IDC prognostiziert Mobility-Boom erst für 2006

Mobile Computing scheitert an Integration

13.02.2004
FRANKFURT/M. (pg) - Das Geschäft mit mobilen Anwendungen läuft nur schleppend. Knappe IT-Budgets und wenig ausgereifte Lösungen für die Backend-Integration externer Mitarbeiter lassen die Anwender zögern. Die Branche hofft nun dieses Jahr auf den Durchbruch.

Mobilität ist in den deutschen Unternehmen nicht so selbstverständlich, wie es die Anbieter gerne glauben machen wollen. Im Gegenteil: Das Interesse an mobilen Lösungen hat nachgelassen, wie eine Studie der Marktforscher von IDC ergab. Laut Lars Vestergaard, Research Manager European Wireless & Mobile Communications, schenkten 2002 bei einer Umfrage 30 Prozent der interviewten IT-Manager dem Thema große Beachtung, vergangenes Jahr waren es dann nur noch 15 Prozent.

"Das ist traurig", sagte der Analyst auf der dritten IDC Mobility Konferenz 2004 in Frankfurt am Main und gibt den Herstellern einen Teil der Schuld: "Der Interessenschwund ist auch auf leere Versprechungen zurückzuführen", moniert er und nennt Beispiele. So sei es in vielen Fällen nicht gelungen, die Vorteile mobiler Anwendungen technisch adäquat umzusetzen. Nachteilig würden sich auch die Verschiebungen bei der dritten Mobilfunkgeneration UMTS sowohl im Netzbetrieb als auch bei den Endgeräten auswirken. Darüber hinaus hätten es die verschiedenen Interessengruppen versäumt, ihre Angebote für den Kunden zu kombinieren. Wegen alledem stehen hinter dem Thema Mobility, so Vestergaard, aus Sicht der Anwender noch viele Fragezeichen.

Der Marktforscher will aber nicht allein die Anbieter für die Zurückhaltung der Kunden verantwortlich machen. Zu der Misere habe auch die Wirtschaftskrise beigetragen. "Bei knappen Budgets ist Mobility in der IT nicht die erste Wahl", weiß er aus Befragungen. Er glaubt aber an eine Trendwende, weil sich die wirtschaftliche Situation vieler Unternehmen entspannt habe. Aufgrund der besseren Stimmung könnten nun auch Gelder in mobile Projekte fließen, wobei diese aber mit anderen Vorhaben konkurrieren. Zum Beispiel sei wegen des Sparzwangs viel IT-Equipment veraltet und müsse nun ausgetauscht werden. Handlungsbedarf sieht Vestergaard auch in den Bereichen Datenbank und Customer-Relationship-Management. Mobile Projekte hätten deshalb nur dann eine Chance, vor Controllern zu bestehen, wenn sie einen klaren Nutzen brächten.

Geringerer Integrationsaufwand für horizontale Anwendungen

Die Anzeichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung sind auch der Strohhalm, an den sich die Anbieter klammern. Konjunkturelle Impulse scheinen dringend notwendig: In zahlreichen Präsentationen tauchten in Frankfurt meistens nur die alten Referenzkunden auf, und Entlassungen wie bei Adisoft sowie die Ablösung des für Deutschland verantwortlichen Geschäftsführers bei Extended Systems lassen darauf schließen, dass die Geschäfte hierzulande nicht so laufen, wie erhofft.

"Die Anzahl der mobilen Projekte ist nicht explodiert", räumt Tobias Philipp, Presales Manager Europe bei iAnywhere Solutions, eine träge Marktentwicklung im letzten Jahr ein. Das größte Wachstum ist seinen Ausführungen zufolge in Europa bei so genannten horizontalen Anwendungen, also E-Mail- und PIM-Lösungen (PIM = Personal Information Management), zu verzeichnen. Hier würden besonders stark Installationen für über 500 Teilnehmer nachgefragt.

IDC-Analyst Vestergaard bestätigt diesen Trend. Er sieht die Erklärung darin, dass es im Bereich der horizontalen Applikationen ein breites Spektrum an Lösungen gibt und der Integrationsaufwand erheblich geringer ist als bei vertikalen Anwendungen, die in die Backend-Systeme hineinreichen. "Bei solchen Projekten sind die Hürden wesentlich höher", erklärt er die Vorsicht der Anwender und übt außerdem Kritik an Softwareherstellern wie SAP, Oracle, Peoplesoft und Baan. "Sie haben nicht genügend Anstrengungen unternommen, ihre Anwendungen zu mobilisieren", lautet sein Vorwurf. Das sei ein Grund, weshalb Integrationsprojekte größeren Stils noch Mangelware sind.

Die Anwender sollten akzeptieren, so das Credo Vestergaards, dass die Verfügbarkeit solcher Intranet-Lösungen derzeit erst bei 70 Prozent liege. Damit könnten die meisten Interessenten aber schon für sie nützliche mobile Vorhaben umsetzen. Der Experte rät Unternehmen, die sich mit dem Gedanken an eine Backend-Integration externer Mitarbeiter tragen, ihre Anforderungen im Vorfeld genau zu sondieren und zu prüfen, ob mobile Anwendungen die gewünschte Effizienz bringen können. Erst dann sollten sie Anbieter mit ihren Vorstellungen konfrontieren. Dabei sei es derzeit von Vorteil, dass die Hersteller sehr am Dialog mit Kunden über die Migration von Geschäftsprozessen interessiert seien.

"Mobile Lösungen gibt es nicht out of the box, außer bei PIM- und E-Mail-Anwendungen, weil in diesen Fällen das Backend konstant ist", verweist iAnywhere-Manager Philipp auf die Komplexität vertikaler Anwendungen und die individuell unterschiedlichen Anforderungen eines jeden Unternehmens. Seiner Meinung nach muss die Branche nun versuchen, mit Hilfe realisierter Projekte Überzeugungsarbeit zu leisten.

Schneeballeffekt tritt frühestens 2006 ein

Mit einem Boom mobiler Projekte ist nach Ansicht Vestergaards in diesem Jahr nicht zu rechnen. Er erwartet, dass umfassende Integrationslösungen für Anbieter erst ab 2006 bessere Geschäfte versprechen. Der Grund: Noch sehen viele Unternehmen Mobility nur als angenehmen Nebeneffekt an, nicht aber als lebenswichtig. Spürbare Umsätze würden die Hersteller erst dann verzeichnen, wenn der berühmte Schneeball- beziehungsweise Nachahmeffekt eintritt, weil Mobility zum Massenphänomen wird. Die Chancen dafür stehen laut Vestergaard nicht schlecht. Er ist sich sicher, dass das Interesse am Thema Mobilität bei der IDC-Anwenderbefragung dieses Jahr wieder zulegen wird. Diese Entwicklung würde sich mit einer CIO-Studie von Morgan Stanley decken. Dort schaffte Mobility in der Prioritätenliste den Sprung auf Platz drei.