Neue VAX-Systeme mit offenen Aussichten

Mit Open-Advantage-Strategie beugt sich DEC dem Käufermarkt

15.11.1991

MÜNCHEN (sc) Gegen RISC-Computer zielt die Oktober-Ankündigung von Digital Equipment. Im Mittelpunkt stehen VAX-Systeme, die den Unix-Maschinen über das Preis-Leistungs-Verhältnis den Kampf ansagen sollen. Zudem kündigt DEC unter dem Schlagwort "Open Advantage" ein Konzept an, das die Integration heterogener Rechnerwelten und ein mit offenen Schnittstellen ausgestattetes VMS-Betriebssystem vorsieht.

Mit den Modellen "610" bis "660" erweitert das Unternehmen die proprietäre Multiprozessor-Familie "VAX 6000". Mögliche Einsatzgebiete für das neue Produkt definiert der Anbieter im Bereich von OLTP-, CASE- oder verteilten Anwendungen, als Datenbank- oder Supercomputing-Server sowie für die Bürokommunikation. Dabei will man mit den neuen CICS-Maschinen gegen die RISC-basierten Rechner antreten, die laut Digital vom Preis-Leistungs-Verhältnis her nicht mithalten könnten. Wie differenziert die Meinungen der einzelnen Hersteller diesbezüglich sind, zeigt sich daran, daß Tandem anläßlich der Präsentation der fehlertoleranten RISC-Systeme, die fast gleichzeitig stattfand, das Gegenteil behauptete.

Wie die Münchner Digital Equipment GmbH mitteilt, betrage die Leistung der VAX-Ein-prozessor-Version 610 nach einem TPC-A-Benchmark-Test 83 Transaktionen pro Sekunde. Damit sei der Rechner etwa zwei- bis dreimal schneller als die Vorgängervariante "VAX 6000/510". Die Anlage, deren Preis-Leistungs-Verhältnis mit 30 000 Mark pro Transaktion angegeben wird, konkurriert laut DEC unter anderem mit der AS/400 von IBM. Das D70-Modell der Midrange-Serie von Mother Blue könne jedoch bei etwa dem gleichen Preis nur mit der halben Leistung aufwerten, äußert Marc Oswald, DEC-Produkt-Manager. Das VAX-Basissystem mit 64 MB Hauptspeicher kostet rund 570 000 Mark. Bereits installierte VAX-6000-Systeme lassen sich durch einen CPU-Austausch aufrüsten.

Als weiteren Neuzugang in der Palette präsentiert Digital das Modell "VAX 4000/500". Das High-end-System der 4000er Familie könne sowohl für technische wie auch für kommerzielle Anwendungen verwendet werden.

Upgrade auf 500er Variante möglich

Die Hardware soll ab Dezember 1991 in einer Deskside- oder Rackmount-Konfiguration erhältlich sein. Dabei bestehe für Benutzer einer "VAX 4000/300" durch den Austausch der CPU eine Upgrade-Möglichkeit auf die 500er Variante, die mit 64 MB Hauptspeicher, 1-GB-Festplatte und 2,6 GB Kapazität auf dem Bandlaufwerk etwa 440 000 Mark kosten wird. Eine preiswerte Serverausführung sei jedoch auch bereits für 282 000 Mark auf dem Markt, melden die Münchner.

Rund 40 Prozent mehr Leistung als das bisherige Topgerät unter den VAX-Workstations, der "VAXstation 3100/76", bringt laut Oswald die "VAXstation 4000/60". Der Rechner wird auch als Upgrade-Lösung für VAXstation-3100-Anwender angeboten. Wie DEC berichtet, sei mit dem Modell 60 "erstmals in der VMS-Welt der von der ACE-Initiative unterstützte Turbo-Kanal verwendbar". Außerdem ist optional ein 3D-Grafikbeschleuniger erhältlich, um die Einsatzbereiche CAD, CAM, CAE, Simulation und Animation abzudecken.

In der Konfiguration mit 16 MB RAM, monochromem 19-Zoll-Monitor, Unterstützung von 16 Graustufen und einer 208-MB-Festplatte kostet das System etwa 25 500 Mark. Mit einem farbigen 19-Zoll-Monitor, mit dem sich 256 Farben darstellen lassen, und einer Festplattenkapazität von 426 MB ausgestattet, betragen die Anschaffungskosten zirka 39000 Mark.

Für rund 11 000 Mark soll Anfang nächsten Jahres zudem eine VLC-Version der VAXstation 4000 auf den Markt kommen. Die Leistungsdaten werden mit 5,5 Specmarks angegeben.

Das Produkt ist laut DEC als Low-cost-Workstation konzipiert und umfaßt in der Grundausstattung 8 MB RAM, einen 13-Zoll-Farbmonitor und eine 121-MB-Festplatte.

Im Sommer 1992 soll mit dem Modell 600 die High-end-Familie "VAX 9000" erweitert werden. Dem Hardwarehersteller zufolge könne, der Anwender außerdem in den nächsten zwölf Monaten mit VAX-Systemen rechnen, die mit einem DEC-spezifischen 64-Bit-RISC-Prozessor ausgestattet sind. Wie bereits zuvor Sun mit dem Sparc-Prozessor plant auch der Mini-Marktführer seine proprietären RISC-Prozessoren zu lizenzieren. Für Branchenkenner liegt die Vermutung nahe, daß dies das Ende der herstellerspezifischen VAX-Rechnerlinie bedeutet. Laut Achim Apel, Leiter des strategischen Vertriebsprogramms Open Advantage, ist eine "komplette 64-Bit-Familie, vom Laptop bis zum Datacenter" zu erwarten. Für den neuen VAX-Großrechner der 9000er Serie garantiert DEC jedoch schon heute eine Aufrüstmöglichkeit auf die RISC-VMS-Maschinen. Vergleichbar mit der Open-Enterprise-Kampagne von IBM, versucht nun offensichtlich auch DEC durch die Open-Advantage-Strategie dem rückläufigen Hardware-Umsatz entgegenzutreten und neue Geschäftsfelder aufzutun. Die Forderung der Anwender nach weniger Abhängigkeit soll durch die DEC-eigene Client-Server-Architektur Network-Application-Support (NAS) realisiert werden.

Mit dem neugeschnürten Integrationspaket will die Olsen-Company - ähnlich dem SAA-Versprechen von Big Blue eine auf Standards basierende, einheitliche Software-Umgebung bieten. Gebündelte NAS-Programme sollen laut Digital Equipment die Implementierung offener, heterogener Systeme in die bestehende proprietäre Welt erleichtern. Somit seien die Investitionen der Kunden in VAX-VMS-Lösungen hundertprozentig geschätzt, verspricht Wolfgang Stübich, Leiter Technology & Services im Digital Competence Center.

Offenheit hat sich DEC auch bei dem proprietären VMS-Betriebssystem auf die Fahnen geschrieben. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, soll das "offene" VMS unter anderem Posix, XPG3, Motif, DCE und DME unterstützen. Außerdem kündigt das Unternehmen an, das Betriebssystem für andere Anbieter offenzulegen und zu lizenzieren. So sei bereits die VMS-Version 5.5 kompatibel zur zukünftigen VMS-Posix-Software, die Anfang nächsten Jahres als "Open VMS" auf dem Markt komme. Das derzeitige VMS-Release enthält ferner die Komponente "Decthreats", welche die Entwicklung von Client-Server-Anwendungen für die Parallelverarbeitung erleichtern soll. Damit nimmt DEC die erste Hürde, das Betriebssystem den OSF-Richtlinien für verteilte DV-Umgebungen (DCE) anzupassen.

Nicht nur VMS, sondern auch das Unix-Derivat Ultrix soll künftig Standards angepaßt werden. Für Digital zählen hier die Vorgaben der ACE-Initiative, wo DEC neben Microsoft, SCO und Mips zu den Hauptbetreibern zählt. Apel: "Noch 1991 wird der OSF/1-Kernel integriert, dann geht das Betriebssystem an SCO, um daraus die Unix-Systemsoftware-Umgebung der ACE-Initiative, ACE-ODT, zu entwickeln."