IT-Berater und -Beratung/IT-Consultants verlagern Arbeitsplätze ins Ausland

Mit Offshore-Projekten Kosten senken

11.07.2003
In ihren Bemühungen, mit knappen Budgets auszukommen, landen immer mehr Beratungshäuser beim Thema Offshoring. Vor allem Tätigkeiten, die die IT-Beratung ergänzen, bieten sich an, um die Kosten niedrig zu halten und dennoch keine Qualitätseinbußen hinnehmen zu müssen.Von Ina Hönicke*

Die Verlagerung von Softwarejobs in Niedriglohnländer steht bei den Beratungshäusern zunehmend auf dem Plan. Egal ob Accenture, Cap Gemini Ernst & Young oder Bearing Point - sie alle treiben ihre Offshore-Aktivitäten massiv voran. Edmund Küpper, Vorstandsvorsitzender der sd&m AG, sieht den Grund in der momentanen Wirtschaftslage: "Der Kostendruck, die geringe Nachfrage und die Überkapazitäten - Consulting-Unternehmen stehen unter enormem Druck. Das alles hat zu einem Preiskrieg geführt, wie ihn die Beratungsbranche bislang nicht kannte."

Gute Chancen mit Nearshoring

Um überhaupt noch eine Marge zu erwirtschaften, müssten sich die IT-Berater alternative Szenarien ausdenken. Offshoring ist zwar kein neuer Trend, steht aber momentan wieder im Mittelpunkt des Interesses, weil die IT-Manager hoffen, damit Kosten zu senken. Aus diesem Grund erwartet Küpper nicht nur im angelsächsischen Raum, sondern auch in der Bundesrepublik eine massive Verlagerung von Softwarejobs in Niedriglohnländer. Mit einer wahllosen Verlagerung von Aufgaben ist es allerdings nicht getan. Schließlich gebe es Projekte, die erfolgskritische Geschäftsprozesse unterstützen sollten. Wer in einem solchen Fall annimmt, die Ergebnisse aus Indien oder China könnten zufrieden stellend ausfallen, ist nach Ansicht Küppers blauäugig.

Mehr Erfolg verspricht seiner Meinung nach das Modell Nearshoring. Nach Madrid will das Beratungshaus Ende des Jahres eine Niederlassung in Polen eröffnen. "Das liegt quasi vor der Haustür." Und er lobt die polnischen IT-Profis: "Sie sind überaus qualifiziert, hochmotiviert, beherrschen die deutsche Sprache - und sind dennoch preiswerter." Um die Qualität noch zu erhöhen, sollen die polnischen Computerexperten nicht nur irgendwelche Anweisungen abarbeiten, sondern Seite an Seite mit deutschen Kollegen ihren Job erledigen. Zurzeit arbeiten laut Küpper bereits etliche Polen in deutschen Niederlassungen. Einer von ihnen ist der 26-jährige Mikolaj Plazewski. Der Diplominformatiker ist seit zwei Jahren bei sd&m in Offenbach tätig: "Die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen ist hervorragend - selbst kleine Sprachprobleme spielen keine Rolle."

Kulturelle und mentale Nähe

Neben den von Küpper erwähnten Vorteilen sieht Ulrich Schäfer, Berater bei der Meta Group, bei den osteuropäischen Computerfachleuten noch einen weiteren wichtigen Vorteil: "Sie sind in ihrer Mentalität den Deutschen wesentlich näher als Leute aus weiter entfernten Ländern." Allerdings betrifft seiner Meinung nach die Verlagerung ins Ausland vor allem den Operating- und weniger den Consulting-Bereich. Der Meta-Mann glaubt daher nicht, dass Offshoring innerhalb der deutschen Beratungsszene zu größerem Auftragsrückgang führt: "Kunden mit Beratungsbedarf werden sich nahezu immer für den heimischen Consultant entscheiden." Schließlich wollen sie jemanden, der die gleiche Sprache spricht, aus dem gleichen Kulturkreis kommt und möglichst vor Ort sitzt. Ein Beispiel ist für Schäfer das Produkt-Marketing. Hier seien deutsche Profis immer im Vorteil. Kaum ein Ausländer beherrsche die deutsche Sprache so perfekt, dass er jederzeit genau einschätzen könne, welche Art von Emotionen ein bestimmter Slogan bei den "Einheimischen" auslösen könne.

Schäfer sieht eine ganz andere Gefahr, wie sich die Branche den Ast, auf dem sie sitzt, möglicherweise absägen könnte. Der Meta-Berater: "Es stellt sich doch die Frage, wie lange es überhaupt noch Beratungsbedarf geben wird?"

Kein Jobkiller

Darüber macht sich Stephan Scholtissek, Sprecher der Geschäftsführung bei Accenture Deutschland, bislang weniger Sorgen. Allerdings wird sich seiner Meinung nach die Art und Weise, wie Beratungsprojekte über die Bühne gehen, massiv verändern. Scholtissek spricht von einer "Stafette": "Das Geschäft unterteilt sich in die Beratung vor Ort, das ,Delivery-Modell'', die Unterstützung aus nationalen Solution-Centern sowie Offshore-Aktivitäten." Diese Arbeitsteilung verändere das Beraterprofil. In den Consulting-Unternehmen wird es laut Scholtissek zunehmend Mitarbeiter geben, die sich hauptsächlich um die Vorbereitung von Offshore-Aktivitäten kümmern - und die keine klassischen Berater mehr sind. Sie würden vielmehr in Solution-Centern arbeiten und dort Lösungspakete für Kunden entwickeln. Bei Accenture selbst ist ihre Zahl innerhalb der letzten acht Monate um 20 Prozent gestiegen. Dass die Verlagerung bestimmter Aufgaben in Billiglohnländer hiesige Jobs vernichtet, glaubt Scholtissek nicht: "Ganz im Gegenteil - wenn Offshoring intelligent betrieben wird, kann der so genannte Jobkiller zum Jobmotor werden." Als Beispiel nennt er die Automobilindustrie. Obwohl viele Produktionen ins Ausland verlagert worden seien, hätten die deutschen Autobauer in den vergangenen Jahren eher eingestellt als entlassen. Der Unternehmensberater ist überzeugt, dass gerade die Deutschen ideale Voraussetzungen mitbringen, um ausgelagerte Arbeiten gut zu steuern: "Benötigt werden Organisationstalent, Genauigkeit, hervorragendes Technik-Know-how und Engagement - kurzum alles deutsche Tugenden."

Europas größtes Servicehaus Cap Gemini Ernst & Young wiederum baut momentan seine Off- und Nearshore-Kapazitäten aus, um seinen Outsourcing-Arm zu verstärken. Vertreten ist das französische Consulting-Haus in Madrid und Barcelona sowie im indischen Mombai. Hansjörg Siber, Leiter des Center of Excellence bei der Outsourcing Division für Zentraleuropa: "Die Niederlassung in Madrid im Jahr 2001 war letztlich eine Reaktion auf den überhitzten Arbeitsmarkt mit seinen überhöhten Personalkosten. Schließlich produzieren die spanischen Kollegen um 50 Prozent billiger." Cap Gemini Ernst & Young will den Anteil der Offshore-Aktivitäten auf jeden Fall weiter vergrößern. Vor allem bei technischen Projekten ist es laut Siber durchaus möglich, bis zu zwei Drittel der gesamten Wertschöpfungskette auszulagern. Sein Resümee: "Zwar holt Deutschland in puncto Offshoring mächtig auf - doch das Bewusstsein darüber, welche massiven Veränderungen sich dadurch ergeben, ist hierzulande so gut wie nicht vorhanden." (rs)

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.

Angeklickt

- Der Preisdruck zwingt auch Beratungshäuser sich nach Beschäftigungsmöglichkeiten in Billiglohnländern umzuschauen.

- Interessant sind vor allem die kulturell näherliegenden Länder Osteuropas.

- Es wird zu einer Arbeitsteilung innerhalb der Beratungstätigkeit kommen, die auch das Profil der Berater beeinflusst.