MUE-Systeme koennen den Uebersetzer nur unterstuetzen Mehrsprachige Dokumentationen werden zum strategischen Thema Von CW-Mitarbeiter Joachim Hackmann

25.03.1994

ESCHBORN - Seit mehr als zwanzig Jahren versuchen Forscher, die Komplexitaet der Sprache maschinell in den Griff zu bekommen. Doch die assoziativen Faehigkeiten des Menschen sind bislang auf keinem System abbildbar, und so koennen auch die Maschinen-Uebersetzungen (MUE) lediglich Texte liefern, die noch nachbearbeitet werden muessen.

Ein Unternehmen, das sich mit aller Kraft auf dem Markt der MUE- Systeme engagiert, ist die Logos GmbH in Eschborn. 1969 in den USA gegruendet, entwickelten die Sprachspezialisten anfangs noch mit staatlichen Geldern Prototypen fuer Uebersetzungsprogramme mit Sprachpaaren wie Englisch-Vietnamesisch oder Englisch-Russisch.

Seit 1992 ist Logos in der Hand einer europaeischen Investorengemeinschaft, die den kommerziellen Einsatz ihres Softwareprodukts "Logos" forciert. Neben dem Headquarter in New Jersey gibt es Dependancen in Boston und Kanada. Die momentan einzige europaeische Niederlassung befindet sich in Eschborn. Dort sind 15 Menschen beschaeftigt. In der Schweiz wird gerade ein weiteres Buero aufgebaut.

Mit weltweit 45 Mitarbeitern erwirtschaftet Logos derzeit einen Umsatz von 5 Millionen Dollar. Rund 80 Prozent des Umsatzes wurde mit MUE-Software erzielt. Die uebrigen 20 Prozent ergeben sich aus Dienstleistungen wie Terminologieservice, Training sowie Linguistik- und System-Consulting.

Das Softwareprodukt Logos, das in der Versionsnummer 7.5.3 vorliegt, ist keine billige PC-Loesung: Rund 45 000 Mark kostet das Grundmodul mit einem Sprachpaar. Als Hardwareplattform verwendet Logos bisher nur Sunsparcstations mit Sun Solaris 2.x. Das Programm enthaelt DTP- und Textverarbeitungs-Schnittstellen zu Interleaf, Framemaker, Wordperfect sowie MS-Word (RTF) und unterstuetzt verschiedene ASCII- und Unix-Formate.

Der Kaeufer erhaelt ein System, das mit semantischer Intelligenz ausgestattet ist und sich nicht darauf beschraenkt, eine wortweise Uebersetzung zu liefern: Logos analysiert den ausgangssprachlichen Satz in seiner Gesamtheit.

Der Zielmarkt ist die technische Dokumentation

Assoziative Faehigkeiten werden anhand semantischer Merkmale geloest: Bestimmte Woerter ergeben laut einer statistischen Auswertung nur im Kontext mit einigen wenigen anderen Vokabeln einen Sinn. Die pronominale Referenz kann durch eine Analyse der Substantive und anhand einer Historie der im Satz verwendeten Woertern erschlossen werden.

Doch das System funktioniert nicht reibungslos: Einen Artikel aus der CW uebertrug es in nur holpriges Englisch. Einige Worte wurden gar nicht oder falsch uebersetzt, und zum Teil ergaben Saetze in der Zielsprache einen voellig anderen Sinn. Erst nachdem das Woerterbuch und das semantische Regelwerk entsprechend erweitert wurden, lieferte Logos eine annehmbare Uebersetzung, die dann allerdings noch von Hand nachbearbeitet werden musste.

Vom Ergebnis dieses Tests war Jens Thomas Lueck, Geschaeftsfuehrer der deutschen Niederlassung und CEO von Logos, wenig ueberrascht: "Die Systeme sind heute fuer Textsorten wie beispielsweise Zeitungsartikel, die typischerweise nuancenreich und mehrdeutig sind, noch nicht robust genug. Wir sehen die Anwendungen unserer Software eher im Bereich der technischen Dokumentationen und Handbuecher."

Das Logos-MUE-System orientiert sich eng an Satzstrukturen wie Laenge und Aufbau; sprachliche Stilelemente, wie sie in den Printmedien vorkommen, koennen von den derzeit verfuegbaren Programmen nicht interpretiert werden. Produktbeschreibungen hingegen sind in ihrem Aufbau eindeutig und lassen sich besser verarbeiten. Wie gut die Uebersetzung letztlich gelingt, haengt vom Woerterumfang der Datenbank und dem semantischen Regelwerk des Uebersetzungsprogramms ab. Einige Kunden mit gut gepflegten Datenbanken, so Lueck, koennten auf Ergebnisse verweisen, in denen Texte bis zu 95 Prozent korrekt bearbeitet wurden.

Auf rund 800 Millionen Seiten schaetzen Analysten das weltweite Textvolumen, das noch zu uebersetzen ist. Und der Markt werde in den naechsten Jahren rapide wachsen. Lueck beruft sich dabei auf japanische Untersuchungen, die solchen Systemen fuer das Jahr 2005 ein Potential von 16 Milliarden Dollar prognostizieren.

EG-Richtlinien fuehren zu keiner grossen Belebung

Von den neuen EG-Richtlinien, nach denen Hersteller ab 1995 technische Dokumentationen und Bedienungsanleitungen zu ihren Produkten in der jeweiligen Landessprache anbieten muessen, verspricht sich der Logos-Geschaeftsfuehrer allerdings keine besondere Belebung des Markts. Entscheidender sei, dass fuer international operierende Unternehmen mehrsprachige Produktbeschreibungen zu einem strategischen Marketing-Thema avancierten.

"Die simultane Verfuegbarkeit von mehrsprachigen Dokumentationen ist ein kritischer Faktor", erklaert der Logos-CEO. "Wenn Unternehmen heute ihre Produkte global vermarkten wollen, muessen sie mehrsprachige Dokumentationen zur Verfuegung stellen. Koennen die technischen Beschreibungen kurzfristig erstellt und die Produkte somit frueher auf den Markt gebracht werden, so verringert sich der Zeitraum, in dem sich die Investitionskosten fuer die Entwicklung amortisieren. Der Flaschenhals der technischen Dokumentation laesst sich nur mit MUE-Programmen aufbrechen."

In der Kombination laesst sich Produktivitaet verdoppeln

Das eigene System schafft laut Lueck zirka 100 Seiten pro Stunde, ein professioneller Uebersetzer bringt es dagegen auf acht bis zehn Seiten am Tag. Dennoch wird das Logos-Programm ebenso wie die anderen verfuegbaren Produkte die menschliche Arbeit nicht ersetzen, sondern lediglich unterstuetzen koennen. Im Zusammenspiel mit dem Tool lasse sich der Durchsatz jedoch verdoppeln - die Taetigkeit des Uebersetzers bestehe dann ueberwiegend in der Aufbereitung der vom System gelieferten Texte.

Mit dem Einsatz eines MUE-Programms stellt sich nach Luecks Einschaetzung ein weiterer Effekt ein: Die Originaltexte wuerden besser, weil sich die Schreiber an den Notwendigkeiten des technischen Systems orientieren muessen. Den Einwand, dass maschinenverstaendliche Texte nicht zwangslaeufig auch fuer Anwender leichter zu begreifen seien, laesst er nicht gelten: "Die Maschine wird dazu zwingen, dass die Dokumentation besser wird. Das System liefert dann besonders guten Output, wenn der Text klar geschrieben und Rechtschreibung sowie Interpunktion korrekt sind. Es wird sich herausstellen, dass Dokumentationen, die fuer die Maschine geschrieben wurden, auch fuer Anwender besser zu verstehen sind."

Logos rekrutiert seine Abnehmer ueberwiegend aus der IT- und Telekommunikationsbranche und in den USA auch aus dem Dienstleistungsbereich. Die produzierende und verarbeitende Industrie ist derzeit kein bedeutender Kundenstamm - in diesem Gewerbe wird das Thema Dokumentation noch unterschaetzt, wie Lueck meint: "Jeder, der dokumentationsintensive Produkte international verkaufen will, kommt an dem Thema MUE-Systeme mittelfristig nicht vorbei."

In fuenf Jahren werden die MUE-Programme seiner Einschaetzung nach dramatisch verbessert sein. Der Markt werde sich auch auf andere Textsorten ausdehnen, sobald die Hersteller bezueglich linguistischer Qualitaet robustere Systeme anbieten koennten.

Logos duerfte auch fuer Ingenieure, Entwickler oder andere Fachleute zunehmend interessant werden, meint Lueck. Solche Texte muessten nicht fertig bearbeitet sein, oftmals sei es ausreichend, wenn sich dem Leser der Sinn erschliesse. Der Trend gehe auch vom rein professionellen zum PC-Markt hin.

Ende 1994 oder Anfang 1995 will Logos bereits mit einem PC-Produkt auf den Markt kommen. Hersteller, die mit Billigangeboten MUE- Produkte fuer den PC anbieten, sind laut Lueck keine ernstzunehmende Konkurrenz. Nur drei Systemen traut er langfristig Erfolg zu: Metal, Systran und natuerlich Logos.