Umstrittene Pläne des Innenministeriums

Mit DoS-Attacken gegen Nazi-Sites?

20.04.2001
MÜNCHEN (CW) - Weil die Betreiber von rechtsradikalen Web-Seiten, die im Ausland gehostet werden, nach deutschem Recht nicht zu belangen sind, erwägt das Bundesinnenministerium offenbar unkonventionelle Mittel. Mit Zustimmung des obersten Dienstherrn Otto Schily sollen die Internet-Seiten durch Denial-of-Service-(DoS-) Attacken lahm gelegt werden.

Ermuntert durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs, bläst Schily zum Angriff gegen Neonazi-Seiten. Die Richter hatten im Dezember letzten Jahres entschieden, dass volksverhetzende Veröffentlichungen auch dann rechtlich zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland publiziert werden. In einem Interview mit der "Washington Post" deutete Schily schon unmittelbar nach dem Richterspruch die künftige Marschrichtung des Innenministeriums an, als er davon sprach, dass es Verteidigung auch in einer "Vorneweg"-Variante gebe. Mittels Denial-of-Service- oder Spamming-Attacken will die Bundesbehörde ausländische Server lahm legen, auf denen rechtsradikale Inhalte gespeichert werden. Ziel der DoS-Attacken des Bundesinnenministeriums dürften vor allem Server in den USA sein. Dort schützt die Verfassung die Meinungsfreiheit wie in kaum einem anderen Land. Sogar wer die Auschwitz-Lüge verbreitet, ist rechtlich nicht zu belangen.

Kritik, das Ministerium bediene sich gegen illegale Machenschaften seinerseits unrechtmäßiger Methoden, widersprach ein Ministeriumssprecher gegenüber "Spiegel Onlien": Die Attacken seinen "keineswegs im Unrechtsbereich anzusiedeln", so Dirk Inger.

Zurzeit scheint das Innenministerium mit dieser Einschätzung ziemlich isoliert zu sein. So verurteilt die Internet Society (Isoc) in Deutschland mit folgender Stellungnahme das Vorhaben: "Isoc.de befürwortet die Durchsetzung von gesetzlichen Bestimmungen im Internet. Für Isoc ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Aber gerade deshalb geht es auch nicht an, mit zweifelhaften technischen Mitteln Server im Ausland auszuschalten, weil dort - nach den dortigen Gesetzen unter dem Schutz der freien Rede - unter anderem rechtsextreme Inhalte bereitgestellt werden."

Selbst die Initiative "Zusammen gegen Rechts" schließt sich dieser Einschätzung an. Grundsätzlich begrüßt sie zwar das Vorgehen gegen das Gefahrenpotenzial der Extremisten, den Einsatz von DoS-Attacken lehnt die Initiative jedoch ab. Derartige Methoden legten ganze Server lahm. Dem Provider, der nach dem geltenden Recht im jeweiligen Lande völlig legitim gehandelt habe, entstehe durch die DoS-Attacken ein wirtschaftlicher Schaden.

Auch Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Club und europäischer Vertreter im Internet-Gremium Icann, zeigt wenig Verständnis: "Es scheint, als ob Herr Schily nicht allzu viel über Informationskriege weiß. Meines Wissens werten viele Länder, deren Computer das Ziel von Attacken sind, diese Maßnahmen als Krieg. Wenn nur ein Land mit derartigen Verfahren startet, könnte dies zu einem Informationskrieg führen, den niemand gewinnen wird." Offensichtlich haben Schily und seine Behörde nicht mit derart heftigen Reaktionen gerechnet. In einer offziellen Stellungnahme wurde die Meldung über geplante DoS-Attacken nun dementiert, ein Hintertürchen lassen sich die Beamten dennoch offen. In der Mitteilung heißt es, dass sich das Angebot an rechtsextremistischen, neonazistischen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Inhalten innerhalb des letzten Jahres auf 800 Seiten verdoppelt habe. Zur Eindämmung dieser Aktivitäten dürften "keine rechtlichen oder auch technisch zulässigen Möglichkeiten außer Acht gelassen werden". Einem Alleingang der Bundesregierung erteilt das Papier jedoch eine Absage, denn man sei mit "ausländischen und übernationalen Sicherheitsbehörden im ständigen Dialog über dieses Thema".