Übernahme-Verhandlungen mit Navision angeblich kurz vor dem Abschluss

Microsoft attackiert etablierte ERP-Anbieter

10.05.2002
MÜNCHEN (ba) - Microsoft plant offenbar, den dänischen Softwarehersteller Navision zu kaufen. Nach bislang unbestätigten Gerüchten soll der Preis etwa 1,2 Milliarden Dollar betragen. Damit würde ein weiterer Branchenriese den deutschen Mittelstand ins Visier nehmen. Auch SAP hat bereits mehrfach angekündigt, dieses Kundensegment verstärkt bedienen zu wollen.

Die Verantwortlichen auf Seiten Microsofts und Navisions wollten bis Redaktionsschluss die Spekulationen um eine Übernahme nicht kommentieren. Der dänische Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Spezialist bestätigte auf seiner Web-Seite lediglich, dass man eine "mögliche strategische Transaktion" erwäge. Das Ergebnis sei jedoch noch unklar. Nähere Details werde man erst bekannt geben, wenn es die Umstände erforderten. Der Name Microsoft fällt nicht. Insider gehen jedoch davon aus, dass die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen.

Nach Einschätzung von Analysten könnten beide Seiten profitieren. Für Navision würde sich ein breiterer Markt öffnen, erklärt Nils Niehörster, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Raad Consult. Außerdem sei angesichts des durch Pleiten und Konsolidierungen beunruhigten ERP-Marktes eine gute finanzielle Basis für jeden Anbieter wichtig. Die Gates-Company mit ihren Geldreserven von weit über 30 Milliarden Dollar bietet eine sichere Grundlage.

Microsoft könne mit Hilfe von Navision seine Strategie fortführen, verstärkt Unternehmenssoftware anzubieten, erläutert Paul Hamerman, Research Director bei der Giga Information Group. Mit dem Kauf von Great Plains Ende 2000 für 1,1 Milliarden Dollar hatten die Redmonder zwar einen ersten Schritt in diese Richtung getan. Außerhalb der USA kam das Unternehmen trotz des großen Namens im Rücken aber nie so recht in die Gänge.

Das könnte sich mit der Übernahme von Navision ändern. Das Geschäft der Dänen basiert auf einem dichten Partnernetz mit rund 2300 Systemhäusern. Laut Angaben von Navision setzen etwa 133 000 Unternehmen in 102 Ländern die eigenen Produkte ein, davon 8500 Firmen in Deutschland. Mit der Übernahme könne sich Microsoft neben den Softwareprodukten einen Vertriebskanal kaufen, analysiert Frank Naujoks von der Meta Group.

Bis das neue Gespann Microsoft-Navision Fahrt aufnehmen kann, müssten jedoch noch einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, warnt Helmuth Gümbel von Strategy Partners. So werde es nicht einfach sein, die verschiedenen Produktlinien unter einen Hut zu bekommen. Navision selbst sei noch mit der Integration der Ende 2000 übernommenen Firma Damgaard mit dem Produkt "Axapta" beschäftigt, das den höheren Mittelstand adressiert. Die schmaler dimensionierten Navision-Produkte "XAL" und "Attain", ehemals "Financials", adressieren kleinere und mittlere Betriebe. Allerdings überschneiden sie sich hier mit den Great-Plains-Paketen "E-Enterprise" und "Apertum". Wie die Integration der Produktlinien funktionieren wird, bleibe abzuwarten. Microsoft jedenfalls habe keine Erfahrung damit, Applikationen zu konsolidieren, so Gümbel.

Davon hoffen die Wettbewerber zu profitieren. So bemüht sich seit geraumer Zeit auch die SAP, kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland als Kunden zu gewinnen. Mit dem zur CeBIT dieses Jahres angekündigten Kauf der israelischen Firma Top Manage wollen die Walldorfer diese Initiative weiter forcieren. Den Deal zwischen Microsoft und Navision kommentierte SAP-Vorstandsprecher Hasso Plattner anlässlich der Hauptversammlung am 3. Mai: "Wir nehmen das sehr ernst, ohne vor dem Riesen Microsoft Angst zu haben." Es zeuge allerdings von mangelnder Marktkenntnis, kurz nach dem Kauf von Great Plains eine zweite Firma zu erwerben. Sein Unternehmen sei für den Mittelstandsmarkt gut gerüstet, versicherte der SAP-Chef.

Herbert Heitmann, Leiter Unternehmenskommunikation bei SAP, versucht die Bedeutung des Geschäfts unter den Wettbewerbern herunterzuspielen. Vergleiche man die Umsatz- und Gewinnzahlen, so werde deutlich, dass Microsoft im Grunde nur einen kleinen Konkurrenten von SAP übernommen habe. Die Integration von Top Manage in das eigene Produktportfolio laufe nach Plan. "Glücklicherweise hat uns das keine Milliarde gekostet. Das haben wir preiswerter bekommen", stichelt Heitmann in Richtung Microsoft.

Abb: Umsätze mit Standardsoftware

Der zersplitterte Markt für mittelständische ERP-Software böte einem Tandem aus Microsoft und Navision viel Angriffsfläche. (Quelle: Lünendonk)