Unreflektierte Beschaffung gleicht wirtschaftlichem Dampfhammer:

Mikrosoftware-Kauf erfordert vor allem den Blick zurück

15.09.1988

MÜNCHEN - Pragmatik ist angesagt. Die Datenverarbeitung ist in vielen Anwendungen mittlerweile so komplex, daß der Zukauf neuer Software nicht mehr nur unter dem Aspekt der Erweiterung oder Verbesserung des User-Feelings gesehen werden kann. Alte Investitionen müssen genauso geschützt werden wie die betriebliche Organisation.

Als immer tieferer Eingriff in die betriebliche Infrastruktur erweist sich der Einkauf neuer Software nicht nur im Bereich der Mainframe-Anwendungen sondern auch unter Dezentralisierungsaspekten. War es in vergangenen Zeiten vordergründiges Ziel, im Rahmen eines Grundausbaus neue Applikationen DV-technisch zu realisieren, bewegen sich die Verantwortlichen jetzt immer mehr in einem Bereich, der mit informationstechnischen Glacéhandschuhen angefaßt werden muß.

Die bislang getätigten Investitionen sowohl in Hard- als auch in Software müssen geschützt werden. Zudem hat sich der betriebliche Ablauf mit der Datenverarbeitung und ihren Erfordernissen arrangiert - Eingriffe durch neue, relativ unreflektierte Anschaffungen weicher Ware streuen leicht Sand in das Getriebe.

Im Vordergrund einer Softwareanschaffung stehen deshalb in vielen Fällen nicht unbedingt nur die Wünsche der Endbenutzer, meinen Experten. Sie sehen vielmehr die DV-orientierte Retrospektive als wichtigeres Entscheidungskriterium für die geplante Investition in Programme. Fragen der bisherigen Hardwareausstattung zählen hierzu genauso wie Überlegungen zur bereits installierten Programmbasis, zur Software- und Anwendungsumgebung und vor allem auch zu ihrer Herkunft.

Die Einbindung historisch gewachsener, eventuell selbstgestrickter Anwendungen, die sich im Laufe der Zeit bewährt haben und aus betriebswirtschaftlichen Gründen noch nicht abgelöst werden sollen, erweist sich dabei als eines der problematischeren Gebiete bei einem Softwarezukauf. Diese Applikationen liefern nicht nur die Input-Daten für die neuen Programme, sie bestimmen auch nicht unwesentlich die informationstechnischen Abläufe und Infrastrukturen des Unternehmens.

Enduser-Wünsche bleiben außen vor

Der tatsächliche Endbenutzer als Verwerter des Datenoutputs bleibt hier auf Grund seines fachbereichsspezifisch engeren Gesichtskreises oft im Entscheidungsprozeß untergeordnet - nach Meinung von Fachleuten aus wirtschaftlichen Gründen durchaus berechtigt. Seine verständlichen Wünsche nach dem Luxusfeeling entsprechen nicht immer den Anforderungen an Kompatibilität und Portabilität, die beim Zukauf neuer Programme und Programmmodule aus anwendungs- und datenorganisatorischen Gründen als erstes

K.-o.-Kriterium zu werten sind.

Denn es ist mehr und mehr von Bedeutung, die Folgekosten, die durch erweiterte oder neue Applikationen entstehen, genauestens zu analysieren. In vielen Fällen greife der Softwarekauf nämlich mittlerweile tiefer in das Unternehmensgeschehen ein, als beispielsweise ein Wechsel der Hardware, meinen Fachleute. Dies komme insbesondere bei dem Zukauf mikrocomputerfähiger Programme zum Tragen.

Die technische Verträglichkeit der Software mit bereits Bestehendem ist deshalb auch eines der Augenmerke, die von den Entwicklern stärker in den Vordergrund gerückt werden. Die Ausgestaltung von Schnittstellen, die das Programm von systemnahen Komponenten möglichst abtrennt, ist daher bei der Auswahl genauestens zu prüfen. Änderungen zum Beispiel auf Betriebssystemebene oder Hardwarewechsel schlagen so nicht mehr auf die reine Anwendung an sich durch. Aber auch die Verträglichkeit zu bestehenden Programmen - seien sie Marke Eigenbau oder eingekauft - muß überprüft werden.

Auch zu Datenbanken sollte eine solche wohldefinierte Schnittstelle existieren. Hier bietet sich für den änderungsfreudigen DV-Leiter noch ein Zusatzvorteil: Die Implementierung einer neuen Anwendung erfolgt ohne Eingriffe in die systemnahe Software oder die Datenbank und nutzt vorhandene Programme mit ihrem Output. Die Entwicklungsunternehmen stellen sich auf diese neuen Anforderungen ein. Sie arbeiten beispielsweise im Rahmen ihrer Softwareentwicklung Daten sogenannter Modellunternehmen in die Programme ein, die ein Austesten bei der Implementierung ermöglichen. Echte und daher betriebswirtschaftlich kritische Daten sind so geschützt, bis die Neuanschaffung fest im Griff ist und sich ihre Zuverlässigkeit bewiesen hat.

Da in diesem Stadium bereits Produktionssoftware und keine Demosoftware ausgeliefert wird, sollte hier von dem RZ-Team auch geprüft werden, wie sich das System in Fragen der Datenübergabe und -übernahme verhält, und welche Auswirkungen sich bei Veränderung der Grundkomponenten ergeben. Aber schon im Vorfeld zu diesem Prozeß hat der Kunde viele Möglichkeiten, sich von der Funktionalität des Wunschprogrammes zu überzeugen. Über die Schaltung von Standleitungen zu dem Sitz des Entwicklungsbüros oder zu Demo-Zentren in ausgelagerten Geschäftsstellen bieten große Häuser durchwegs gute Testmöglichkeiten.

Der Akquisitionsbesuch im Haus mit der Software in der Tasche gehört darüber hinaus zu den selbstverständlichen Verkaufsaktivitäten seriöser Softwerker - er sollte genutzt werden, um den neuen Programmen mit hochsensiblen Daten kräftig auf den Zahn zu fühlen.

Am grünen Tisch wird die Software jedenfalls schon lange nicht mehr gekauft. Nicht selten, so Erfahrungswerte aus der Branche, dauern die Zeiträume, bis ein Vertrag zustande kommt, gut ein Jahr. Die Kriterien, die in dieser Zeit geprüft werden, lassen sich grob in die drei Untergruppen leistungs-, programmgestaltungs- und herstellerbezogen einteilen.

Zu den Leistungskriterien gehört das Spektrum des funktionalen Bereiches für den Endanwender. In diesen Vorauswahlprozeß wird der User in der Tat immer konsequenter nicht nur in der innerbetrieblichen Diskussion einbezogen. Auch die Softwerker realisieren die Tendenz der Auslagerung von Anwendungen direkt an den Arbeitsplatz immer intensiver in ihren Produkten.

Das SAA-Konzept von IBM sei hier als nur ein Beispiel erwähnt. Die Kreation einer durchgängigen Benutzeroberfläche schafft dann die Möglichkeiten, Anwendungen auf vernetzte PC auszulagern und den Mainframe mehr und mehr zur Datenhaltung einzusetzen.

Die Frage der Schnittstellen gewinnt so neue Bedeutung. Dann aber verlagert sich die Verantwortung für den Softwareeinkauf zurück auf den DV-Profi. So bleibt die Prüfung der Programmgestaltungskriterien im Verantwortungsbereich des RZ-Leiters - denn sie ist K.-o.-Kriterium für viele Angebote, da hier nicht nur systemtechnische Komponenten wie Hardwarekonfiguration, Betriebssystem oder Programmiersprache abgetestet werden. Auch Überlegungen der Datenorganisation, beziehungsweise der Schnittstelle zur Datenbank, der dateiorganisatorischen Sicherheitsmaßnahmen, sowie zu Konzeptions- und Ausführungskriterien für die Dokumentation oder eine Beurteilung des Reifegrades eines Programmes fallen hier zur Prüfung an.

Position des SW-Käufers verbessert sich ständig

Letztlich sind dann herstellerbezogene Aspekte für eine Entscheidung von Bedeutung; Serviceleistung, fachliches Leistungspotential und Ruf des Herstellers sollten auf der Checkliste mit einem Pluszeichen abgehakt werden. Bei all diesen Häkchen, die auf der großen Kriterienliste letztlich eine Entscheidung für ein Programm herbeiführen, befindet sich der Käufer in einer immer günstiger werdenden Position. Die Angebotsvielfalt - und im Extremfall schließlich die Möglichkeit der Softwareeigenentwicklung - haben seine Position gestärkt.

Diese Wandlung wird auch von den Softwarehäusern anerkannt. Bei Fragen der Vertragsgestaltung auch unter kaufmännischen Aspekten ist für den Käufer viel Luft drin, wie ein Branchenvertreter meint. Und sie sollte durchaus im Sinne des einkaufenden Unternehmens genutzt werden.