Mit Mut und Zuversicht in die Zukunft Das Business Re-Engineering soll Digital den Erfolg bringen

11.11.1994

MUENCHEN (kk) - Quo vadis, Digital? Diese bange Frage stellte Wolfgang Stuebich, Marketing-Leiter der deutschen Digital Equipment GmbH, anlaesslich der Neuvorstellung von Alpha-basierten Workstations und Servern (zu den Produkten siehe CW Nr. 44 vom 4. November 1994, Seite 41: "DEC bringt Alpha-Server und - Workstations auf Vordermann").

Mit einer fuer die Branche ungewohnten Offenheit zaehlte Marketing- Mann Stuebich die Fallen auf, in die das DEC-Management in der Vergangenheit getappt sei. Das sture Festhalten an der VAX- Plattform, einst beklatscht als pfiffige Alternative zu monolithischen Mainframes, verstellte den Managern um Firmengruender Ken Olsen den Blick fuer die aufziehende Konkurrenz der Workstations. "Haetten wir den Workstation-Markt nicht verschlafen, wuerde es junge Unternehmen wie Sun vermutlich nicht geben", trauert Stuebich der verpassten Chance nach.

Am PC-Boom wollte Digital immer teilhaben, agierte in der Vergangenheit jedoch ziemlich erfolglos. Der 1982 vorgestellte "Rainbow" erfuellte die Erwartungen ebensowenig wie die Nachfolger "Vaxmate" - eine AT-kompatible Maschine aus dem Jahr 1986 - oder die "Personal-VAX" von 1988, die unter DOS und VMS lief.

Im selben Jahr startete die Olsen-Company einen weiteren Versuch mit PCs, die Tandy nach Digital-Spezifikationen baute, denen aber wegen der hohen Fertigungskosten auch kein Erfolg beschieden war. Erst die juengste Initiative, die 1991 in Kooperation mit Olivetti gestartet wurde, brachte in diesem Marktsegment den erwuenschten Durchbruch und DEC einen Platz unter den Top Ten der PC-Hersteller ein.

"Die Bauchladen-Mentalitaet bei Loesungen" macht Stuebich zudem fuer das Wanken des einstigen Branchenzweiten verantwortlich. Tatsaechlich gab es Preislisten von Digital, die sage und schreibe 350 000 Produkte enthielten. Dieser Wildwuchs ist Ausdruck dafuer, worunter auch andere DV-Groessen zu leiden haben: Die Firmenkultur war zerstoert, der Wasserkopf der internen Buerokratie verhinderte es, auf veraenderte Marktbedingungen flexibel zu reagieren. Zum Glueck wurde das Business Re-Engineering erfunden. Stuebich macht sich dafuer folgende Definition zu eigen: "Die Wiedergewinnung verlorener Wettbewerbsfaehigkeit durch eine Radikalkur im Sinne einer konsequenten strategischen Neuausrichtung." Im Fall Digital bedeutet dies den radikalen Abbau der Belegschaft von einstmals ueber 130 000 Mitarbeitern auf rund die Haelfte bis 1995, ferner die Besinnung auf das Kerngeschaeft und den Verkauf "ueberfluessiger" Firmenbereiche.

So wurden grosse Teile des Speichergeschaefts an Quantum, die relationale Datenbank RDM an Oracle und das Know-how fuer fehlertolerante Systeme an Sequoia abgegeben. Man schaetzt, dass Quantum 400 Millionen, Oracle 100 Millionen und Sequoia zehn Millionen Dollar in die leeren DEC-Kassen legten.

Hinzu kommen weitere 150 Millionen Dollar, die in diesem August der Verkauf des 8,5prozentigen Anteils an Olivetti erbrachte. Hier hatte die Palmer-Company allerdings kein glueckliches Haendchen: Zwei Jahre zuvor hatte DEC fuer das Aktienpaket 287 Millionen auf den Tisch geblaettert, das nun am offenen Markt angeboten werden musste - und das im August, in dem sich die italienische Boerse traditionell im "Urlaub" befindet.

Umgestellt wurde auch der Vertrieb. Die deutsche GmbH betreut nur mehr 80 bis 100 Grosskunden, der Rest geht ueber indirekte Kanaele. Die Abteilung PC-Direkt wurde aufgeloest. Konzentrieren will man sich auf die Kernbereiche Technologie (Hardware und Basissoftware), Integration (ohne vertikale Maerkte) und Service. Im Geschaeftsjahr 1994 entfielen von den zwei Milliarden Mark Umsatz in Deutschland 920 Millionen auf Produkte, 820 Millionen auf die Services und knapp 300 Millionen auf das Consulting- und Integrationsgeschaeft.

Zwar sind die weltweiten Verluste im Geschaeftsjahr 1994 in Hoehe von 2,16 Milliarden Dollar nicht wegzudiskutieren, aber Stuebich erkennt ein Licht am Ende des Tunnels: "Vor zwoelf Wochen lag der Kurs der DEC-Aktie bei 18, heute liegt er bei 30 Dollar."

Den Kursanstieg fuehrt er darauf zurueck, dass sich die Einnahmen mit Alpha-Servern im letzten Jahr um rund 60 Prozent erhoeht und die mit Alpha-Workstations nahezu verdreifacht haben. Verkaeufe der proprietaeren VAX tragen prozentual wesentlich weniger zum Gesamtgeschaeft bei - 1994 nur noch etwa halb soviel wie 1993. Das schafft zunaechst einen Umsatz- und auch Gewinnausfall, den aber die anderen Bereiche zukuenftig ausgleichen sollen.

Fuer den deutschen Markt erwartet der Marketing-Chef im Geschaeftsjahr 1995 eine Umsatzsteigerung von 50 beziehungsweise 30 Prozent bei den Servern und Workstations mit Alpha-Architektur, der PC-Bereich soll um 40 Prozent wachsen. Der Erfolg steht und faellt mit der Akzeptanz des Alpha-Chips. Bislang ist es Digital noch nicht gelungen, namhafte OEM-Kundschaft dafuer zu gewinnen. Eine Vereinbarung mit der Kubota Graphics Corp., die die CPU mit einem Grafikprozessor koppeln und mit Hochleistungsgrafik-Systemen in die Domaene von Silicon Graphics (mit MIPS-CPU) eindringen wollte, wurde gekuendigt. Olivetti, Raytheon und Cray sind weitere Anbieter von Alpha-Systemen, setzen aber auch andere Prozessoren ein.

Was das Softwaregeschaeft angeht - hier zeigen die Planzahlen nach unten -, so wird sich Digital auf Basissoftware wie OSF/1 und Middleware konzentrieren. Damit will man "der strategischen Falle entkommen, dass man Softwareschmieden wie Oracle durch ein DEC- Konkurrenzangebot veraergert". Die Folge waere, dass deren Programmpakete nicht auf Maschinen mit Alpha-Chips portiert wuerden.

Und Applikationen muss Digital vorweisen koennen, sonst bleibt die Kundschaft aus. Derzeit sind rund 6000 Softwarepakete fuer die 64- Bit-Architektur verfuegbar und damit, so der Marketing-Chef, sei man der Konkurrenz weit voraus, die ja noch nicht einmal 64-Bit- Hardware vorweisen koenne.