Mikroprozessor-Anwendungen

Mikroelektronik auch Renner auf der Interkama:Bald hundert Funktionen für einen Pfennig

16.12.1983

Es ist erst ein Vierteljahrhundert her, seit die "Integrierte Schaltung" - der Grundstein der Mikroelektronik - das Licht der Welt erblickte. Den Halbleitereffekt hatte Ferdinand Braun jedoch schon um 1874 in Leipzig bei Sulfitkristallen entdeckt. Inzwischen hat sich dieses Basiselement der Computerei zum Ausgangspunkt für Milliardengeschäfte entwickelt. Die diesjährige Interkama stand denn auch ganz im Zeichen der "integrated circuits" (ICs). Anlaß genug für die Messe-Verantwortlichen. in einem "Round-up" die Entwicklung sowie den derzeitigen Stand dieser Technologie aufzuzeigen.

Als es 1958/59 den Amerikanern Robert Noyce und Jack Kilby gelang, eine einzelne dünne Scheibe geätzten Siliziums mit mehreren Transistoren, Widerständen und Dioden zu bestücken, dachten sie in erster Linie an die Einsparung von Fläche und Kosten der nächsten Computergenerationen. Die schier unbeschränkten Möglichkeiten der weiteren Miniaturisierung und Integration Tausender von Funktionselementen auf einem Chip ließen sich damals kaum erahnen. Im Gegenteil zeigten sich beim Anlauf der Entwicklung und insbesondere der Fertigung der mikroelektronischen Bausteine ganz beachtliche Schwierigkeiten. Zu Beginn der 60er Jahre war es zum Beispiel kaum möglich, auf einem Chip mehr als zehn Funktionselemente unterzubringen. Eine derartige Schaltung kostete damals immerhin runde 50 Dollar.

Zehn Jahre später waren es allerdings schon 1000 Elemente, die sich auf einem Chip integrieren ließen, und heute ist die Anzahl bereits auf über 100 000 gestiegen. Dabei sind auch hier noch keine Grenzen abzusehen. Die Fortschritte bei der Entwicklung sogenannter LSIs und VLSIs (large scale und very large scale integrated circuits) lassen vermuten, daß sich die Anzahl der integrierten Funktionselemente auf einem Chip in absehbarer Zeit nochmals verhundertfachen dürfte. Das bedeutet wiederum, daß die Kosten einer Transistorfunktion, die seit 1960 weit mehr als um den Faktor 1000 gesunken sind, auch weiterhin fallen werden und man letztlich für einen Pfennig ganze 100 Funktionen erhalten wird.

Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Mikroelektronik war zweifellos die Erfindung des Mikroprozessors vor zwölf Jahren. Eigentlich war er eine Art "Notlösung", die dadurch entstand, daß die integrierten Schaltungen mit ihrer Vielzahl von Funktionselementen ursprünglich für jeden spezifischen Anwendungsfall "maßgeschneidert" werden mußten, was sich selbstverständlich nur in großen Stückzahlen rentierte und mit unvorhergesehenen Verlusten verbunden war, wenn ein Auftraggeber, aus welchen Gründen auch immer, auf die Abnahme verzichtete.

Mikroprozessor als Primadonna

Das Ergebnis dieser Überlegungen war die Entwicklung des Mikroprozessors - einer universell programmierbaren, hochintegrierten Schaltung, die sich für verschiedene Anwendungen einsetzen ließ. Sie ist seit 1971 auf dem Markt erhältlich und spielt wohl die Rolle einer "Primadonna", zumal man sie in einem breiten Produktangebot vorfindet, das von höchst präzisen und "intelligenten" Meßgeräten über moderne Instrumentierungsbausteine für technische Prozesse aller Art bis zu Prozeßleitsystemen für komplexe Produktionsanlagen reicht.

In seinem Aufbau hat sich der Mikroprozessor seit seinem Entstehen kaum verändert. Er ist für sich allein kaum zu verwenden und wird erst im Zusammenwirken mit zusätzlichen Bausteinen, welche die Ein- und Ausgabe von Informationen ermöglichen, und insbesondere mit Speicherbausteinen für Programme und Daten zu einem Mikrocomputer, der mit entsprechenden Softwareprogrammen vielseitig einsetzbar ist.

In der Meß- und Automatisierungstechnik hat der Mikroprozessor, wenn auch mit einer geringen Verzögerung, ebenfalls zur Belebung geführt. Elektronische Instrumente, wie zum Beispiel Oszilloskope, Meßgeräte, Chromatographen, Analysatoren oder ganze Überwachungsanlagen sind nur einige Beispiele der mikroprozessorgesteuerten Produkte.

Sprachwerwirrung beim Programmieren

Der verlangsamte Einstieg in den Bereich der Meß- und Regelungstechnik dürfte zum Teil wohl durch den hohen Programmieraufwand zu erklären sein, der bei der Adaption der Mikroprozessoren an die spezifischen Aufgabenstellungen und Verfahrensweisen erforderlich war. Außerdem spielte auch die Reaktionsgeschwindigkeit der Mikroprozessoren eine wichtige Rolle. Bei schnell veränderlichen Regelprozessen war der Mikroprozessor anfangs ungeeignet. Heute gibt es allerdings auf dem Markt auch zusätzliche integrierte Bausteine, deren Eigenschaften und Parameter sich den jeweiligen Anforderungen problemlos anpassen lassen.

Nicht zu unterschätzen ist letztlich das Problem des Dialogs mit dem Mikroprozessor. Je nach Aufbau hat nahezu jeder von ihnen seine eigene Maschinensprache. Da aber diese Maschinensprachen äußerst kompliziert und schwer zu erlernen sind, ersetzt man sie durch sogenannte höhere Programmiersprachen, die sich leicht einprägen und problemlos anwenden lassen.

Mit dem Einsatz von Mikroprozessoren im Bereich der Prozeßregelung und -steuerung ist eine Vielzahl neuer Programmiersprachen entwickelt worden, die das anwendungsorientierte Programmieren erleichtern. Allerdings sind die Programmiersprachen weder in Anlehnung an Normen entstanden noch universell verwendbar. Experten meinen, daß auf diesem Gebiet gegenwärtig eine Situation herrscht, die allenfalls mit der Sprachverwirrung beim Bau des babylonischen Turms vergleichbar ist. Schließlich wird man aber auch diese Sprachverwirrung überwinden können, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß die Mikroelektronik gegenwärtig nur in fünf bis zehn Prozent der möglichen Anwendungen eingesetzt wird und somit noch einen weiten Weg vor sich hat.