Was CIOs schlaflose Nächte bereitet

Müllbeseitigung entlastet IT-Budgets

09.08.2002
MÜNCHEN (rg) - Als Vice President des Gartner-ExecutiveProgramms (EXP) kennt Charles Chang die Nöte der Chief Information Officers (CIOs). CW-Redakteur Robert Gammel sprach mit ihm über Möglichkeiten für IT-Leiter, auf die aktuelle Krise zu reagieren.

CW: Welche Themen bereiten CIOs derzeit schlaflose Nächte?

CHANG: Neben technischen und strategischen Themen wie Microsofts Lizenzpolitik ist es beispielsweise die Ausgestaltung ihrer IT-Organisation. Outsourcing-Partner, Systemhäuser und Consultants übernehmen ja immer mehr der traditionellen Aufgaben. Da stellt sich manch einem CIO die Frage: Was passiert in fünf Jahren mit meiner wesentlich kleineren IT-Abteilung?

CW: CIOs werden sich also zunehmend auf die Führung und das Management ihrer Partner konzentrieren?

CHANG: Genau, in diese Richtung geht der Trend. In den letzten zehn Jahren ist Outsourcing immer normaler geworden, nicht nur in der IT. Die meisten Unternehmen haben ja auch keinen eigenen Sicherheitsdienst oder Putztrupp. Natürlich hat die IT eine wesentlich höhere Bedeutung für ein Unternehmen. Wenn man sie jedoch in Bereiche aufteilt, ergibt sich ein anderes Bild. Der Betrieb eines Rechenzentrums erhöht nicht die Unternehmensgewinne, sondern das ist einfach ein Job, der erledigt werden muss.

CW: Welche Teilbereiche der IT werden die Unternehmen weiterhin intern betreiben?

CHANG: Insgesamt sollten Unternehmen, auch wenn sie massiv auslagern, rund zehn Prozent ihrer IT-Mitarbeiter behalten. Diese Leute müssen dann fünf Aufgaben erfüllen. Die wichtigste lautet: die Führung übernehmen. Man darf nicht die Outsourcer bestimmen lassen, wo es langgeht. Zweiter Punkt ist die IT-Architektur. Die ist speziell beim Outsourcing äußerst wichtig und kommt noch vor der Infrastruktur und der Implementierung.

Drittens: Bevor man versucht, eine Software einzuführen, muss man wissen, warum man sie einführen will, und das kann nur jemand aus dem Unternehmen leisten, der sich mit Kollegen aus den Fachabteilungen bespricht. Laut einer Gartner-Umfrage scheitern 60 Prozent aller CRM-Projekte. Der Grund ist, dass davon sehr viele am falschen Ende begonnen wurden.

CW: Verfügen die Verantwortlichen über ausreichendes IT-Know-how?

CHANG: Das ist mein vierter Punkt: Wir nennen das Technology Advancement. Dabei geht es keineswegs um die Nutzung des aktuellsten Chips. Die Aufgabe der CIOs ist es vielmehr, sicherzustellen, dass die Geschäftsleute genug von Technik verstehen, um nach den richtigen Lösungen zu fragen. Bisher kümmern sich Business-Manager nämlich nur zu zwei Gelegenheiten um Technik: wenn sie nicht funktioniert oder wenn sie in einem Airline-Magazin etwas darüber lesen.

CW: Ist es nicht ein Armutszeugnis für die CIOs, wenn CEOs sich mit IT nur beschäftigen, nachdem sie im Airline-Magazin geblättert haben?

CHANG: Wir versuchen, auch CEOs auseinander zu setzen, wie wichtig IT für ihre Unternehmen ist. Leider haben Firmenchefs aber noch sehr viele andere Themen, zum Beispiel Regulierung oder Shareholder Value. Da ist die Versuchung groß, das Thema IT einem kompetenten CIO zu überlassen, und die meisten können ihr unglücklicherweise nicht widerstehen.

Bei der Planung eines neuen Produktionsstandorts werden normalerweise alle Direktoren zusammengeholt, um sämtliche Aspekte zu besprechen. Wenn aber von der IT die Rede ist, gehen die Vorstände lieber schlafen, nach dem Motto: Darum wird sich der IT-Director schon kümmern.

CW: Aber zählt es nicht zu den Aufgaben des CIO, dem Vorstand die Bedeutung der IT für das ganze Unternehmen klarzumachen?

CHANG: Da gibt es Fortschritte. Wir haben untersucht, wem die CIOs unserer 1500 EXP-Kunden berichten, und kamen zu ermutigenden Ergebnissen: 30 Prozent berichten mittlerweile dem CEO und nicht länger dem COO oder dem CFO.

CW: Sie sprachen von fünf Aufgaben für die Outsourcing-bedingt geschrumpfte IT-Abteilung. Wie lautet die fünfte?

CHANG: Den letzten und fünften Punkt nennen wir Vendor-Management. Für die klassische Beschaffung brauchen Sie einen Halsabschneider. Mit dessen Methoden kommen Sie jedoch bei der langjährigen Beziehung zu einem Outsourcer in Schwierigkeiten. Für den Einkauf braucht man jemanden, der hart verhandeln kann, zur Pflege der Partnerbeziehung sollte man aber smartere Leute einsetzen.

CW: Einige Firmen haben schlechte Erfahrungen mit Outsourcing-Partnern gemacht und starten deshalb Insourcing-Projekte. Erkennen Sie hier einen Trend?

CHANG: Wir kennen hier nur wenige Beispiele. Es gibt Fälle, wo sich die Kunden nach Ablauf des Vertrags anderen Outsourcing-Partnern zuwenden, aber auch das kommt relativ selten vor.

CW: Wo liegen die größten Gefahren beim Outsourcing?

CHANG: Das Unternehmen muss darauf achten, die Fäden in der Hand zu behalten. Die Gefahr ist groß, dass der eigene Mann zwar den IT-Chefposten innehat, in Wirklichkeit aber der Outsourcing-Partner die wichtigen Entscheidungen fällt. Nur wenn man den richtigen CIO hat, können alle nicht strategischen IT-Bereiche outgesourct werden. Das sind meistens bis zu 90 Prozent der gesamten IT.

CW: Wie hoch sind die Einschnitte in die Budgets der CIOs, und wie gehen sie damit um?

CHANG: Anfang letzten Jahres haben wir für 2002 die optimistische Prognose abgegeben, die IT-Budgets würden durchschnittlich um 2,5 Prozent steigen. In früheren Jahren lag dieser Wert noch zwischen zehn und 15 Prozent. Aktuell dürfte der Durchschnitt in manchen Ländern bei null liegen, in anderen sogar im Minusbereich. Unser Rat an die Kunden lautet: Kürzt nicht unterschiedslos. Wenn Ihr kürzen müsst, dann sucht Euch einzelne Bereiche.

CW: Welche Bereiche sind hierfür geeignet?

CHANG: Fast alle Unternehmen haben einen Projektbewertungsprozess implementiert. Aber fast keine Company hat auch ein Projektbeendigungsverfahren etabliert. Niemand überprüft, ob ein System überhaupt genutzt wird. Es lohnt sich also, die vorhandenen Applikationen zu untersuchen und die Anwender im Unternehmen zu befragen, was sie einsetzen und wie sie damit zufrieden sind. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel Müll dabei auftaucht. Immerhin gehen im Schnitt rund 70 Prozent des Budgets in die Katagorie "Business as usual". Nur zirka 30 Prozent wandern in neue Projekte. Falls nun das Budget um ein Zehntel gekürzt wurde, besteht meist genügend Spielraum, dieses Geld bei den vorhandenen Anwendungen einzusparen.

CW: Erklärt das den Boom im Bereich Asset-Management?

CHANG: Beim Asset-Management dreht es sich in erster Linie um Hard- und Software und deren Verwaltung. Ich will das etwas weiter fassen. Mir geht es in erster Linie um die konkrete Nutzung. Fast alle, die sich damit beschäftigen, stellen fest, dass sie bis zu zehn Prozent sparen können. Das erzählen sie ihren CFOs natürlich nicht. Sie behalten das lieber in der Hinterhand, bis der CFO mit seinen Kürzungen an sie herantritt.

CW: Hat nach den Anschlägen des 11. September das Thema Sicherheit auf der Agenda der CIOs einen höheren Stellenwert bekommen, oder waren das nur Lippenbekenntnisse?

CHANG: Das geht teilweise über die CIOs hinaus in die höchste Ebene, speziell in amerikanischen Unternehmen und solchen, die in den USA große Niederlassungen haben. Sicherheit war schon immer ein Thema. Mit zunehmender Zentralisierung von Rechenzentren wird es noch wichtiger. Jedes Problem hat meist auch eine gute Seite. Im Fall des 11. September ist dies, dass sich nun auch Topmanager um die IT-Sicherheit sorgen. Gefahren ohne terroristischen Hintergrung werden nun ebenfalls viel stärker wahrgenommen als zuvor.

CW: Haben denn die Unternehmen den vielen Ankündigungen zur Verbesserung der Sicherheit auch Taten folgen lassen?

CHANG: Ich habe schon den Eindruck, dass jetzt wirklich etwas geschieht. Zumindest sind alle unsere Sicherheitsexperten zurzeit sehr gefragt.

CW: Was sind gegenwärtig die technischen Themen, mit denen sich CIOs bevorzugt auseinander setzen?

CHANG: Integration. In den letzten fünf bis zehn Jahren gab es sehr viele Übernahmen, Merger und Akquisitionen. In der Folge arbeitet heute jedes größere Unternehmen mit einer Vielzahl von Plattformen und Anwendungen. Das Jahr 2002 bietet hier eine Chance, da es für CIOs den Charakter einer Auszeit hat. Der Nachfragedruck hat nachgelassen, die Wirtschaft ist vergleichsweise schwach, der Jahrtausendwechsel ist überstanden, und bei den E-Commerce-Themen wurde das Tempo herausgenommen. Unser Rat ist, diese Zeit nicht zu verschwenden, sondern für die dringend notwendige Konsolidierung der Infrastruktur zu nutzen.

Auch wenn das eigene Unternehmen nicht von Mergern betroffen war, ist hier meist viel zu tun. In den 70er Jahren hatten wir noch stark zentralisierte Organisationen mit ebensolchen IT-Strukturen. Dies hat sich einschneidend geändert, als die verschiedenen Geschäftsbereiche eine größere Autonomie erhielten. IT ist dieser Entwicklung gefolgt. Jetzt kehren wir tendenziell zu zentralistischeren Strukturen zurück. Es empfiehlt sich, genau anzusehen, wie das eigene Unternehmen aufgestellt ist. Wenn man dann die IT-Strukturen untersucht, kommt man nicht selten zu dem Schluss, dass diese ein bis zwei Jahre hinterherhinken. Erst wenn solche Diskrepanzen offen gelegt sind, kann man an der Synchronisierung der Strukturen arbeiten.

CW: Welche persönlichen Stärken braucht ein CIO, um seinen Aufgaben gewachsen zu sein?

CHANG: CIOs sollten Führer sein. Wenn ein CIO keine Manager-Qualitäten hat, kann er jemanden einstellen, der ihn unterstützt. Er selbst braucht jedoch eine genaue Vorstellung, wohin er das Team führen will. Er muss die Leute motivieren können, insbesondere zur Unterstützung von Veränderungsprozessen. Das ist ein schwieriges Thema, weil sich jeder vor Veränderungen fürchtet. Der CIO muss diese sowohl in seinem eigenen Team als auch bei den Anwendern im Unternehmen verkaufen können.

CW: Wie sollten CIOs dabei vorgehen?

CHANG: Wir empfehlen hier die "Triage"-Methode, mit der Napoleons Sanitätsoffiziere die Verletzten einer Schlacht in drei Gruppen unterteilten. Diejenigen, die nicht überleben würden, wurden nicht weiter behandelt. Hoffnungslose Versuche kosten nur wertvolle Zeit. Solchen mit guten Überlebenschancen wurde ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet, wodurch sich ihre Chancen erhöhten. Im Kern der Bemühungen standen allerdings die Fälle, wo ein Überleben möglich, aber unsicher war. Hier konnten verstärkte Anstrengungen einen großen Unterschied machen.

CW: So blutig wie bei den napoleonischen Feldzügen geht es in den meisten IT-Abteilungen glücklicherweise nicht zu.

CHANG: Übertragen auf die Geschäftswelt, bedeutet das: Versetzen Sie Mitarbeiter, die Veränderungen hassen, möglichst schnell und schmerzlos. Nutzen Sie diejenigen, die Veränderungen begrüßen, als Meinungsmacher, und konzentrieren Sie sich auf die Unentschlossenen: Hier können Sie viel erreichen. Besonders wichtig ist dieses Vorgehen bei den Wortführern in den einzelnen Abteilungen. Wenn diese einem Projekt ablehnend gegenüberstehen, muss man sie schnell loswerden oder nach Taiwan versetzen, bevor sie beginnen, andere negativ zu beeinflussen.