Mongolenangst

27.09.1985

Je mühsamer sich die Versuche ausnehmen, Verbesserungen in der Programmierung durch den Einsatz neuer Softwaretechniken zu erreichen, desto klarer wird, daß es zum Software-Engineering im Sinne einer maschinengestützten Produktion von Anwendungssystemen keine Alternativen gibt. Der DV-Engpaß heißt nach wie vor "Programmierung".

Auf diese Selbstverständlichkeit wollte ein Anonymus hinweisen, indem er sich mit den sogenannten "Externen", den Auftragssoftwerkern anlegte (CW Nr. 35 vom 30. August 1985, Seite 12: "Fremdprogrammierer blockieren den softwaretechnischen Fortschritt"). Hauptvorwurf: Die Mitarbeiter von Software- oder Beratungsunternehmen seien technologisch nicht auf dem neuesten Stand. Die Folge: miese Programme, schlechte Software Qualität.

Die Nestbeschmutzung stieß bei den Softwarehäusern auf ein unfreundliches Echo (Seite 12). Man rechtfertigt sich, wo es nichts zu rechtfertigen gibt (siehe oben). Nochmal: Zur Softwarefabrik gibt es keine Alternative - und was die Realisierung von Anwendungen an geht, so liegt die Lösung in exakter Planung und einem guten Projektmanagement.

Jeder sieht überdies, daß es ohne Externe nicht geht. Wer immer von Anwenderseite mit fremden Software-Dienstleistern zusammengearbeitet hat, wird seine alte Mongolenangst abgelegt haben. Nein, sie schinden keine Programmierzeilen, um beim Anwender abzusahnen - jedenfalls nicht vorsätzlich.

Und doch gibt es Probleme bei der Auftragsprogrammierung, das werden auch die Softwarehäuser nicht leugnen können. Allzu bequem und leichtfertig wäre es, das Thesenpapier unseres anonymen Software-Laboranten als Pamphlet abzutun ("Sperrt Türen und Fenster zu, Zigeuner und Externe kommen"). Da ließe sich sogar noch ein Kritikpunkt anfügen, der auch in den streitbaren Erwiderungen nicht berücksichtigt wurde: Wie soll ein DV/Org.-Chef beim Anwender seine Mitarbeiter motivieren, wenn qualifizierte Arbeit wie die Einführung einer neuen Softwaretechnik, die auch eine Herausforderung an den Programmier-Profi im Hause darstellt, an Freelancer vergeben wird? Der Frusteffekt ist beachtlich. Für den Anwender kann das teuer werden (Fluktuation etc.).

Im Kontext der Meinungen (siehe Leserbriefe) bekommt indes das Beschwören der gemeinsamen Projektverantwortung (Anwender und Berater in einem Boot) einen versöhnlichen Klang. Da scheint auch ein Motivationsfrieden machbar. Nur: Schöne Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Provokation (Fremdprogrammierer blockieren den softwaretechnischen Fortschritt) ernst zu nehmen ist.

An ihrem "Mongolen-Image" hat die Softwarebranche fleißig gestrickt. Ein "Third-Party-Verständnis", insbesondere was die eigenen Leistungen in Sachen Software-Engineering betrifft, wurde im Markt nicht geweckt. Man verstand sich entweder als "Body-Leaser" (Schwamm drüber) oder als verlängerter Arm der DV-Hersteller (besser: eines DV-Herstellers) - jedenfalls nicht als "dritte Kraft", die auf neue Methoden und Verfahren setzt.

Kein Wunder, daß die opportunistische Trittbrettfahrerei der Softwarehäuser und DV-Berater Unmut erweckt, ihre Unabhängigkeit von den Anwendern in Frage gestellt wird. Was von Vertretern der weichen Zunft zur Sache gesagt wird, läßt Trotz vermuten, wo Einsicht angebracht wäre.