Interview

"Mittelstand bei CRM noch zurückhaltend"

06.10.2000
Mit Martin Boll, Geschäftsführer der SAP-Tochter Steeb GmbH, sprach CW-Redakteur Stefan Ueberhorst

CW: Die ganze Branche redet mittlerweile nur noch von E-Commerce und Customer-Relationship-Management (CRM). Was sagt Ihre Klientel zu diesen Themen?

BOLL: Der Mittelstand reagiert derzeit noch deutlich zurückhaltender auf E-Commerce als Großunternehmen, die meist schon sehr früh mit neuen Produkten experimentieren. Unsere Kunden - das sind überwiegend Unternehmen mit Umsätzen zwischen 50 und 250 Millionen Mark - verfolgen die Trends sehr aufmerksam. Bis zum konkreten, flächendeckenden Einsatz vergeht aber noch einige Zeit. Wir können jedoch davon ausgehen, dass Großunternehmen auf ihre mittelständischen Partner Druck ausüben werden, um Geschäftsprozesse über das Internet abzuwickeln.

CW: Wie sieht es mit dem zurzeit hochgekochten Thema Application-Service-Providing (ASP) aus?

BOLL: Auch hier erhalten wir viele Anfragen, aber konkrete Entscheidungen gibt es kaum. Das hängt ganz wesentlich von der jeweiligen Branche ab. Für die Fertigungsindustrie zum Beispiel eignet sich ASP nur eingeschränkt. In der Theorie gibt es zwar Einzel- und Serienfertiger, tatsächlich arbeiten aber viele mit einer Mischung unterschiedlicher Fertigungsarten. Dafür lässt sich ein System für den Masseneinsatz kaum vorkonfigurieren.

CW: Wenn nicht E-Commerce oder ASP, was beschäftigt den Mittelstand dann?

BOLL: Der Schuh drückt die meisten Unternehmen noch im klassischen ERP-Umfeld, wo nach wie vor Individuallösungen vorherrschen. Nach jüngsten Marktanalysen betreiben je nach Betriebsgröße immer noch 50 bis 60 Prozent der Unternehmen Eigenentwicklungen.

CW: Dieses Segment bearbeitet SAP nun schon seit Jahren - offensichtlich noch ohne großen Erfolg.

BOLL: Das trifft nicht zu. Nach den Markterhebungen ist SAP Marktführer, auch im Mittelstand. Allerdings wird R/3 seinen Ruf als Großkundensoftware tatsächlich nur langsam los. Die SAP arbeitet seit etwa fünf Jahren an Mittelstandsinitiativen, einige unserer Mitbewerber haben inzwischen massive Probleme.

CW: Liegt das an der Einführung von "Mysap.com"?

BOLL: Mit Mysap.com hat SAP einen äußerst mittelstandsfreundlichen Weg eingeschlagen, so dass die meisten Neuabschlüsse in diese Richtung gehen. Wer sich heute für ein reines R/3 entscheidet, muss die in Mysap.com bereits enthaltenen Produkte wie CRM, SCM oder Business Warehouse, sofern gewünscht, später separat erwerben. Das kann dann deutlich teurer werden. Derzeit fällt der Preisunterschied zwischen R/3 und Mysap.com gerade im Mittelstand sehr gering aus. Das gilt auch für eine Migration von R/3, weil SAP bis zum Jahresende äußerst günstige Wandlungskonditionen anbietet. Nur ein Beispiel: Ein Mittelständler mit 20 bis 30 R/3-Benutzern erhält heute ein Upgrade auf Mysap.com in der Größenordnung zwischen 5000 und 10000 Euro.

CW: Weshalb ist das Lizenzmodell für den Mittelstand reizvoller als für Großunternehmen?

BOLL: Das hängt vor allem mit dem rollenbasierten Workplace zusammen. Während in Großunternehmen aufgrund der arbeitsteiligen Prozesse viele Rollen notwendig sind, fasst der Mittelstand oft viele Funktionen in einer einzigen Rolle zusammen. Das lässt sich mit Mysap.com sehr gut darstellen.

CW: Wenn die Lizenzpreise dem Mittelstand so entgegenkommen, müssen Sie da nicht um Ihren Umsatz fürchten?

BOLL: Nein, denn damit wird Mysap.com richtig attraktiv für den Mittelstand, so dass sich zusätzliche Marktchancen eröffnen. In Deutschland gibt es etwa 3,2 Millionen mittelständische Unternehmen. Hier existiert also noch immer ein enormes Wachstumspotenzial. Außerdem verschafft uns natürlich auch die Schwäche der Konkurrenz Vorteile, sei es Baan oder jüngst Brain. Wir hören von Anwendern, die fürchten, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. So etwas spricht sich schnell herum.

CW: Immer wieder wird befürchtet, SAP könne mit einem lukrativen Servicegeschäft Flauten bei den Lizenzumsätzen ausgleichen und dadurch Konflikte mit den Partnern provozieren.

BOLL: Das ist unbegründet. Steeb wird sich ebenso wie SAP strategisch auf das Lizenzgeschäft konzentrieren. Wir sehen für uns in einer Mischung aus 60 Prozent Lizenzgeschäft und 40 Prozent Serviceanteil ein gutes Verhältnis, um wachsen zu können.