Müssen Standard-Branchenprogramme "idiotensicher" sein?

02.11.1979

Die Kostensituation auf dem Software-Markt zwingt die Anbieter, ihre bestehenden Konzepte neu zu überdenken. Einfaches Handling, leichte Implementierbarkeit, verständliche Dokumentation und müheloses Ändern scheinen unverzichtbare Bestandteile eines ungeschriebenen Standard-Software-Gesetzes geworden zu sein. Wir fragten fünf Softwarehäuser, ob Standard-Branchenprogramme "idiotensicher" sein müssen. ha

Dr. Karl Fr. Erbach

Geschäftsführer der Software Partner GmbH, Darmstadt

Auch wenn die Frage, ob Standardbranchenprogramme "idiotensicher" sein müssen, nur im übertragenen Sinne gemeint ist, muß sie differenzierter beantwortet werden. Dabei nehme ich aus dem Erfahrungsbereich unseres Hauses jedoch im wesentlichen zu Dialogprogrammen Stellung.

Bei der Frage nach der Sicherheit der Verwendung ist zu unterscheiden:

1. Die reine Bedienung der Programme durch Hilfskräfte und/oder Sachbearbeiter. Hier gilt die Forderung nach Idiotensicherheit voll. Selbst Fehlbedienung (zum Beispiel Schlafen auf der Tastatur oder versehentliches Abschalten der Stromversorgung) sollte voll abgefangen werden, sie darf nicht zu Datenverfälschungen oder undefinierten Systemzuständen führen.

2. Für die Anwendung, beispielsweise durch die Fachabteilung, gilt diese Forderung nur noch abgeschwächt. Durch Plausibilitätsprüfungen, Prüfziffern und ähnliche Maßnahmen muß die Mehrzahl; logischer Fehler vermieden werden. Wirkliche Idiotensicherheit ist jedoch nicht zu erreichen. Zumindest nicht bei den heute gegebenen Voraussetzungen. Auch die Wirtschaftlichkeit spielt hier eine entscheidende Rolle.

3. Für die eigentliche Systemführung gelten völlig andere Kriterien. Hier ist die optimale Kombination der Forderungen Anpaßbarkeit an die betriebliche Organisation einerseits und Einfachheit der Systemeinführung andererseits von Bedeutung. Standardbranchenprogramme stellen auch besondere Anforderungen hinsichtlich einfacher Installation

(Installationsprozeduren, -handbücher) .

Um die Vielfalt der Anforderungen an "idiotensichere" Systeme zu erfüllen, erarbeiten wir unsere Lösungen nach folgenden Grundsätzen:

a) gut bedienbare Programmpakete durch

- den menschlichen Bedürfnissen angepaßte Bedienerführung einschließlich schnellen Arbeitswegen (Trampelpfaden) zum Beispiel durch Default-Werte,

-selbsterklärende Dialoge,

- einheitliche Dialogformate und -technik (Menue),

- ansprechende und vollständige Anwenderdokumentation (Bedienungsanleitung oder -handbuch),

b) leicht anpaßbare und änderbare Programmpakete durch

- klare Schnittstellen,

- strukturierten und modularen Aufbau

- weitestgehende Parametrisierung,

- soweit möglich, generierbare Grundfassungen

- gute Wartung und (System-) Dokumentation,

-Anwendung einheitlicher und erprobter Softwaretechnologie.

Wer wissen will, wie sicher für seinen Betrieb ein Paket wirklich sein wird, sollte auch prüfen:

- Referenzen (Frage: Wie wurde bei idiotischen Fehlern geholfen?),

- Marktreife (Frage: Wie kann unser Bedarf abgedeckt werden?),

- Ruf des Herstellers (Frage: Wird man auch noch in Jahren fundierte Antworten erhalten?),

- Bereitschaft zur Übernahme der Software-Wartung.

Standardbranchenprogramme können nicht idiotensicher sein. Sie wenden sich an den denkenden Sachbearbeiter, dem jedoch menschliche Fehler verziehen werden.

Dietrich Dieckhoff

Dr. Städtler Unternehmensberatung, Nürnberg

Müssen Standard-Branchen-Programme "idiotensicher" sein? Diese Frage ist in bezug auf die Gesamtheit einer Anwendungslösung sicherlich zu verneinen. Weder sind in allen Branchen die gleichen Voraussetzungen für die Entwicklung von Standardprogrammen gegeben, noch sind in jeder Branche für sich die Möglichkeiten für den Einsatz derartiger Programme zu finden. Es gibt Branchen, in denen aufgrund gesetzlicher Richtlinien, spezifischer Konventionen oder traditioneller Arbeitsabläufe bestimmte Aufgaben in allen Unternehmen dieser Branche identisch sind. Diese Aufgaben kann man als Grundanwendungen oder Kernbereich bezeichnen.

Die Programmteile, die diesen Kernbereich abdecken, sollten "idiotensicher" sein, das heißt sie sollten

- leicht zu implementieren

- problemlos zu bedienen

- verständlich dokumentiert

- individuell anpassungsfähig sein.

Sowohl bei der Entwicklung der entsprechenden Software, die eine sehr gute Branchenkenntnis voraussetzt, als auch bei der Auswahl von Standard-Branchen-Software ist deshalb zu beachten:

- der Kernbereich muß idiotensicher, im vorgenannten Sinne, sein,

- die Schnittstellen zu anderen Anwendungsprogrammen und für individuelle Anpassungen müssen vollständig definiert sein.

Die individuellen Programmteile, die den Kernbereich ergänzen, gehören zwar auch zur gesamten Anwendung, sind aber nicht Bestandteil des Standardprogramms. Viele Installationen sind schon mißglückt, weil diese Unterscheidung nicht beachtet wurde.

Der Begriff "idiotensichere Standard-Branchen-Software" ist allerdings auch nur zu rechtfertigen, wenn der Kernbereich entsprechend groß ist. Dies ist der Fall, wenn innerhalb einer Branche weitgehend gleiche Anwendungsbedingungen vorliegen und wenn eine homogene Betriebsgrößenstruktur den Einsatz ähnlicher oder kompatibler EDV-Systeme zuläßt.

In Branchen mit sehr differenzierten unternehmerindividuellen Arbeitsabläufen und mit unterschiedlichsten Betriebsgrößen besteht allerdings die Gefahr, daß zum einen ein Kernbereich kaum noch feststellbar ist und daß zum anderen die verschiedensten Hardware

-Systeme und -größen eingesetzt sind. Der Charakter des Standardprogramms nämlich die Möglichkeit des Mehrfacheinsatzes, geht dadurch verloren.

In der Praxis zeigt sich außerdem, daß mit zunehmender Größe des Unternehmens und entsprechend größerer EDV die "Idiotensicherheit" von Standard-Branchen-Software in Frage gestellt wird, weil Eingriffe in den Kernbereich dann häufig nicht zu vermeiden sind.

Da die Beurteilung von Branche zu Branche unterschiedlich ist, empfiehlt es sich für den Anwender, bei der Auswahl von Standard-Branchen-Programmen auf branchen-erfahrene externe Beratungsdienste zurückzugreifen und sich Installationen bei vergleichbaren Unternehmen genauestens erläutern zu lassen.

Helmut Schumacher

Geschäftsführer, Orgameda GmbH, Kaiserslautern

Die nachfolgenden Punkte für den Einsatz von Standardprogrammen sollten besonders von den Anwendern der mittleren Datentechnik oder Minicomputern, also von Klein- und Mittelbetrieben, beachtet werden.

1. Standardprogramme müssen ohne besondere EDV-Ausbildung fehlerfrei zu bedienen sein.

2. Sie müssen in kleinste Module aufgeteilt sein, um so nach dem Baukastenprinzip die für den Anwender optimale Lösung kostengünstig zusammenstellen zu können.

3. Standardprogramme müssen änderungs- und erweiterungsfreundlich sein, damit sowohl gestiegene Anforderungen des Betriebes als auch gesetzliche Bestimmungen (Beispiel: im Nettolohnbereich) schnell und kostengünstig eingebaut werden können.

4. Sie müssen den Bediener bei der Anwendung führen, um Fehlbedienungen zu vermeiden und das intensive Studium von Bedienungsanleitungen zu ersparen.

5. Standardprogramme müssen über eine gute Dokumentation verfügen, bestehend aus den Programmfunktionen, Konfigurationsplan, Programmaufbau und -Logik, Datenbestände, Testprozeduren und Anweisungen für den Wiederanlauf des Systems bei Unterbrechungen (Checkpoint- und Restart-Anweisungen). Die Dokumentation ist daher besonders wichtig, da sie für die Sicherheit (Verlust des Programms im Gefahrenfall), die Wartung (gezielte Fehlersuche) und die Revision (gesetzliche, externe und interne Vorschriften) ungedingt erforderlich ist.

Zudem ergibt, die Wartung unterschiedlicher Programme erhebliche Schwierigkeiten und somit erhöhte Kosten.

Otto Tschepella

Prokurist, Keil & Co., Stuttgart

Das angestrebte Ziel, einmal erstellte Programm-Pakete mehrfach einzusetzen und somit mühelos, schnell und nicht zuletzt preiswert den Kunden bedienen zu können, erfordert nicht nur genaueste Kenntnis der Forderungen, die an das jeweilige Branchen-Standard-Programm gestellt werden. Auch Sorgfalt in der Programmerstellung sowie im Endtest sind noch keine Garanten für ausschließliche Freude der Beteiligten, des Anwenders und auch des Lieferanten.

Vielmehr wird der Erfolg des Einsatzes von EDV-Systemen speziell bei kleinen und mittleren Betrieben in hohem Maße durch einfach zu handhabende Software getragen. Bedenkt man, daß es sich gerade hier fast immer um Erstanwender handelt und das vorhandene Personal vorher nicht wochenlang geschult werden kann, so ist der Ruf nach absolut einfacher Handhabung mehr als verständlich. Die mühelose Implementierung sowie eine überschaubare Dokumentation sind weitere Bedingungen für problemlosen Computer-Einsatz.

Wir vertreten die Meinung, daß Standardprogramme "idiotensicher" sein müssen. Die Erfahrung zeigt, daß uns derart sichere Programme von häufigen Rückfragen der Anwender freimachen und somit mehr Zeit für neue Entwicklungen zur Verfügung steht.

Jürgen Steinforth

Prokurist und Leiter des Unternehmensbereiches Datenverarbeitung Ibat AOP

& Co KG, Essen

Wie entsprechende Statistiken zeigen werden branchenspezifische Programme primär bei Klein- und Mittelbetrieben eingesetzt. Es handelt sich dann hardwareseitig fast ausschließlich um Bürocomputer oder Small Business-Anlagen. Firmen solcher Größenordnung verfügen meist nicht über qualifiziertes EDV-Personal, so daß der Anwender bei seiner Entscheidung für ein branchenspezifisches Standard-Programm auf den Service des Anbieters angewiesen ist. Jedem Interessenten ist zu empfehlen, sich vor Auswahl entsprechender Software eingehende Gedanken über das geforderte Leistungsspektrum zu machen. Die Erstellung einer Soll-Konzeption oder eines Pflichtenheftes als Anforderungsprofil ist auf jeden Fall zu empfehlen. Ein solches Pflichtenheft sollte grundsätzlich Basis für die Prüfung der angebotenen Standard-Programme sein. Leider legen noch zu viele interessierte Anwender von branchenspezifischen Standard-Programmen mehr Wert auf eine praktische Demonstration als auf eine eingehende Erläuterung der Organisationsform und des Leistungsspektrums des angebotenen Programmpaketes. Nun ist wohl hinreichend bekannt, daß im Rahmen einer praktischen Demonstration zwar festgestellt werden kann, daß etwas existiert, aber nicht, was im einzelnen ein Programmpaket leistet, welche Organisationsform zugrunde liegt oder welche Struktur die einzelnen Programme aufweisen.

Die Qualität von Standard-Software hängt für den Anwender zum einen von der Software selbst ab, zum anderen von der Leistungsfähigkeit des Anbieters. In den wenigsten Fällen wird Standard-Software trotz eingehender Prüfung und weitestgehender Übereinstimmung zwischen Anforderungen und Leistungsfähigkeit der Software ohne jede Modifizierung einsetzbar sein. Basis für die Sicherheit des Anwenders beim Einsatz von Standard-Software ist somit nicht nur die Software selbst, sondern vor allen Dingen die Voraussetzung, daß der Anbieter einen umfassenden Service liefern kann. Schon vor der Inbetriebnahme ist vom Anbieter Unterstützung bei der organisatorischen Vorbereitung sowie der Schulung der Sachbearbeiter oder Bedienungskräfte zu verlangen. Da bei Standard-Programmen, die auf Lizenzbasis dem Interessenten zur Verfügung gestellt werden, in den wenigsten Fällen umfassende Programmdokumentationen mitgeliefert werden, ist die Seriosität des Anbieters ein weiterer wichtiger Faktor. Auf jeden Fall sollte ein Anwender auf die Lieferung eines Benutzerhandbuches bestehen und prüfen ob der Anbieter in der Lage ist, Unterstützung bei der Inbetriebnahme sowie auch noch danach (während des praktischen Einsatzes) zu leisten. Unverständliche Abkürzungen und verschlüsselte Daten sind hierbei abzulehnen. Verständlicher Klartext heißt die Devise.

Um die Modifizierungskosten von Standard-Programmen, die ja nicht nur vor der Installation, sondern auch im nachhinein noch während der Anwendung vorkommen, so gering wie möglich zu halten, sind branchenspezifische Standard-Programme neueren Datums ausschließlich in problemorientierten Sprachen geschrieben. Auch hierbei ist wiederum die Seriosität des Anbieters von großer Wichtigkeit, da Modifikationen und Erweiterungen noch Monate nach der Installation erforderlich werden können.

Treffen die vorgenannten Voraussetzungen zu, kann der Einsatz von branchenspezifischer Standard-Software für den Anwender auch idiotensicher sein.