Moderne Bürotechnik noch im Bann der Kennzahl

29.11.1985

Helmut Bodem, Institut für Organisationsforschung und Technologieanwendung IOT München

Die nicht unbegründete Auffassung, daß in den Verwaltungen der Unternehmen noch erhebliche Rationalisierungsreserven schlummern, verstärkt die Zuwendung der Top-Etagen zu den neuen Techniken. Allerdings handelt es sich häufig eher um ein "Gefühl", man müsse "dabeisein" und es werde schon "etwas bringen". Nachgeordnete Führungsebenen oder neugegründete Abteilungen werden deshalb beauftragt, sich dem Themenkomplex "neue Bürotechnologien" und deren Nutzungschancen im eigenen Hause zu widmen.

Oft wird jedoch die tatsächliche Tragweite und Komplexität dieses Themas unterschätzt. Ein "Teufelskreis" deutet sich an, in dem sich übergroße Ansprüche an die integrierte Gesamtlösung mit dem Katzenjammer über immense Investitionsbeträge und tiefgreifende organisatorische Begleitmaßnahmen abwechseln und den anfänglichen Schwung mehr und mehr zum Erlahmen bringen. Es tut dringend not, Konzepte und Rezepte für den Ausbruch aus der für die Zukunft der Unternehmen - und der Bürokommunikation - unheilvollen Spirale zu formulieren. Diese Maßnahmen müssen offenbar vor allem mit eingefleischten Problemlösungsprozessen fertig werden, die bisher systematisch zu dem zitierten Teufelskreis beigetragen haben.

Die Handhabung der Investitionsentscheidung in den Unternehmen bildet den ersten Kernpunkt. Viele Unternehmen setzen seit Jahren bewährte, teilweise sehr differenzierte und oft in Richtlinien festgeschriebene Wirtschaftlichkeitsberechnungsverfahren ein, um über Investitionen zu entscheiden. Die Entscheidungsvorbereiter waren es gewohnt, dem Management das Resultat ihrer Arbeit in Form von Kennzahlen zu präsentieren, die oft ziemlich unabhängig von der begleitenden Argumentation als die entscheidende Legitimationsgrundlage angesehen wurden.

Beim Einsatz neuer, komplexer Bürotechniken stecken die Entscheidungsvorbereiter jedoch in einem gewissen Dilemma, was die Ermittlung und Darbietung der gewünschten Zahlen betrifft. Verschiedene Ursachen sind hierfür verantwortlich. Moderne Bürotechnik ist zunehmend auf Arbeitsplätze im Bereich der Sachbearbeiter, Fachspezialisten und Führungskräfte ausgerichtet. Die in diesen Bereichen erzielbaren Effekte sind vielfältig und lassen sich oft nur schwer abschätzen. Hinzu kommt das Bewertungsproblem dieser Effekte; denn vielfach sind die Büroleistungen nicht über Marktpreise bewertbar. Darüber hinaus wird in den meisten traditionellen Wirtschaftlichkeitsverfahren die quantitative Seite überbetont. Speziell die qualitativen Leistungsverbesserungen, die durch neue Bürotechnik erzielbar sind, können schon vom Ansatz her nicht angemessen berücksichtigt werden. Verschärft wird diese Situation noch dadurch, daß das heute vorherrschende Kennzahlenwesen kaum Informationen über die Wechselwirkungen zwischen intern abgegebenen Büroleistungen und marktorientierten Leistungsgrößen bereitstellt.

Die praktische Folge dieser Situation ist, daß oft materiell nicht ausreichend begründete Investitionsentscheidungen getroffen werden oder aber Investitionen in der Hoffnung auf bessere Entscheidungsunterlagen aufgeschoben werden.

Diese unbefriedigende Situation zu überwinden, setzt einen Umdenkprozeß voraus, der vor allem folgende Elemente enthält: Das Topmanagement sollte sich nicht nur auf die "Magie der Zahl" bei ihren Investitionsentscheidungen verlassen, sondern verstärkt differenzierte, gerade auch qualitative Wirtschaftlichkeitsaspekte anerkennen. Die "festgeschriebenen" Wirtschaftlichkeitsaspekte sind einer generellen Überprüfung zu unterziehen und den realen Zielgrößen und Kriterien einer "aufgeklärten" Bürorationalisierung anzupassen.

Das bedeutet insbesondere, daß stärker die Wechselwirkung zwischen internen Büroleistungen und marktorientierten Erfolgskriterien beachtet und konsequent Informationen und Daten gesammelt werden, um sie für künftige Entscheidungen bereitstellen zu können.

Auch die Abkehr von der oft risikoträchtigen und daher die Entscheidungsfreude hemmenden Vorstellung, man könne neue Bürotechnik nur im "großen Wurf" einführen, ist

- last but not least - ein wichtiger gedanklicher Schritt.

Die zuletzt genannte Forderung lenkt den Blick auf einen weiteren neuralgischen Punkt beim Thema Management der Bürokommunikation: die Organisierbarkeit. Unternehmen sind über viele Jahre hinweg gewachsene Gebilde, die man nicht von heute auf morgen umstellen kann. Es empfiehlt sich vielmehr, sich schrittweise in die neue Praxis mit innovativen Bürotechniken über kleine, wachstumsfähige Zellen hineinzutasten. Durch die richtige Auswahl des organisatorischen Bereichs sowie der Personen, die als Promotoren das Hineinwachsen in neuartige Abwicklungspraktiken vorantreiben, geben den Organisationen die Sicherheit, ohne übermäßige Risiken einen sinnvollen und flächendeckenden Einsatz vorzubereiten. Hierbei sollte sogar ganz bewußt in Kauf genommen werden, daß bestimmte erste Lernschritte oder Pilotprojekte - auch wenn sie Geld gekostet haben - zurückgenommen werden müssen. Die gewonnenen Erfahrungen sind allemal dieses Geld wert.

Das empfohlene Vorgehen hat auch Auswirkungen auf die Methodik der Organisationsarbeit. Die Bedeutung der Kommunikationskomponente der Bürotechnik erfordert eine deutliche Abkehr von der Betrachtung isolierter arbeitsplatzbezogener Sachverhalte und eine verstärkte Hinwendung zu einer prozeßorientierten und in Netzwerken denkenden Methode. Dies heißt jedoch keineswegs, Kommunikationsanalysen müßten generell die gesamte Unternehmung einbeziehen; vielmehr ist anzustreben, daß in engem Zusammenhang mit der Strategie der Lernschritte überschaubare, vor allem aus qualitativen Erwägungen heraus rekonstruierte Kommunikationsnetze im Vordergrund stehen.

Um die Gestaltungsoptionen, die in den Bürotechnologien tatsächlich stecken, zum Vorteil der Anwender zu entfalten, ist es vor allem notwendig, dynamischen Prozeßbetrachtungen im Vergleich zu statischen Ist-Analysen und arbeitsplatzbezogenen Betrachtungen den Vorrang einzuräumen. Weg mit althergebrachten Methodiken, angefangen von Fragebögen bis hin zu verfestigten Beobachtungsprotokollen! Auch wenn dies schmerzhaft ist und naturgemäß für die Organisationsarbeit vorübergehend Turbulenzen mit sich bringt, erscheint dies als der beste Weg, die neuen Bürotechniken und ihren Einsatz angemessen vorzubereiten, zu beherrschen wie auch eine mitarbeitergerechte Gestaltung des "Büros mit Zukunft" zu sichern.