Familie vorstellen zu müssen. Für den Namen 380 für diese 370-Upgrades spricht, daß diese Systeme dem Anwender so benannt eher als sicheres Investment und nicht als Lückenbüßer erscheinen - obwohl Future Systems mit den in den Telex-Papieren genannten radikal neuen Merkmalen ab 1980 angekündigt werden dürften.