Die IT-Strategie der Nordzucker AG

Mit Netweaver von der Rübe zum Kunden

02.04.2004
MÜNCHEN (qua) - Auf die bevorstehende Neuordnung des europäischen Markts bereitet sich die Nordzucker AG, Braunschweig, vor - mit einer IT, die nicht mehr den Erzeuger, sondern den Abnehmer und das Personal in den Mittelpunkt stellt. CIO Torsten Niemietz setzt dabei vor allem auf SAPs "Netweaver"-Technik.

Dass die SAP in etwa acht Jahren den Support für R/3 einstellen will, berührt Niemietz nur am Rande: "Mich interessieren eher die nächsten zwei Jahre als das, was 2012 passiert", kommentiert der Nordzucker-CIO die Sorgen vieler SAP-Kunden (siehe www.computerwoche.de/go/80115132). Bis der Softwareanbieter den Support für R/3 aufgebe, werde Nordzucker noch einige Software-Ugrades erleben und sich damit auf jeden Fall innerhalb des von SAP unterstützten Release-Bereichs befinden. Derzeit steigt das Unternehmen von R/3 4.5.B auf das "Enterprise"-Release 4.7 um.

Als "Best Practice" bezeichnet Niemietz die Strategie, niemals die allerneueste Ausführung der SAP-Software einzusetzen. "Aktuelles Release minus eins", so formuliert er die Marschrichtung. Ganz konsequent ist er dabei nicht. Schließlich hat er sich bei der SAP um die Teilnahme am "Ramp-up" (so die SAP-Bezeichnung des hauseigenen Pilotkundenprogramms) für "Netweaver 04" beworben.

Auch Niemietz ist nicht ganz klar, was genau sich hinter der angefügten Jahreszahl "04" verbirgt. Aber er weiß zumindest, welche Komponenten aus dem "Netweaver-Stack" Nordzucker benötigt. Da wäre zum einen das aktuelle Release 3.0 der "Exchange Infrastructure" (XI). Bislang bindet der Zuckerproduzent die nicht SAP-basierenden Systeme auf den Höfen der Rübenbauern mit Hilfe der kostenlos angebotenen "Business Connectors" an. Wie der IT-Chef erläutert, bereitet dieses Integrationswerkzeug im Zusammenspiel mit dem Kommunikationsstandard Electronic Data Exchange (EDI) ab und an Probleme. Von daher empfehle sich der Wechsel auf die neue und für SAP "strategische" Technik.

Ebenfalls zu den Netweaver-Komponenten zählt der "Web Application Server" (WAS), den Nordzucker bereits als Entwicklungsplattform nutzt - derzeit in der Ausführung 6.20. Im Rahmen des Referenzkundenprogramms steht der Umstieg auf 6.30 an.

In der Version 5.0 setzt Nordzucker das Softwarewerkzeug "Enterprise Portals" ein. Es dient als Basis für das "Rübenportal", das Niemietz gern als "SAP for Farmers" bezeichnet. Der europäische Zuckermarkt ist in Form von Oligopolen organisiert. In Deutschland gibt es drei Erzeuger: neben Nordzucker den Marktführer Südzucker sowie das im Raum Köln angesiedelte Unternehmen Pfeifer und Langen. Sie schreiben "ihren" Landwirten vor, was diese säen müssen, verpflichten sich aber gleichzeitig, "auch noch die letzte Rübe abzunehmen", wie der Nordzucker-CIO es formuliert. Das Web-Portal soll nun den rund 10000 Liefergemeinschaften im Nordzucker-Verbund ermöglichen, alle mit Produktion und Verkauf ihrer Feldfrüchte zusammenhängenden Prozesse online abzuwickeln - von der Bestellung des Saatguts bei KWS Saat in Einbeck über die Lieferung an eine der 19 Zuckerfabriken bis zur Online-Berechnung des jeweils erzielten Erlöses. Derzeit machen 1000 Landwirte davon Gebrauch, bis zum Ende dieses Jahres sollen es 2000 sein.

Damokles-Schwert

Produktionsmengen und Preise sind in Westeuropa durch die "EU-Zuckermarktordnung" geregelt. Wenn diese Vereinbarung 2006 ausläuft, könnte es zum verstärkten Markteintritt von Nicht-EU-Ländern und zu einem Preisverfall kommen. Angesichts dieses Damokles-Schwerts fährt Nordzucker bereits eine Diversifizierungsstrategie. Sie lautet: weg von der Fixierung auf Zucker im eigentlichen Sinn, hin zur "Kompetenz in Süße", also auch der Produktion von Zuckerersatzstoffen.

Gleichzeitig konzentriert sich das Unternehmen etwas weniger stark auf die Lieferanten- und dafür mehr auf die Abnehmerseite. Als seine Hauptaufgabe bezeichnet Niemietz denn auch "die Integration der Prozesse vom Saatkorn bis zum Kunden". Dazu passt die Einführung des Customer-Relationship-Moduls "Mysap CRM", das Anfang April in der Version 4.0 in Betrieb gehen soll.

Neben Lieferanten und Kunden unterstützt die Nordzucker-IT auch die Mitarbeiter. Und hier kommt die nächste "Netweaver"-Komponente ins Spiel. Mit Hilfe von SAP Consulting und gemeinsam mit den späteren Anwendern entwickelt das Unternehmen derzeit das Konzept für ein Self-Service- und Knowledge-Management-Portal, das auf der Basis von "Enterprise Portals 6.0" verwirklicht werden soll. Geplant sind für das "Transaktions- und Informations Portal", kurz "Tip", unter anderem die versionierte Ablage der Dokumente und die Möglichkeit, persönliche Notizen anzuhängen. Zudem sollen neben einem abteilungsübergreifenden Workflow auch virtuelle Projekträume geschaffen werden. Darüber hinaus will Niemietz ein Ideen-Management einbinden und Schnittstellen zum Konzern-Controlling sowie zu den Backend-Systemen von SAP schaffen. Ein Rollenkonzept mit Single-Sign-on (SSO) ist die Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeiter die Portaloberfläche als ihren Standard-Desktop akzeptieren.

Vorstand mit IT-Vision

Das Vorhaben erfreue sich großer Aufmerksamkeit beim Vorstand, versichert der IT-Chef. Überhaupt hat Niemietz bei Nordzucker eine hohe IT-Kompetenz im Topmanagement ausgemacht - personifiziert im Vorstandsmitglied Jens Fokuhl. Dessen "Vision", bis 2006 "eine der modernsten IT-Landschaften in Europa" verwirklichen zu wollen, habe ihn im September vergangenen Jahres bewogen, seinen bisherigen Arbeitgeber, den Cornflakes-Produzenten Kellogg''s, zu verlassen. Indiz für eine kluge Entscheidung mag die Tatsache sein, dass sein Nachfolger nicht mehr zur Geschäftsleitung der deutschen Kellogg''s-Niederlassung gehört.

Imponiert haben Niemietz besonders die kurzen Entscheidungswege bei Nordzucker. Das Portalprojekt umfasse - auch aufgrund der notwendigen Anschaffung neuer Hardware ("Itanium"-Rechner von HP) - ein Investitionsvolumen von mehr als zwei Millionen Euro, doch die Zeit zwischen der ersten Sitzung mit SAP und der Unterschrift unter den Vertrag habe nur einen Monat betragen.

Zudem macht Niemietz kein Hehl daraus, dass ihm die enge Bindung der Nordzucker-IT an die SAP sehr gelegen kam: "Ich brachte eine positive Grundeinstellung mit - aus der Not geboren." Bei Kellogg''s musste er sich mit einer teilweise schlecht funktionieren Installation von "Oracle Applications" herumschlagen, die mittlerweile wohl ebenfalls durch eine SAP-Lösung ersetzt wird.

Den Pilotkunden für Netweaver zu spielen ist folglich nichts, was dem Nordzucker-CIO den Schlaf rauben würde: "Wenn schon Versuchskaninchen, dann mit der SAP", sagt er - zumal auch der Anbieter etwas verliere, falls die Zusammenarbeit nicht zum Erfolg führe: "Mit uns hat die SAP endlich einen vernünftigen Referenzkunden im gehobenen Mittelstand."

Hier lesen Sie ...

- Wie die IT-Vision des Nordzucker-Vorstands aussieht

- Welche Rolle SAP darin spielt

- Warum der CIO keine Angst hat, das Versuchskaninchen zu spielen

- Was das Mitarbeiter-Portal des Unternehmens bieten soll

Projekt-Steckbrief

Projektart: Einsatz und Ausbau der "Netweaver"-Technik von SAP, auf dieser Basis Einführung eines Mitarbeiterportals.

Branche: Zuckererzeuger.

Stand heute: teilweise im Einsatz, teilweise in der Konzeption.

Produkte: "Exchange Infrastructure 3.0", "Web Application Server 6.30" und "Enterprise Portals 6.0" von SAP, "Itanium"-Rechner von Hewlett-Packard.

Dienstleister: SAP Consulting.

Aufwand: mehr als zwei Millionen Euro für das Portalprojekt.

Ergebnis: schlankere Prozesse, Technologieführerschaft.

Nächster Schritt: Referenzkunden-Status für Netweaver 04 angestrebt.