IT in Versicherungen/In neun Monaten ein komplexes Decision Support System (DSS)

Mit wenig Aufwand an die richtigen Informationen kommen

21.11.1997

Am Anfang stand der Wunsch nach mehr Kundennähe. Je umfassender, schneller und aktueller R+V über Bestandsdaten, Vertragsabschlüsse und Vertriebsaktivitäten speziell im Außendienst informiert ist, desto besser können die Mitarbeiter - auch kurzfristig - auf den Markt reagieren. Was Ende 1994 mit der ersten Datennutzungskonferenz begann, ist heute ein bundesweit eingesetztes Data-Warehouse, maßgeschneidert auf der Basis von Sequent-Hardware, einer Informix-Datenbank und der OLAP-Entwicklungsumgebung Seagate Holos.

Das System wurde in relativ kurzer Zeit implementiert: "Wir hatten damals einige Ansätze diskutiert. Von der Idee, das dispositive System auf dem Main- frame zu fahren, sind wir ebenso abgerückt wie von der dezentralen Alternative mit einzelnen Datenbanken in jeder Filiale. Die Entscheidung fiel zugunsten der Trennung der operativen von den dispositiven Systemen. Innerhalb von neun Monaten stand das Data-Warehouse für die allgemeinen Daten, und der Anfang für unser Decision Support System war gemacht", erläutert Helmut Schönherr, Leiter Vertriebs- und Informationssysteme, das Vorgehen.

Neun Monate ist wenig Zeit für ein komplexes DSS. Dieser Zeitraum läßt sich jedoch nicht verallgemeinern. Generell hängt die Realisierungsdauer der dispositiven Anwendungen davon ab, wie gut die fachlichen Anforderungen beschrieben sind, wie genau die Interessen aller Beteiligten unter einen Hut zu bringen sind und welche Probleme bei der Datenversorgung auftreten. Bei kompletten Anwendungssystemen ist mit neun bis zwölf Monaten zu rechnen. Kleinere Anwendungen sind in der Regel in ein paar Wochen zu implementieren. Die eigentliche Crux sind für Volker Marx, Leiter Vertriebsunterstützung bei Seagate Software IMG in Eschborn, wie für Schönherr die Daten: "Die Funktionalität ist verglichen mit den Daten einfach zu bewerkstelligen. Sie müssen korrekt beschaffen, bereinigt und verdichtet sein, bevor die eigentliche Arbeit mit dem DSS starten kann."

Das Data-Warehouse bei R+V besteht aus Grundtabellen, die in überwiegend genormter Form alle für ein Versicherungsunternehmen dispositiv wichtigen Daten enthalten. Das sind unter anderem Informationen über Kunden, Verträge, Außendienstmitarbeiter, Schäden, Organisationseinheiten, Steuerungsgrößen oder Wertbewegungen. Ferner sind Data-Mart-Tabellen eingerichtet.

In Form von Stern-Schemata erfüllen sie als "Fact/Dimension Tables" die Anforderungen der dispositiven Anwendungen und sind die Basis zum Laden der OLAP-Sichten. Gab es vor Jahresfrist bei R+V noch ein Datenvolumen von 100 GB, hat sich der Bestand bis heute bereits verdoppelt. Sie sind in etwa 250 Tabellen einer Informix-OnLine-XPS-Datenbank abgelegt.

Erfolgsrechnung hieß die dispositive Anwendung der ersten Stunde. Das DSS stellt den unternehmerischen Erfolg in Form einer Deckungsbeitragsrechnung dar. Variabel sind Organisationseinheiten, Produkte, Außendienststrukturen, Gesellschaften und Vertriebswege. Insbesondere Controller und Führungskräfte in Fachabteilungen und Vertrieb kommen ab Anwender in Frage. Seit der Einführung reduzierten sich die Betriebskosten auf ein Drittel des bisherigen Aufwands. Neu hinzugekommen ist 1997 ein Außendienst-Controlling-System für Vertriebsmitarbeiter und Führungskräfte im Außendienst. Es bildet die Leistungen des Außendienstes ab, etwa abgeschlossene Verträge in Mark und in Stückzahlen. Weitere Dimensionen sind Außendienststrukturen, Vertragssparten, Zeitraum, Vertriebswege und -gebiete. Ad-hoc-Abfragen über den sogenannten Ad-hoc-Browser können auch Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen stellen. Das Tool ist einfach zu bedienen, so daß sich per Point-and-Click damit arbeiten läßt.

Ganz dem Credo von R+V entspricht der starke Gebrauch des Systems durch die Mitarbeiter. Statt zentraler Auswertungen mit anschließender Verteilung geht es um aktives "Do-it-yourself". Und das wirkt sich unmittelbar auf Aktion und Reaktion im Markt aus. Mit Hilfe von Ad-hoc-Abfragen sind die Fachbereiche entsprechend ihrer Berechtigung sofort über neue Informationen im Bilde: Wie reagieren Kunden auf die neue Haftpflichtpolice? Was tut sich bei Schadensbewegungen und -ursachen und damit beim Schadensverlauf? Sind neue Umweltbedingungen entstanden, etwa durch die Abwanderung von Kunden in andere Postleitzahlengebiete? Die Anwender haben die Ergebnisse ihrer Abfragen sofort verfügbar und bewegen sich auf einer sicheren Grundlage.

Die Antwortzeit liegt unter drei Sekunden

Hinzu kommen weitere Pluspunkte: die komfortable Benutzeroberfläche, gute Performance und vielfältige Möglichkeiten des DSS. Horst Schmidt, Projektleiter bei R+V, schätzt diese Vorteile: "Rückblickend waren die meisten Aufgaben mangels geeigneter Systeme überhaupt nicht lösbar. Mit Hilfe von Listen oder vom Mainframe abgezogener Dateien haben wir auf dem PC ausgewertet. Allein die Verdichtung der Daten vor der Extraktion dauerte auf dem Mainframe nicht selten 60 Stunden. Heute benötigt die Erfolgsrechnung-Verdichtung 20 Stunden, die Antwortzeit in der Anwendung selbst liegt unter drei Sekunden und das bei doppeltem Datenbestand." Das DSS bewältigt nicht nur mehr Daten schneller, sondern bietet auch mehr Möglichkeiten der Datenauswertung und -verknüpfung. Controlling, Verkaufsförderung, Kalkulation und Kostenkontrolle profitieren davon. Per Ad-hoc-Abfrage aufgespürte Entwicklungen lassen sich auswerten, neu kalkulieren und bei Erfolgsaussicht kurzfristig auf den Markt bringen.

Daß das DSS breite Akzeptanz findet, zeigt der Anstieg der Systembelastung: mehr Möglichkeiten, mehr Abfragen und mehr Ressourcen. Aus diesem Grund sind für die R+V-Versicherung die parallel laufende Anpassung der Systemressourcen und ein professionelles Management im Rechenzentrum ein Muß. Das ist vor allem dann wichtig, wenn sich das System weiterentwickelt und vielleicht auch weiterentwickeln muß, um neuen Markt- parametern zu genügen. Kurz vor der Einführung steht eine An- wendung für das Schaden-Controlling, eine Anwendung zur Kostenstellenrechnung ist in Entwicklung.

ANGEKLICKT

Die R+V-Versicherung, Wies- baden, ist ein gutes Beispiel dafür, daß sich Data-Warehouse und Business-Intelligenz - entgegen anderslautenden Lehren - sehr wohl durch alle Unter- nehmensebenen ziehen können. Die Bedienung richtet sich dabei nach Kenntnisstand und Berechtigung der Mitarbeiter. Das Ziel, "daß der Endbenutzer aus Tausenden von Datenquellen mit wenig Aufwand Informationen ziehen kann", ist nach einem Jahr zum Greifen nah.

*Heike Stautner ist freie Journalistin in München.