"Home of the Future" ist noch Phantasie

Messeschlager Multimedia-PC ertönte aus allen CeBIT-Ecken

27.03.1992

HANNOVER (sc) - Die innovationsarmen Zeiten der DV-Branche sind offensichtlich vorbei - es grassiert das Multimedia-Fieber. Kaum ein PC-Hersteller verzichtet in diesem CeBIT-Jahr darauf, nicht wenigstens ein System mit dem neuen Trendbegriff zu schmücken. Von der Multimedia-Vision eines "Home of the future" ist das Angebot aber noch weit entfernt.

Was unter Multimedia zu verstehen ist, darüber sind sich die DV-Anbieter einig. Sowohl Microsoft als auch Next definieren diese Technologie als die Integration von Ton, Schrift, stehenden Bildern und Animation in Computersysteme. Trotz aller Multimedia-Euphorie wird von den meisten Herstellern der Anspruch einer vollständigen Verknüpfung aller Medien, etwa Zeitung, Fernsehen und Telefon, bisher noch nicht erhoben.

Anwendungen, wie sie heute offeriert werden, gab es jedoch bereits, als noch niemand von Multimedia sprach. So kann der Flugsimulator der Deutschen Airbus GmbH als eine uralte Multimedia-Lösung bezeichnet werden.

Außerdem läßt sich noch nicht ausmachen, welche Zielgruppe mit Multimedia angesprochen werden soll. So schielt Bill Gates mit seiner Prognose offensichtlich auf den Anwender zu Hause. "Diese Multimedia-Geräte werden die Grenze zwischen Bildung und Unterhaltung verwischen und dabei die Möglichkeiten in beiden Richtungen wesentlich erweitern", äußert der Microsoft-Boß. Mit diesen neuartigen Mediensystemen sollen seiner Vorstellung nach Home-User auch Informationen, die aus dem Arbeitsbereich kommen, integrieren können.

Elektronische Zeitung für die Messebesucher

An Angeboten für diesen Bereich mangelt es noch. Erste Ansätze liefert hier Digithurst. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben das "Wohnzimmer der Zukunft" im Auge. So konnte der Messebesucher eine elektronische Zeitung, ein Multimedia-Kommunikationsterminal sowie einen Controller für Fernsehend Rundfunksendungen besichtigen .

Die Mehrzahl der Multimedia-Offerten gehen jedoch in

Richtung Busineß-Markt, vor allem für die Bereiche Präsentation, Information und Schulung. Bei Apple bekam der Anwender CD-ROM-basierte Applikationen zu sehen Die Softwarepartner Idea Graphics und Xplain beispielsweise boten einen Vorgeschmack auf interaktive Lösungen für die Aus- und Weiterbildung. Zudem war Medialab Informationsdesign mit einer multimedialen Applikation für den Werbebereich vertreten .

Apple zeigte umfangreiche Multimedia-Lösungen

Ferner waren auf dem Apple-Stand Unternehmen wie Pixelpark Multimedia, Da Gama und Steinberg plaziert. Deren Angebot reichte von Point-of-Sale- und Point-of-Information-Applikationen bis zu Informations- und Ausbildungssystemen für die Medizin sowie zu Lösungen für die Produktion von Musik auf dem Mac. Als eigenen Beitrag zum Multimedia-Angebot stellte der Mac-Produzent das neue Adobe-Produkt "Adobe Premiere" vor - einen digitalen Video-Editor, der auf der Apple-eigenen Medienintegrations-Software "Quicktime" basiert. Damit können Video, Audio, Bilder und Grafiken kombiniert werden, um auf dem Mac einen digitalen Film zu erstellen.

Auch Next zielte mit seinem Angebot auf den professionellen Markt. Dabei handelte es sich zum Beispiel um Applikationen wie das Autorensystem "Mediastation 2.0" und das Auskunftssystem "ZGDV Shareme". Außerdem konnten eine multimediale Datenbank, ein Redaktionssystem mit Text- und Bildarchiv sowie eine digitale Bilddatenbank bestaunt werden.

Neben den von den Multimedia-Anbietern primär angepeilten Einsatzgebieten Computer Based Training (CBT), Präsentation und Information will die Steven-Jobs-Company auch Arztpraxen versorgen und hat nebenbei die Warenwirtschaft- und Auftragsabwicklungs-Systeme "Commix" und "Viva!" in der Multimedia-Palette. Wie der Technical Manager Peter Lipps jedoch betont, sei man bei Next nicht erst auf den Multimedia-Trichter gekommen, seit dieses Thema zum Schlagwort avancierte. Die Next-Systeme hätten diese technologischen Voraussetzungen schon von Anfang an geboten.

Selbst die IBM schwimmt mittlerweile auf der Multimedia-Welle. So präsentierte Big Blue unter der Bezeichnung "Ultimate" ein für multimediale Anwendungen ausgelegtes PS/2-System. Zudem gab Applied Learning International bekannt, daß mit IBM Deutschland und Telemedia eine Interessengemeinschaft gegründet wurde, um den Einsatz von Bildplatten beim Verhaltenstraining zu forcieren. Neben den Multimedia-PCs und Programmen hält außerdem eine Reihe von Kartenherstellern ihr Multimedia-Fähnchen in den Wind. Dazu gehört unter anderem das Unternehmen Fast Electronic, das zur Bearbeitung von Videos auf dem PC das Video-Board "Video machine" anbot.

Ob die neue Technologie in den nächsten Jahren von den Business-Anwendern angenommen wird, halten Branchenkenner jedoch für fraglich. Sie vermuten, daß Multimedia vorerst Heim- und Nischenmärkten vorbehalten bleibt. Dieser Meinung ist auch Andreas Störzer, Marketing Manager Europe bei ATI, einem Anbieter von Multimedia-Boards: "Die Komponenten verkaufen sich gut im Entertainment-Bereich. Das ist der erste Schritt. Später werden sich andere Nischenmärkte entwickeln. Im Business-Sektor sehe ich für Multimedia noch keine Zukunft." Auch Panatek will noch abwarten, bevor ein MultimediaProdukt herausgebracht werden soll, erklärt der Marketing-Mann Uwe Eiserbeck. "Multimedia ist über das Stadium ,Schlagwort' noch nicht hinaus. Wir sehen uns das erst einmal an."