National Computer Conference pfeift aus dem letzten Loch:

Messe-Dilemma offenbart sich auch in USA

12.06.1987

VENTURA/KALIFORNIEN (CWN) - Noch vor vier Jahren war sie die größte eigenständige Branchenmesse der Welt. Inzwischen ist die National Computer Conference (NCC) nur noch ein Schatten ihrer selbst: Nachdem letztes Jahr nur noch ein Bruchteil der früheren Besucherschar gekommen war, bleiben heuer auch die Aussteller reihenweise fern.

Nicht nur in der Bundesrepublik diskutieren Fachverbände, Industrie und Anwender eine überfällige Reform des in den letzten Jahren über Gebühr expandierten Messewesens. Auch im wiedererwachten Wirtschaftswunderland USA mit seinem beispiellosen Börsenboom müssen sich Messemacher etwas einfallen lassen, um das Publikum bei der Stange zu halten. Das Nachsehen hat in Amerika derzeit die Kongreßmesse NCC: Früher alljährlich der Treffpunkt der Computerszene schlechthin, steht sie heute bei Anwendern wie Ausstellern auf der Abschußliste. In den Redaktionen renommierter amerikanischer Fachzeitschriften wird sogar ernsthaft überlegt, ob die Bedeutung der Veranstaltung es überhaupt noch rechtfertigt, gesondert über sie zu berichten.

In ihren Glanzzeiten, 1983 und 1984, hatte die NCC mit bis zu 3600 Ständen fast 100 000 Besucher angelockt. Für die diesjährige NCC, die in der Zeit vom 15. bis 18. Juni in Chicago über die Bühne gehen soll, hatten Ende April erst 146 Aussteller insgesamt 600 Boxen gebucht. In der ersten Maiwoche lagen dem Messeveranstalter nicht einmal 3000 Kartenvorbestellungen von Anwendern vor.

Das nahezu totale Desinteresse der amerikanischen DV-Öffentlichkeit an der NCC offenbarte sich indes nicht von heute auf morgen. Schon in den letzten zwei Jahren - nach zweimaligem Umzug von Kalifornien über Las Vegas nach Chicago - kündigte sich das Dilemma an, ohne daß bei den Organisatoren die Alarmglocken geklingelt hätten: Im Jahr 1985 blieben von 85 000 angemeldeten Messegästen rund 20 000 zu Haus. 1986 sank die Besucherzahl gar auf 42 000. Ein Aussteller: "Wir hätten in den Gängen zwischen unseren Ständen Bowling spielen können, ohne mit der Kugel jemand zu treffen."

Daß die NCC-Organisatoren den Zug der Zeit verpaßt haben, führen amerikanische DV-Experten vor allem auf das unprofessionelle Management des federführenden Verbandes, der American Federation of Information Processing Societies (Afips), zurück. Diese Vereinigung von ehrenamtlichen Branchenfunktionären hatte beispielsweise 1981 nach vier Jahren ihr "PC-Festival" wieder eingestellt, gerade als das Geschäft mit den Mikrorechnern zu blühen begann. Durch die PC-Ignoranz der Afips habe, so heißt es, die Händlermesse Comdex (Computer Dealers' Exposition) erst so richtig großwerden können. Außerdem war in dem Verband, wie ein ehemals Beteiligter gesteht, "nie jemand wirklich für etwas verantwortlich".

Von der in den frühen siebziger Jahren tragenden Funktion der NCC, nämlich der eines Insider-Treffpunkts der DV-Professionals, ist nichts mehr geblieben. Um den Anschluß an den Markt wiederzufinden, müßte die Veranstaltung vor allem der Forderung nach weniger nackter Großrechner-Hardware und mehr vertikalen Anwendungen nachkommen. Die jetzt begonnene Öffnung in Richtung PC jedoch scheint zu spät zu kommen: Unternehmen wie Tandon und Compaq haben sich für die Comdex entschieden. Nach dem neuerlichen Erdrutsch bei den Teilnehmerzahlen gehen in der Branche nur noch Optimisten davon aus, daß es 1988 wieder eine NCC geben wird.