Informatik spielt Vorreiterrolle

Mit der richtigen Hilfe können Sehgeschädigte normal studieren

19.04.1991

KARLSRUHE (hk) - Die Informatiker spielen eine Vorreiterrolle, wenn es um die Studienmöglichkeiten von Sehgeschädigten geht. Auf einer internationalen Tagung in Karlsruhe betonten die Wissenschaftler vor allem den integrativen Charakter, den so ein Studium haben müsse.

Im Mittelpunkt des Karlsruher Kongresses, an dem Wissenschaftler aus Schweden, Finnland, Belgien den USA und Deutschland teilnahmen, stand der Gedankenaustausch über den aktuellen Stand von Studiengängen für Sehgeschädigte und Blinde. Erörtert wurde vor allem die Frage, welche Voraussetzungen es für eine Universität geben müsse, damit Sehgeschädigte ein Studium aufnehmen können.

Dabei wurde immer wieder auf das Karlsruher Modell verwiesen. Bereits seit 1987 können blinde und sehbehinderte Studenten an der Universität Karlsruhe im Rahmen eines Modellversuchs im Fach Informatik und Wirtschaftsingenieurwesen ihren Abschluß erlangen. Zur Zeit sind es 25 Studenten, die sich an diesem vom Bundesbildungsministerium und vom baden-württembergischen Wissenschaftsministerium finanzierten Projekt beteiligen. Sieben davon befinden sich im Hauptstudium.

Das Ziel des Modellversuchs ist nach Auffassung von Joachim Klaus, Leiter dieses bis 1992 dauernden Projektes, Sehgeschädigte zu geeigneten Berufen zu führen, die ihnen bisher kaum zugänglich waren. Ermöglicht werde dies, so Klaus, in erster Linie durch technische Hilfsmittel, die in Karlsruhe entwickelt worden sind, aber auch durch eine umfassende soziale und pädagogische Unterstützung.

Es müßten also Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Sehgeschädigte gemeinsam mit den anderen Studenten dem Universitätsbetrieb folgen könnten. "Das wichtigste für mich ist, daß die sehgeschädigten Studenten im normalen Studentenalltag integriert sind", so das Klaussche Credo.

Viel Aufklärung bei Unternehmen notwendig

Bisher stand sehgeschädigten Studenten technisch-wissenschaftlicher Fächer kaum Studien- und Fachliteratur zur Verfügung. Im Rahmen des Modellversuchs werden solche Informationen auf elektronische Datenträger umgesetzt und den Studenten zur Verfügung gestellt. Den Zugriff darauf erhalten Blinde über den in Karlsruhe entwickelten Braille-Butler, ein computergestütztes Schreib- und Lesesystem.

Mit Hilfe eines tragbaren Gerätes können die sehgeschädigten Studenten Vorlesungen und Übungen auf Diskette speichern sowie die Mitschrift ebenso wie die zur Verfügung gestellten Informationen ertasten und bearbeiten.

Das "elektronische Papier" wird damit zu einem zentralen Informationsträger. Überdies können sehgeschädigte Studenten mit dem Braille-Butler den Bildschirm abtasten und so Zugang zum Rechner und zu Anwenderprogrammen erhalten.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Fakultäten für Informatik und Wirtschaftswissenschaften mit dem Beratungs- und Informationszentrum (Biz) der Universität soll nach Klaus' Auffassung dazu dienen, die Interessen und Neigungen der sehgeschädigten Hochschüler stärker zu berücksichtigen und sie für zukunftsreiche Arbeitsplätze zu qualifizieren.

Klaus ist stolz, daß seine Studenten sich sogar einen Praktikanten-Platz aussuchen können da ausreichend Stellen zur Verfügung stehen. Er sei über die Offenheit der Computerhersteller überrascht, relativiert aber das Urteil, indem er ergänzt, daß zunächst viel Aufklärungsarbeit nötig war.

Es sei nicht ganz einfach, den Unternehmen klarzumachen, daß Sehgeschädigte vom Inhalt her genau die gleichen Prüfungen zu absolvieren hätten wie die anderen Studenten, daß sie also genausogut vorbereitet seien wie die anderen und deshalb im Unternehmen keinen ständigen Betreuer bräuchten.

Bereits im Vorfeld des Studiums findet jährlich im Mai eine mehrtägige Orientierungsphase für sehgeschädigte Abiturienten statt, die die Teilnehmer anschließend in die Lage versetzen soll, darüber zu entscheiden, ob sie sich den Anforderungen eines Studiums gewachsen fühlen.

Für die Zukunft sei vorgesehen, so Klaus, daß auch andere Universitäten Studienmöglichkeiten für Sehgeschädigte bereitstellen. An der TU Dresden ist der Versuch bereits angelaufen, ab diesem Wintersemester können Blinde in Linz studieren und für nächstes Jahr ist geplant, daß auch Oldenburg Studienplätze für diese Gruppe anbietet.