DV-Veränderung fordert Umstrukturierung der Organisation, Teil 1

Migration auf Client-Server verlangt Migration des Denkens

25.12.1992

Eine Frage bewegt die DV-Szene seit geraumer Zeit: Ist Dezentralisierung nur ein Schlagwort der Marketiers namhafter Hersteller, oder birgt sie eine echte Chance? Mit dieser Frage wird sich in der jüngsten Vergangenheit so mancher Betreiber von Rechenzentren oder DV-Manager von Großunternehmen beschäftigt haben. Sie ist jedoch nicht eindeutig mit ja oder nein zu beantworten.

Das Dilemma liegt hierbei zum einen in der mangelnden Erfahrung bezüglich theoretischer Ansätze und deren Umsetzung in die Praxis, zum anderen in der Erwartungshaltung hinsichtlich der Funktionalität der Produkte.

Trotz dieser Vorbehalte ist Dezentralisierung nicht nur eine Überlegung wert. Der Zeitpunkt ist mittlerweile gekommen, in ernsthafte Diskussionen, Planungen und Realisierungen einzusteigen.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff Dezentralisierung, und wo liegen die Ursprünge? Dezentralisierung ist im Prinzip nichts Neues in der DV-Welt. Seit der Verfügbarkeit leistungsstarker Minirechner und Netzwerksysteme (Mitte der 80er Jahre) wurde das Thema aufgenommen und auf Abteilungsebene in die Praxis umgesetzt.

Allerdings sind bis heute die Anwendungsschwerpunkte noch sehr stark auf den technischen Bereich (CAD, CAE, CIM etc.) begrenzt, wobei im wesentlichen nur die Anwendungen im Netz auf verschiedene Systeme verteilt wurden. Erst in letzter Zeit, seit der Verfügbarkeit von Produkten, die auf der Client-Server-Architektur basieren, erfolgen auch im kommerziellen Bereich weitere Schritte in Richtung Dezentralisierung.

Dies geschieht speziell unter dem Aspekt der Informationsbeschaffung und -verteilung auf der Basis von vernetzten Workstations (Clients, PCs), die von einem Host (Server) mit Daten versorgt werden. Eine solche Infrastruktur resultiert vor allem aus der Notwendigkeit, durch verkleinerte Systeme Kosten einzusparen, und ist unter dem Begriff Downsizing bekannt.

Die Erweiterung des Downsizing in Richtung echter Dezentralisierung erfordert jedoch in technologischer Hinsicht die Verfügbarkeit von Softwarekomponenten, die eine Verteilung der Daten im Netz ohne Redundanz ermöglichen.

Bei näherer Betrachtung dieser Entwicklung ist der Trend zur Dezentralisierung eindeutig, auch wenn die technischen Voraussetzungen noch nicht vollständig gegeben sind. Dies spielt jedoch in Anbetracht der Tatsache, daß sinnvolle Dezentralisierung einen intensiven Planungsprozeß voraussetzt, keine ausschlaggebende Rolle mehr, da der Zeitpunkt für die Verfügbarkeit entsprechender Produkte absehbar ist. Hierbei liefert beispielsweise SAP mit R/3 bereits einen guten Ansatz.

Ist Dezentralisierung nur ein Trend, oder verbirgt sich dahinter eine echte Chance, Kosten zu senken? Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die interne DV von Unternehmen immer mehr Kosten verursacht. Dies steht in krassem Gegensatz zu der immer härter werdenden Konkurrenzsituation auf fast allen Märkten. Dazu kommt der enorme Preisverfall der letzten Jahre auf dem Hardwaremarkt, der sich umgekehrt proportional zu den Kosten für die Wartung und den Betrieb von Softwaresystemen verhält.

Damit ist im ersten Ansatz die Notwendigkeit gegeben, die vorhandene Infrastruktur zu untersuchen und nach Möglichkeiten zur Kostendämpfung zu fahnden. Ein weiteres Problem stellt das Wachstum der Unternehmen dar, das sich direkt auf die DV-Landschaft durch steigende Anforderungen an die DV-Systeme auswirkt.

Eine der Möglichkeiten, die Probleme in den Griff zu bekommen, ist Outsourcing. Gemeint ist damit das Auslagern bestimmter Anwendungen in externe Rechenzentren. Diese Möglichkeit ist im allgemeinen nur in begrenztem Umfang nutzbar. Eine echte Chance, Kosten zu senken, stellt die Dezentralisierung dar, wobei sich Dezentralisierung und Outsourcing nicht unbedingt ausschließen.

Der größte Vorteil verteilter Datenverarbeitung liegt mit Sicherheit im Bereich des Wachstums und den damit verbundenen Anforderungen hinsichtlich Systemausbau und Verbesserung des Antwortzeitverhaltens. Dies läßt sich durch mehrere durchgeführte Cost-of-Ownership-Studien belegen (beispielsweise von Cincom, Foxboro etc.). Durch den Aufbau eines Anwendungssystems in einer 3-Ebenen-Architektur kann ein sukzessives Wachstum der DV-Landschaft mit vertretbarem Aufwand an Kosten und Personal erreicht werden.

Die Chancen, durch dezentrale Datenverarbeitung Kosten zu reduzieren, lassen sich anhand folgender Aspekte begründen.

- Wartung: einfachere Systempflege durch den Einsatz von Systemen und Tools die nach den Richtlinien offener Systeme konzipiert sind;

- Wachstum: einfachere Leistungssteigerung des Systems durch die Integration weiterer Server- oder Client-Rechner in das Netzwerk;

- Komplexität: einfacheres Hinzufügen neuer Anwendungen und deren Verknüpfung mit den vorhandenen durch offene und standardisierte Schnittstellen;

- Reaktionszeit: Verbesserung des Antwortzeitverhaltens durch die Verteilung der Last auf mehrere Systeme (Server und Clients) im Netzwerk.

Eine dezentrale Infrastruktur birgt allerdings auch nicht zu unterschätzende Risiken. Daher wäre es vermessen zu sagen, daß Dezentralisierung alle Probleme der Datenverarbeitung löst.

Es hat sich vielmehr gezeigt, daß unkoordinierte Dezentralisierung zu einem Wildwuchs unverträglicher Systeme, sei es in Form von Hardware, Systemsoftware oder auch Anwendungssoftware, innerhalb der betrieblichen DV-Landschaft führen kann. Dieser Wildwuchs ist in vielen Fällen nur mit hohen Aufwendungen in geordnete Bahnen zu lenken. Hier ist ein gezieltes und geplantes Vorgehen unabdingbar.

(wird fortgesetzt)