Bis 1990 stellt Japan 300 Millionen Mark für Verbundprojekt bereit:

Mit Sigma SW-Entwicklung "industrialisieren"

13.09.1985

Ausgehend von der Tatsache, daß ein baldiger, gravierender Mangel an Software-Ingenieuren - man spricht von einem Defizit von 600 000 im Jahr 1990 , nur durch drastische Anhebung der Produktivität in diesem Bereich aufgefangen werden kann, hat die japanische Regierung ein Konzept für einen Fünfjahresplan vorgelegt, in dem verschiedene Sofortmaßnahmen vorgeschlagen werden - das "Sigma-Projekt".

Im Rahmen dieses Planes soll zentral eine standardisierte, Hardwareunabhängige Umgebung für Software-Entwicklung geschaffen werden, die dann die Softwarehäuser für ihre Computer und Workstations erwerben können. Außerdem kann man sich dann an die Computer des Sigma-Zentrums anschließen, um von den dort zentral zur Verfügung gestellten Funktionen zu profitieren.

Das Vorgehen erinnert ein wenig an das japanische VLSI-Programm, innerhalb dessen die Hardware-Hersteller in einem ähnlichen Zeitraum sich gemeinsam die Grundlagen der Elektronen-Lithographie erarbeiteten - eine der Maßnahmen, die zu der guten Stellung des Landes im Hardware-Bereich beigetragen haben. Das Software-Projekt ist nun ungleich komplizierter: Zum einen läßt sich das Ziel nicht mit gleicher Schärfe definieren, zum anderen gilt es, viele hundert Firmen und nicht nur ein Dutzend wie im Hardwarebereich zur Mitarbeit zu bewegen.

Erster Schritt zur Realisierung des Projekts war die Feststellung der Programmier-Umgebung für Software-Entwicklung. Nach japanischen Vorstellungen kommt das amerikanische Betriebssystem Unix den Erfordernissen relativ am nächsten, zumal mit diesem System weltweit Erfahrungen vorliegen. Verbesserungen will man aber bei den Software-Tools, beim C-Compiler, bei der Kommunikationssoftware und beim File-Handling vornehmen. Neu entwickelt werden muß die Komponente zur Verarbeitung der japanischen Sprache und die Komponente zur Grafik- und Bildverarbeitung.

Die Einrichtung des Sigma-Zentrums, die Entwicklung des Unixähnlichen Betriebsystems (Sigma-OS) und der Standard-Tools wird von der Information Processing Development Agency (IPA), einer vom Ministry of International Trade and Industry (MITI) betreuten Einrichtung, vorgenommen, deren gesetzlicher Rahmen zu diesem Zweck erweitert wurde. Bewilligt wurden dafür 25 Milliarden Yen (etwa 300 Millionen Mark). Die Teilnehmer an dem Projekt - die Planung spricht von 10 000 involvierten Computern und Workstations - werden auf Antrag registriert und zahlen eine Aufnahmegebühr sowie Gebühren für die Grundsoftware. Dazu kommen neben einer laufenden Grundgebühr Gebühren entsprechend der Nutzung des Sigma-Netzes. Das Zentrum stellt in Form von Datenbasen verschiedene Informationen (Tools, Programme, Programmbeschreibungen, Fehlerlisten etc.) zur Verfügung sowie Testmöglichkeiten auf Zielmaschinen über "remote-login". Mit der Anbindung an die Zentrale erhofft man sich auch eine Verbesserung der Software-Dokumentation. Natürlich wird auch Electronic-Mail und ähnliches installiert, und es ist auch die Verbindung zu anderen Netzen, einschließlich solcher im Ausland, vorgesehen.

Es sind noch nicht allzuviel technische Details bekanntgeworden: Das Netz soll auf jeden Fall von Nippon Telegraph and Telephone (NTT) gestellt werden, die Workstation (Einzelarbeitsplatz) soll folgenden Spezifikationen genügen:

- Betriebssystem Sigma-OS,

- CPU 1 Mips,

- Hauptspeicher 4 MB,

- Festplatte 50 MB,

- Bitmap-Display (Farb-Option) und

- Kommunikations-Interface.

Man rechnet damit, daß Stationen dieser Art, die zur Zeit etwa 100 000 Mark kosten, nach Ablauf des Projekts in der Preisklasse von heutigen Mikrocomputern der gehobenen Klasse liegen werden.

Soweit die Einzelheiten zum Projekt, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Produktivität im Softwarebereich nach fünf Jahren um das Vierfache zu erhöhen. Im Gegensatz zu dem gleichzeitig laufenden Projekt der "fünften Computergeneration" mit dem ICOT im Mittelpunkt, das sich ja auch zum Ziel gesetzt hat, der Softwarekrise Herr zu werden, und zwar mit spekulativen, erst langfristig wirksam werdenden Ansätzen, nimmt sich das Sigma-Projekt eher konventionell aus; es ist zweifellos als Ad-hoc-Maßnahme der Regierung gedacht. Die Auswirkungen der beabsichtigten landesweiten Standardisierung der Software-Entwicklungsumgebung (einschließlich der Impulse für die Entwicklung von Workstations) zusammen mit der Verbundkonzeption sowie der Betonung der Grafik- und Bildverarbeitung sollten nicht gering eingeschätzt werden. Ein Angebot an die Universitäten, zu günstigen Bedingungen sich anschließen zu können, ist ebenfalls in der Konzeption vorgesehen.

Hier entsteht also eine Software-Entwicklungsumgebung für die spezifisch japanischen Bedingungen und nicht nur für diese: Zum einen liegt China nebenan, das - solange es nicht seine traditionelle Schrift abschafft - auf ähnliche Software angewiesen ist. Zum anderen entsteht unter den spezifischen, durch die japanische Schrift vorgegebenen Bedingungen eine Software-Umgebung, die in ihrer Handhabung großer Zeichensätze und in ihren Grafikfähigkeiten auch für das westliche Ausland von Interesse sein dürfte.

*Dr. Ulrich Wattenberg ist Leiter der GID-Außenstelle in Tokio.