Wachsende Performance und Speicherkapazität ermöglichen neue Einsatzgebiete:

Mit dem PC auf neuen SW-Entwicklungspfaden

19.05.1989

Die Leistungsfähigkeit moderner PCs hat den "Micro" vielerorts zu einem Bestandteil der professionellen DV gemacht. PCs werden für Aufgaben eingesetzt, die sonst am Großrechner erledigt wurden. Werner Wintzheimer plädiert für den systematischen Einsatz von PCs als Entwicklungsrechner im Dienste des Mainframe.

Software für den PC ist - bezogen auf Benutzerfreundlichkeit, Funktionsbreite und Komfort - in der letzten Jahren immer besser geworden. Die Großrechnersoftware hat hier nicht Schritt gehalten. Dies gilt vor allem für die zahlreichen älteren Online-Programme, deren Überarbeitung ansteht.

Warum das so ist, hat viele Gründe: Zum einen haben wegen der vergleichsweise geringen Gerätekosten viele kreative Köpfe die Gelegenheit genutzt, sich in der Anwendungsentwicklung auf dem PC zu versuchen. Praktisch jeder Interessierte kann sich einen Microcomputer anschaffen und Schulungen besuchen oder sich autodidaktisch einarbeiten.

Ein weiterer Grund für die relativ hohe Qualität der PC-Software ist der, daß die PC-Anwender nun einmal gehobene Ansprüche an deren Leistungsfähigkeit stellen. Vor allem aber unterscheiden sich die Software-Entwicklungsumgebungen am PC und am Großrechner voneinander:

- Insbesondere in kleineren DV-Abteilungen leidet die Programmentwicklung unter einer Reihe von Störungen wie Absprachen, Anrufe und Wartezeichen, die sowohl die Entwicklung als auch die konsequente Verwirklichung origineller Lösungen behindern. Mit dem PC hingegen kann der Entwickler dort arbeiten, wo er vor solchen Störungen sicher ist, also zum Beispiel zu Hause. Viele Entwickler haben zudem in der Freizeit ihre besten Programmierideen.

- Mit PC-Werkzeugen braucht die Codierung weniger Zeit.

- Antwortzeiten und Wartezeiten aufgrund von Systemausfällen liegen auf dem PC niedriger.

- Mit dem PC kann der einzelne selbständige Anwendungen entwicklen. Er ist während des Entwicklungsprozesses nicht davon abhängig, daß Kollegen ihm zuarbeiten; das gilt insbesondere für die Systemprogrammierung und die Datenbankadministration.

Ausgehend von diesen Überlegungen und entsprechender Erfahrung habe ich mir zwei Produkte beschafft, die die Umgebung auf unserer Großanlage simulieren können: Cobol/2 von Microfocus mit Urus von DVO sowie Realia-Cobol mit Real-CICS. Beide Produkte haben sich in unserem Hause praktisch bewährt. Es wurde eine enorme Produktivitätssteigerung bei der Programmierung erreicht. Allerdings unterscheiden sich die Produkte im Detail erheblich, so daß sie im Falle einer Investitionsentscheidung genauer untersucht werden müssen.

Die Verlagerung der Programmierung von der Großanlage auf den PC bringt einen weiteren Vorteil, nämlich eine Entlastung des Mainframe. Besonders überraschend war die Tatsache, daß der Entwicklungsprozeß aus Editieren, Kompilieren und Testen durch die PC-Benutzeroberfläche unterstützt wird und sehr schnell abläuft.

Eine ähnliche Produktivitätssteigerung läßt sich mit Sprachen der vierten Generation natürlich auch auf dem Großrechner erreichen. Wir haben positive Erfahrungen mit diesen Sprachen gemacht. Aber hier besteht die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Systemen.

Zunächst ist die Personalsituation in diesem Bereich enger. Es ist vergleichweise leicht, einen Programmierer zu finden, der sich in der Großrechnerwelt mit Cobol auskennt; dagegen gibt es ausgebildetes Personal bei den Sprachen der vierten Generation. Ausbildung kostet aber vor Zeit, die in der DV-Branche allgemein fehlt.

Für Softwarehäuser sind die Sprachen der vierten Generation aus wirtschaftlichen Gründen uninteressant; denn vor der eigentlichen Entwicklungsarbeit müßten große Investitionen vorgenommen werden.

zudem verteuern sich die Anwendungsprogramme auch für den Zielkunden, weil er in der Regel das jeweilige 4GL-System zusätzlich erwerben muß - zumindest das zugehörige Runtime-System.

Es kann aber dem Käufer nicht zugemutet werden, jeweils das 4GL-System des Software-Anbieters mitzukaufen; ansonsten hätte das betroffene Unternehmen bald eine "babylonische Sprachverwirrung" auf seinem Rechner. Die Nutzung des Runtime-Systems, das der Kunde im Objekt-Code erhält, zwingt ihn jedoch in eine Abhängigkeit, die gerade sehr große Anwender sich nicht leisten können.

Außerdem sind die Sprachen der vierten Generation auf Standardprobleme angelegt; komplexe Programmlogik kann der erfahrene Programmierer schneller in Cobol umsetzen. Wird von vorn herein in Cobol und CICS programmiert, ergeben sich solche Probleme erst gar nicht. Systemhäuser greifen deshalb lieber auf Bewährtes zurück.

Warum haben sich die PCs als Entwicklungsgerät für Großrechneranwendungen aber bislang noch nicht voll durchgesetzt? - Es liegt sicher nicht an der fehlenden Verfügbarkeit von geeigneter Hard- und Software; immerhin sind die kleinen Rechner bereits tausendfach erfolgreich im Einsatz.

Entscheidend ist wohl vielmehr, daß PC und Großrechner bislang von ganz unterschiedlichen Benutzerkreisen eingesetzt wurden, also innerhalb der DV geradezu verschiedene Welten repräsentieren; Integrationsmöglichkeiten wurden deshalb noch zu wenig diskutiert. Für eine mit der Integration von PCs als Entwicklungsrechnern verbundene organisatorische Reform werden DV-Leute benötigt, die sich in beiden Welten auskennen und entsprechende Entscheidungen zum Nutzen des Unternehmens durchsetzen.

Annäherungsschwierigkeiten von PC- und Großrechnerleuten sind allerdings verständlich: Für die PC-Leute ist nicht unmittelbar einsichtig, was aufwendige und komplizierte Systemsoftware-Komponenten wie CICS und VSAM auf dem Microcomputer zu suchen haben. Umgekehrt mißtrauen reine Großrechnerexperten der Aussage, hochkomplizierte und sensible Systemsoftware könne auf den kleinen PCs ablaufen; schließlich werden von dieser Software oft mehrere tausend Terminals und viele Gigabyte an Datenbestand verwaltet.

Eine großrechnergleiche Software-Oberfläche für solche Systeme auf dem PC zu implementieren, ist aber durchaus möglich. Folglich kann ohne weiteres Software für den Großrechner auf dem PC entwickelt werden - mit dem zusätzlichen Nutzen, daß die erstellten Anwendungen auch auf dem PC gefahren werden können.

Die dezentrale Entwicklung bedingt allerdings eine neue Organisation des Projektmanagements. Der Einsatz eines PC-Netzes anstelle von Stand-alone-PCs erleichtert die Reorganisation: Hier steht den Programmierern der Quellcode-Bestand an Copy-Strukturen, Programmen und gemeinsamen Tests zentral auf einer Server-Maschine zur Verfügung.

Der einzelne Programmierer arbeitet während der Entwicklung mit seinen eigenen Testdaten, entwickelt seine Module und testet sie aus, wodurch der eigene PC als unabhängige Entwicklungs- und Testumgebung erhalten bleibt. Erst die ausgetesten Module werden für einen abschließenden Integrationstest auf dem Server zentral abgelegt.

Die beschriebene Lösung deckt jedoch nicht den gesamten SW-Produktionszyklus ab. Es fehlt die Unterstützung für Ist-Aufnahme, Entwurf, Dokumentation, Wartung, Projektsteuerung und organisatorische Einführung der Applikation. In größeren Entwicklungsabteilungen wird diese Software auf der Großanlage eingesetzt.

Auch wir werden künftig Programme für den gesamten Produktzyklus benötigen. Nach dem Abbau des Software-Staus wird ein Überdenken spätestens dann notwendig, wenn die IBM ihr SAA-Konzept realisiert hat. Wir verfolgen nämlich ähnliche Ziele - wenngleich vor etwa drei Jahren, als wir dieses Projekt gestartet haben, SAA noch nicht angekündigt war.

Werner Wintzheimer ist Leiter der Anwendungsentwicklung beim Vogel-Verlag in Würzburg