X.25-NETZE und ALTERNATIVEN

Methusalem X.25 wird kuenftig begleitet von ISDN und ATM

07.05.1993

Die Standardisierungsbemuehungen der CCITT (Comite Consultatif International Telegraphique et Telephonique) im Bereich der Weitverkehrsdatennetze reichen bis in die 70er Jahre zurueck. Im Jahre 1980 wurde dann erstmals der Standard X.25 beschlossen und veroeffentlicht. Seither blieb dieser Standard im Kern konstant, wurde jedoch im Vier-Jahres-Rhythmus fortgeschrieben und erweitert.

Ziel der Standardisierung war es, eine Grundlage zu schaffen fuer die Einrichtung weltweiter, einheitlicher und offener Datennetze. Die Sicherheit der Datenuebertragung auch bei schlechter Qualitaet des Transportmediums spielte ebenfalls eine grosse Rolle, da der beschlossene Standard auch in technologisch unterentwickelten Regionen eingesetzt werden sollte.

Die ersten Netze, die nach dem X.25-Standard aufgebaut wurden, waren oeffentliche Netze der Postbehoerden oder privater Netzanbieter. Auch heute noch wird der Begriff "X.25-Netz" sehr oft gleichgesetzt mit "Datex-P". Dabei handelt es sich bei dem Datex-P-Netz der Telekom lediglich um ein Netz, das dem X.25- Standard folgt. Daneben existieren in der Bundesrepublik Deutschland private X.25-Netze sowohl von VAN-Anbietern als auch von selbstnutzenden Firmen.

Eines haben alle diese Netze gemeinsam: Sie bieten den Anwendern eine herstellerneutrale Schnittstelle, um Endgeraete miteinander zu verbinden. Endgeraete im Sinne des X.25 koennen dabei Bildschirmgeraete und Drucker genauso sein wie Abteilungs- und Grossrechner. Der Standard X.25 legt die Schnittstelle zwischen Endgeraet und Netz auf den Ebenen 1 bis 3 des ISO/OSI- Referenzmodells fest. Da die Daten an dieser Schnittstelle in festdefinierten Einheiten, sogenannten Paketen ausgetauscht werden, spricht man hier auch von paketvermittelnden Netzen (vgl. Abbildung 1).

Backbone fuer klassische Terminal-Host-Netze

Klassisches Einsatzgebiet dieser Netze ist die Anbindung von Bildschirmgeraeten und Druckern an Grossrechner. Zu den Betreibern solcher privaten X.25-Netze gehoeren zum Beispiel Banken, die Kontoauszugdrucker, Bankautomaten oder Kassenterminals an ihre Grossrechner anbinden oder auch Filialunternehmen, die ihren Niederlassungen und Aussenstellen auf diese Weise den Zugriff auf zentrale Datenbestaende ermoeglichen.

Welche Vorteile bieten nun aber standardisierte Paketvermittlungs-Netze gegenueber proprietaeren Loesungen wie etwa einem SNA-Netz?

Der entscheidende Vorteil eines X.25-Netzes liegt sicher darin, dass lediglich die Transportebenen der Kommunikationssoftware vorgeschrieben werden. Dies ermoeglicht, dass ueber die gleichen Verbindungswege 3270-Bildschirmgeraete an einen IBM-Host, aber auch asynchrone Terminals an einen Unix-Rechner angeschlossen werden koennen.

In die X.25-Knotenrechner, die heute auf dem Markt angeboten werden, sind darueber hinaus sogenannte PADs (Packet Assembler Disassembler) integriert. Der Begriff PAD im engeren Sinne bezeichnet dabei eine Software, die den Datenstrom von asynchronen Geraeten bei Eintritt in ein X.25-Netz zu Paketen buendelt und diesen Datenstrom bei Austritt aus dem Netz wieder entzerrt. Diese Idee des Ver- und Entpackens in X.25-Pakete wurde inzwischen jedoch auch uebertragen auf die Behandlung anderer Uebertragungsprotokolle wie 3270-SDLC, UTS oder MSV1. Diese PADs ermoeglichen also die Integration verschiedener proprietaerer Netzarchitekturen in ein gemeinsames Transportnetz ohne den Zwang, vorhandene Endgeraete anpassen oder austauschen zu muessen (vgl. Abbildung 2, Seite 46).

Gerade bei Verwendung dieser PAD-Funktionen wird oftmals die Frage aufgeworfen, ob hier nicht eine Verschlechterung der Antwortzeiten eintritt gegenueber der Verwendung des nativen Uebertragungsprotokolls. Dieser Nachteil ist in der Tat gegeben.

Es muss jedoch genau untersucht werden, ob diese Verzoegerungen fuer die Zufriedenheit der Endbenutzer wirklich relevant sind. Bei sehr vielen Anwendungen sind sie im Vergleich zu den Laufzeiten auf den Anwendungsrechnern zu vernachlaessigen.

Ein weiterer Vorteil von X.25-Netzen neben der Offenheit ist die Skalierbarkeit der Netzknoten. Waehrend die Maechtigkeit und die damit verbundene Investition bei Einsatz proprietaerer Front-end- Prozessoren (zum Beispiel IBM 3745) haeufig dazu fuehrte, sich auf wenige Netzknoten zu beschraenken, ermoeglichen kleine, preiswerte X.25-Knoten auch die Erschliessung kleinerer Standorte. Dadurch koennen auch bei kleinen Endgeraetepopulationen X.25-Netzknoten wirtschaftlich eingesetzt werden. Da diese Knoten die Moeglichkeit des Reroutings ueber Backup-Verbindungen haben, kann die Verfuegbarkeit des Netzes gegenueber einer sternfoermigen Anbindung deutlich erhoeht werden.

Leistungsfaehige Netzknoten fuer den Backbone-Bereich sind ebenfalls auf dem Markt erhaeltlich. Auch an diesem Punkt wird es kaum Terminal-Host-Anbindungen geben, die den X.25-Netzen den Rang ablaufen.

X.25-Produkte sind nicht alle kompatibel

An dieser Stelle ist es jedoch wichtig, auf folgendes hinzuweisen: Viele Anbieter von X.25-Netzknoten decken mit ihren Produkten lediglich einen bestimmten Leistungsbereich ab. Andere erfassen zwar das gesamte Spektrum, aber mit unterschiedlichen Produktfamilien. Der Anwender sollte beachten, dass Produkte verschiedener Hersteller in der Regel nicht sinnvoll kombiniert werden koennen.

Ist dies nicht ein Widerspruch zu der oben angefuehrten Standardisierung? Die Aufhebung dieses scheinbaren Gegensatzes resultiert aus folgendem Sachverhalt: Der X.25-Standard beschreibt eine Zugangsschnittstelle zwischen Endgeraet und Netzknoten, nicht jedoch zwischen zwei Netzknoten, obwohl die Darstellungen einiger Hersteller dies suggerieren. Die Kommunikation zwischen den Netzknoten ist bei den verschiedenen Anbietern unterschiedlich geloest. Auch der X.75-Standard, der die Verbindung zweier verschiedener X.25-Netze festschreibt, bietet sehr viele Freiheitsgrade, so dass auch die Aussage "Das Trunk-Protokoll zwischen zwei Netzknoten entspricht dem X.75-Standard" nicht gewaehrleistet, dass Netzknoten unterschiedlicher Hersteller zu kombinieren sind.

Eine Kopplung ueber die X.25-Schnittstelle ist dagegen jederzeit moeglich. Routing-, Last-, oder Netz-Management-Informationen koennen aber in der Regel ueber diesen Weg nicht ausgetauscht werden.

Beschraenkt sich der Anwender auf eine homogene Produktfamilie, so bietet ein privates X.25-Netz ein ausgezeichnetes Instrument, vorhandene Leitungskapazitaet optimal zu nutzen, insbesondere in einem heterogenem Umfeld von Terminals und Host-Systemen.

Die unterstuetzten Leitungsgeschwindigkeiten reichen dabei in der Regel von 2400 Bit/s bis 64 Kbit/s im Access-Bereich und bis zu 2 Mbit/s fuer Trunk-Verbindungen zwischen den Netzknoten.

Der Anspruch von integrierten Netz-Management-Konzepten ist, von zentraler Stelle aus mit einheitlichen Tools alle Netzkomponenten planen, ueberwachen und steuern zu koennen. Hat sich ein Anwender zum Aufbau eines firmenweiten privaten X.25-Netzes entschlossen, so erlaubt ihm das Netz-Management-System, zumindest den Bereich des Weitverkehrs-Transportnetzes zentral zu administrieren.

Die angebotenen Systeme unterscheiden sich jedoch stark in Funktionalitaet und Leistungsvermoegen. Offensichtlich sind zunaechst einmal die Unterschiede in der Oberflaeche der Management- Stationen. Zunehmend halten auch in dieser Produktgruppe grafische Oberflaechen Einzug. Hinterlegte Darstellungen der Netztopologie nach geografischen und logischen Gesichtspunkten erlauben die schrittweise Fehlerfindung und -analyse.

Die Vorteile einer grafischen Oberflaeche wie etwa der geringe Schulungsaufwand kommen jedoch erst dann zur Geltung, wenn auch Fehlerbeseitigung, Performance-Ueberwachung und Accounting aus dieser Oberflaeche heraus moeglich sind. Bei einigen Anbietern ist es nicht moeglich, ohne Kenntnisse einer speziellen Kommandosprache diese Taetigkeiten auszufuehren.

Bei den technisch fuehrenden Anbietern bietet das Netz-Management- System jedoch heute schon erstaunliche Moeglichkeiten, die den Personal- und Schulungsaufwand im Vergleich zum Betrieb klassischer SNA-Netze drastisch reduzieren.

So ist es zum Beispiel moeglich, Wartungsarbeiten an entfernten Netzknoten von Mitarbeitern durchfuehren zu lassen, die lediglich ueber ein geringes technisches Grundwissen verfuegen. Der Netzoperator kann sich auf seinem Bildschirm ein genaues Abbild des zu wartenden Netzknotens anzeigen lassen. Per Telefon gibt er dann dem Mitarbeiter vor Ort die noetigen Anweisungen. Ein Produkt erlaubt es sogar, per Kommando eine Light Emitting Diode (LED) der betreffenden Baugruppe blinken zu lassen, so dass ein Verwechseln nahezu unmoeglich wird. Alle weiteren Aktivitaeten zur Konfiguration der Baugruppe werden von zentraler Stelle aus ausgefuehrt (vgl. Abbildung 3, Seite 46).

Schwachpunkte weisen die angebotenen Systeme oft bei der Einhaltung von Standards auf: Haeufig basieren sie auf proprietaeren Systemplattformen, einige jedoch bereits auf Unix-Systemen. Ausserdem fehlt oftmals die Unterstuetzung standardisierter Netz- Management-Protokolle wie etwa SNMP, CMOT, CMOL oder CMIP.

Neue Anforderungen aus Downsizing-Strategien

Die Unterstuetzung standardisierter Netz-Management-Protokolle gewinnt jedoch immer groessere Bedeutung. Mehr und mehr werden "dumme" Terminals abgeloest durch komplexe LAN-Strukturen mit intelligenten Verkabelungssystemen, Bridges, Routern und Client- Server-Strukturen. Um diese Komplexitaet beherrschen zu koennen, ist es notwendig, schrittweise alle Komponenten in ein integriertes Management-System zu ueberfuehren (vgl. Abbildung 4, Seite 46).

Die Einfuehrung von Client-Server-Architekturen veraendert jedoch nicht nur die Anforderungen an das Netz-Management.

Darueber hinaus aendern sich Lastprofile, Volumina und Wege des Datentransfers. Statt kurzer Nachrichten werden nun auch groessere Files uebertragen, statt sternfoermiger Kommunikation mit einem Grossrechner werden variable Peer-to-peer-Verbindungen gefordert.

Anbieter stellen Knoten mit neuester Technik aus

Die Anbieter von X.25-Netzen tragen diesen Anforderungen Rechnung, indem sie weitere Technologien in ihre Netzknoten integrieren.

Waehrend kleinere LANs ueber X.25-Gateways angebunden werden koennen, sind in den Netzknoten integrierte Ethernet- oder Token- Ring-Adapter geeignet, eine bessere Performance fuer LAN-to-LAN- Verbindungen zu bieten.

Eine weitere wichtige Rolle spielt die Implementierung von Fast- packet-Protokollen. Zu dieser Protokollfamilie gehoert Frame Relay, oftmals auch als X.25 light bezeichnet. Durch seinen Einsatz laesst sich die Performance deutlich steigern, weil man auf die bei X.25 sehr ausgepraegten Sicherungsmechanismen auf jedem Verbindungsabschnitt verzichtet.

Voraussetzung fuer den Erfolg sind jedoch intelligente Endgeraete, die nun die End-to-endKontrolle uebernehmen und eine hinreichend hohe Qualitaet des Uebertragungsmediums, um die Wahrscheinlichkeit grosser Uebertragungswiederholungen im Fehlerfall kleinzuhalten (vgl. Abbildung 5).

Obwohl die Anbieter von X.25-Knoten Frame Relay bereits angekuendigt oder gar implementiert haben, ist die Nachfrage in der Bundesrepublik Deutschland noch zurueckhaltend.

Dies hat im wesentlichen drei Gruende:

Erstens ist der Standardisierungsprozess noch nicht endgueltig abgeschlossen, und es existieren daher mehrere Frame-Relay- Derivate

Zweitens sind oeffentliche Frame-Relay-Services in Deutschland erst im Entstehungsstadium. Der verfuegbare Service spielt jedoch eine grosse Rolle bei Backup-Konzepten.

Der 3. Grund ist ein oekonomischer: Bandbreite im Weitverkehrsbereich ist nach wie vor teuer. Der Einsatz von Fast-packet-Technologien ist jedoch erst ab einer Uebertragungsgeschwindigkeit von 2 Mbit/s wirklich sinnvoll.

Viele Anwender warten ausserdem auf den Asynchronous Transfer Mode (ATM). Im Gegensatz zu X.25 oder Frame-Relay wird es mit dieser Technologie des sogenannten Cell Relay auch moeglich, Sprache zu uebertragen. Die Voraussetzungen hierfuer sind geringe und vor allem konstante Verzoegerungszeiten bei der Uebertragung. ATM stellt dies durch die Uebertragung sehr kleiner und gleich grosser Datenportionen (cells) sicher.

Waehrend die heute angebotene ATM-Technik noch Pilot- beziehungweise Prototypcharakter hat, lassen sich durch Kombination bewaehrter Komponenten auch heute schon integrierte Sprach- und Datennetze aufbauen.

Erster Schritt kann der Aufbau eines integrierten Datennetzes auf Basis von X.25-Frame-Relay-Knoten sein.

Fuer die Integration der Sprachuebertragung bieten sich zwei Loesungen an:

- Voice over data: Es gibt Netzknoten, die neben X.25- und Frame-Relay-Funktionalitaet ueber eine Multiplexer-Funktion verfuegen. Dadurch ist es moeglich, auch digitale Sprachverbindungen zu transportieren.

- Data over voice: Einige Anwender besitzen heute schon ein privates Sprachnetz auf der Basis ISDN-faehiger Nebenstellenanlagen, die ueber ISDN-Festverbindungen vernetzt sind. Die 30 Kanaele eines S2-Anschlusses werden oft genug jedoch nicht alle genutzt. Die verbleibenden koennen als Uebertragungsmedium fuer ein X.25-Netz dienen. Die X.25-Netzknoten uebernehmen nicht nur die Kontrolle der Endgeraete, sondern auch die Sicherung der Datenuebertragung.

Welche der angesprochenen Varianten fuer den jeweiligen Anwender wirtschaftlich sinnvoll ist, haengt letztlich von seiner speziellen Situation ab.

Der Aufbau eines unternehmensweiten integrierten Transportnetzes gewinnt zunehmend an strategischer Bedeutung fuer die Schlagkraft des Unternehmens. Optimale Ausnutzung von Bandbreite und groesstmoegliche Flexibilitaet stehen dabei im Vordergrund. X.25, das aelteste unter den Datenuebertragungs-Protokollen kann auch heute noch eine wichtige Rolle bei der Migration zu Corporate Networks spielen.

Begleitet und ergaenzt wird der Methusalem jedoch durch die neuen Mitstreiter Frame Relay, ISDN und in Zukunft auch ATM.

*Stefan Albert ist Senior Consultant und Leiter des Bereichs Informations- und Kommunikationstechnik der Ploenzke Systeme GmbH in Wiesbaden.

Abb.1: Bewaehrte CCITT-Norm

Die Schnittstelle zwischen Endgeraet und Netz ist auf den Ebenen 1 bis 3 des ISO/OSI-Referenzmodells festgelegt. Quelle: Ploenzke

Abb. 2: Mit PADs lassen sich proprietaere Architekturen in ein gemeinsames Transportnetz integrieren. Quelle: Ploenzke

Abb. 3: Ausgereifte Systeme fuer das Management von X.25-Netzen erlauben es, entfernte Netzknoten auch von technisch wenig vorgebildeten Mitarbeitern warten zu lassen. Quelle: Ploenzke

Abb. 4: LAN-Strukturen werden immer komplexer. Quelle: Ploenzke

Abb. 5: Durch den Einsatz von Frame-Relay-Protokollen wird die Netzkontolle teilweise den intelligenten Endgeraeten uebertragen. Quelle: Ploenzke