Wann sollte ein Verantwortlicher aufs Geld schauen - und wann nicht?

Muss denn Prassen Sünde sein?

15.03.2002
MÜNCHEN (jm) - Return on Investment (RoI) ist ein Posten in der Bilanzierung von Projekten, der von Unternehmen aus einsichtigen Gründen mit großer Wertschätzung bedacht wird. Doch nicht immer ist der Tunnelblick auf die Kosten hilfreich. Man kann ein IT-Vorhaben auch wie ein Aktienportfolio steuern.

Der Stellenwert von RoI hat sich in den vergangenen zwei Jahren dramatisch verändert, sagen die Benchmark-Spezialisten und ehemaligen Gartner-Analysten Kai Nowak und Thomas Karg von Maturity Consulting GmbH. Bis vor 24 Monaten haben IT-Verantwortliche ROI-Analysen ganz selbstverständlich für Projektentscheidungen herangezogen. Allerdings wurden diese Bewertungen dann während der Projektlaufzeit oft nicht dem aktuellen Implementierungsverlauf entgegengehalten - ein erster wesentlicher Fehler im Vorgehen vieler Unternehmen. Ein zweiter Fehler folgte auf dem Fuß: Viele Unternehmen stellen sich nach Projektabschluss nicht selbstkritisch die Frage, warum die ursprünglich erhofften Vorteile aus einem implementierten System schließlich doch nicht in diesem Maße realisiert wurden.

In den Zeiten eines grenzenlosen E-Business-Hypes investierten Unternehmen dann ohne Rücksicht auf ROI-Überlegungen. Hauptsache, das Unternehmen war beim Rennen um die schickste Internet-Anwendung dabei. Jetzt aber gehen die Geschäfte schlecht, und das Pendel schlägt umso heftiger ins andere Extrem aus. Controller fertigen mit spitzem Bleistift Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen an. Hierbei werden zwar durchaus sinnvolle Kriterien wie Nachhaltigkeit und Nachkalkulation von Projekten berücksichtigt. Die beiden Maturity-Berater monieren aber die zu starke Konzentration auf RoI-Kennzahlen. Dazu Nowak: "RoI ist nur einer von vielen Aspekten, die bei einer IT-Projektentscheidung wichtig sein sollten."

Fallstricke und alternative HandlungsoptionenZwei ganz wesentliche Faktoren für ein Projekt lassen sich zudem aus einer RoI-Betrachtung nicht erschließen: zum einen das Risiko, das jedem Vorhaben anhaftet, zum anderen die einem Projekt innewohnende Flexibilität oder aber Unflexibilität. Für den Erfolg eines Projekts ist es aber entscheidend, Überlegungen zu den verborgenen Fallstricken wie auch zu den Optionen anstellen zu können, die IT-Verantwortliche im Falle von Problemen zum Gegensteuern besitzen. Dass Schwierigkeiten schon allein deshalb jedem Projekt anhaften, weil sich die IT ständig verändert, diese Erkenntnis gehöre ja zu den ewigen Wahrheiten der Branche, sagt Nowak.

Zudem habe sich in den vergangenen Jahren ein Phänomen gezeigt: IT-Projekte zögen sich immer mehr in die Länge. Bei langen Projektlaufzeiten ist es aber umso wichtiger, Handlungsoptionen im Voraus festzulegen für den Fall, dass sich die Rahmenbedingungen einer IT-Planung ändern. Vorüberlegungen zu Handlungsalternativen und nicht so sehr RoI-Betrachtungen sollten deshalb vor allem die Entscheidung für oder gegen ein Projekt wesentlich beeinflussen.

Unternehmen, die überlegen, ob sie ihr Geschäftsmodell um Prozesse wie Supply-Chain-Management (SCM) oder Customer-Relationship-Management (CRM) erweitern wollen und entsprechende Projekte aufsetzen, können sich bei einer zu sehr auf RoI-Überlegungen eingeschränkten Beurteilung sogar selbst im Weg stehen. Dann nämlich, wenn sie bei der Einschätzung der möglichen Potenziale solch eines IT-Projekts vor lauter RoI-Kalkulationen die großen Chancen übersehen, die ein derartiges Vorhaben durch die Erneuerung von Geschäftsprozessen bietet.

Nowak sagt, es gebe im Prinzip zwei Arten von IT-Projekten: Die einen dienen der reinen Kostenoptimierung, bei denen RoI-Betrachtungen natürlich angebracht und wichtig sind. Die anderen aber besitzen eine strategische oder innovative Ausrichtung. Bei diesen kann RoI ein Hilfsmittel zur Projektbeurteilung sein, es darf aber keinesfalls den Ausschlag darüber geben, ob ein IT-Projekt gemacht werden soll oder nicht. E-Business, sagt Nowak, ist in diesem Zusammenhang ein schönes Beispiel: "Hätten IT-Verantwortliche solche Projekte nach RoI-Gesichtspunkten betrachtet, wäre wahrscheinlich keine einzige E-Business-Initiative gestartet worden."

Eine Komponente von KaffeesatzlesereiBei einem strategischen und innovativen Projekt spielen ganz andere Faktoren eine Rolle als der RoI. Zudem lassen sich Kosten-Nutzen-Kalkulationen bei gewissen Anwendungen wie beispielsweise Kunden-Management-Systemen grundsätzlich schwer messen. Bei dieser Art von Projekten spielen vielmehr Kriterien eine Rolle, die mit einer RoI-Prognose kaum zu beurteilen sind. Das liegt auch daran, dass ein Unternehmen durch den Einsatz solch einer strategischen Anwendung völlig neu positioniert wird. SCM ist ein anderes gutes Beispiel für eine Anwendung, mit deren Einsatz sich die Geschäftsprozesse eines Unternehmens einschneidend verändern. Nicht selten entscheidet da der Einsatz einer neuen Technologie auch über die Existenz eines Unternehmens.

Prinzipiell lässt sich zu Kennzahlen wie RoI-Betrachtungen oder etwa dem Net Present Value, bei dem Vorteile aus Investitionen für die Zukunft hochgerechnet werden, wieder und wieder das Gleiche feststellen: "Das hat immer auch eine Komponente von Kaffeesatzleserei", sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Maturity Consulting GmbH Thomas Karg. Solche Kennziffern lassen sich nur dann sinnvoll einsetzen, wenn ein Projekt ständig daraufhin überprüft wird, ob sich bereits irgendwelche Rückflüsse aus Investitionen zeigen.

Sehr aussagekräftig wäre es zum Beispiel, wenn IT-Verantwortliche im Laufe eines neuen Projekts die Erkenntnis festhalten könnten, dass ein Mitarbeiter etwa bei der Aktenablage pro Tag zwei Stunden seiner Arbeitszeit einspart. Das wäre zum einen messbar, zum anderen ließen sich daraus Rückschlüsse auf die Projektkosten ziehen. Bei solchen Berechnungen sind RoI-Kennzahlen sehr aussagekräftig. Bei anderen Betrachtungen weniger: "Immer wenn es um solche sehr wichtigen Aspekte wie Kundenbindung und -zufriedenheit, um die strategische Positionierung des Unternehmens, um Innovationsaspekte, Marktanteile und so weiter geht, immer dann kommen Projektleiter mit der RoI-Kennzahl nicht weit", sagt Karg.

Kein RoI - keine Projekte?Diese Feststellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass in innovative Anwendungen wie E-Business-, Sicherheits-Projekte oder gar so ein klassisches Thema wie ERP nicht investiert werden sollte, bloß weil der RoI nicht oder nur sehr eingeschränkt errechenbar ist. Der finanzielle Vorteil eines Data-Recovery-Systems ist kaum zu beziffern. Die Entscheidung, was es einem Vorstand oder einem IT-Verantwortlichen wert ist, ruhig schlafen zu können, hat deshalb zunächst einmal nichts mit wirtschaftlichen Erwägungen zu tun.

Es ist beispielsweise auch nicht leicht, einem Controller zu erklären, dass der Wechsel von einer SAP-R/3-Version auf die nächste ein Muss ist, ohne dass dies dem Unternehmen zunächst einen erkennbaren Kostenvorteil einbringt. Die Erkenntnis, migrieren zu müssen, um nicht später beim Wechsel auf ein übernächstes Release erhebliche technische Problem zu bekommen, scheint mit Kostenvorteilen einer Lösung vordergründig erst einmal nichts zu tun haben. Die Effekte zeigen sich aber sehr wohl Jahre später.

Ein weiteres Problem von RoI-Ermittlungen sind die ganz unterschiedlichen Parameter, die bei Kostenbeurteilungen benutzt werden. Bekannt aus der Vergangenheit sind die Total-Cost-of-Ownership-(TCO-)Berechnungen verschiedener Beratungsunternehmen, die zu sehr disparaten Ergebnissen geführt hatten. Nicht unwesentlich ist auch die Frage, welcher Art die Daten sind, die für eine RoI-Berechnung herangezogen werden. "Grundsätzlich", sagt Nowak, "gibt es bei jedem Anwendungs-Entwicklungs-Projekt, das länger als einen Monat dauert, jede Menge Unwägbarkeiten." Da könne die Zahl der benötigten Mitarbeiter steigen, da ergäben sich zusätzliche Anforderungen der Fachabteilungen etc.

Immer muss der IT-Verantwortliche über einen möglichen Kosten-Nutzen-Effekt wachen, was, so Nowak, nicht selten zu Taschenspielertricks führt, die wohl jedem aus der Branche vertraut seien: "Jeder, der sich ein wenig auskennt, kann bei jedem Projekt, das er unbedingt machen will, den RoI so rechnen, dass der projektierte Kalkulationsplan irgendwie eingehalten wird."

Alles ist irgendwie RoI - oder etwa nicht?Ein nicht unbeträchtliches Problem stellt ferner die unterschiedliche Interessenlage zwischen IT-Verantwortlichen und Herstellerunternehmen dar. "Viele IT-Manager sagen uns, dass ihnen sehr häufig von allen möglichen Seiten RoI-Berechnungen präsentiert werden, die sich schon beim bloßen Blick auf das Datenmaterial als falsch erweisen", sagt Nowak. Es sei ja zu verstehen, dass der Hersteller einer bestimmten Anwendung ein nachvollziehbares Interesse daran besitzt, seinem potenziellen Kunden eine Kalkulation aufzutischen, die dem Projektanwender möglichst schnell möglichst hohe Einsparpotenziale vorgaukeln soll. Ob solche Berechnungen der Wirklichkeit standhalten können, stehe aber auf einem anderen Blatt.

Jeder kenne ja noch die Kalkulationen im Zusammenhang mit E-Procurement-Lösungen, bei denen die Bestellung einer einzigen Büroklammer gleich ein paar Dollar kosten sollte. Die seinerzeit angestellten RoI-Berechnungen versprachen, diese Kosten drastisch zu reduzieren, würden die Unternehmen ihr Bestellwesen über Marktplätze renovieren. Karg: "Da hat das interessierte Marketing eine ganze Menge aufgebauscht."

Lieber das richtige Projekt machen als ein Projekt richtigEs gibt einen schönen Spruch, der auch im Zusammenhang mit dem Thema RoI seine Gültigkeit behält: Es ist auf alle Fälle besser, das richtige Projekt anzugehen, als ein Projekt richtig anzugehen. Wenn jemand, so Nowak, 100 Projekte zur Zufriedenheit aller durchpauke und sich dann herausstelle, dass nur zwei davon dem Unternehmen einen echten Geschäftsvorteil bringen, stehe der Aufwand trotzdem in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die Maturity-Berater sagen: Lieber sollten sich IT-Abteilungen zunächst auf zwei bis fünf Projekte beschränken.

Momentan scheint es en vogue zu werden, IT-Projekte so zu planen und zu betreiben, wie Anlageberater ihre Portfolios managen. Bei solch einer Vorgehensweise muss man sich als IT-Verantwortlicher fragen, welche Optionen ein ins Auge gefasstes Projekt einem Unternehmen unter allen denkbaren Bedingungen liefern könnte. Eine nicht ganz einfache Aufgabe für den IT-Mann. Der muss sich nämlich bei jeder Entscheidung vor Augen führen, welche Auswirkungen eine bestimmte Projektausrichtung auf die variablen Handlungsoptionen hat.

Und solcherlei Entscheidungen gibt es zuhauf, egal, ob es die Festlegung auf einen Hersteller, auf ein Betriebssystem, eine Oberfläche oder auf eine bestimmte Technologie ist. Beispielsweise müsste sich heutzutage jeder IT-Entscheider fragen, ob er es sich leisten kann, bei der Wahl eines Betriebssystems Linux hintanzustellen. Wer sich da Optionen offen hält, berappt für diesen Entschluss zwar zunächst einmal mehr. A la longue und wenn der Markt sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, zahlt sich solch ein Entschluss aber langfristig möglicherweise doch aus.

Insofern kommt es vor, dass sich der Nutzen eines IT-Projekts erst nach einigen Jahren feststellen lässt. Trotzdem kann genau dieses Projekt das Überleben der Firma sichern.