Messaging-Systeme/Anwendungen und Standards im weltweiten Netz der Siemens AG E-Mail und EDI sind tragende Saeulen des Corporate Networking

31.03.1995

Von Ingo Claussen*

Konkurrenzfaehigkeit resultiert heute - neben traditionellen Zielgroessen wie Qualitaet, Preis und Zeit - aus der Fokussierung auf Kernkompetenzen sowie aus der Optimierung der Geschaeftsprozesse, und hier wiederum aus der Optimierung des Informations- und Kommunikationskanalsystems. Bei der Siemens AG ist das das Siemens Corporate Network (SCN).

Siemens hat fruehzeitig mit dem Aufbau eines weltweiten Corporate Network begonnen, das heute die Standorte des Konzerns miteinander verbindet und als einheitliches Informations- und Kommunikationskanalsystem fuer den Austausch aller Informationsarten ausgelegt ist.

Die Aktivitaeten an Baustellen koordinieren

Die Unternehmensbereiche tragen als selbstaendige Weltunternehmer die ungeteilte Geschaeftsverantwortung fuer ihr Betaetigungsfeld. Die dezentrale Geschaeftsverantwortung umfasst Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Logistik sowie Verwaltung und schliesst auch die dezentrale Verantwortung fuer den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik mit ein. Diese dezentralisierte Verantwortung gilt jedoch nicht fuer die Bereitstellung des einheitlichen, uebergreifenden Informations- und Kommunikationsnetzwerks: das Siemens Corporate Network, das den optimalen Informationsfluss fuer die Unternehmensbereiche global sicherzustellen hat.

In den Wertschoepfungsketten aller Geschaeftsbereiche gewinnen Parallelitaet und globale Verteilung von Teilprozessen zunehmend an Bedeutung. Das macht die fortwaehrende Verbesserung der Kommunikation zwischen internen und externen Interaktionspartnern erforderlich. In diesem Zusammenhang wird auch der beleglose Geschaeftsverkehr mit internen und externen Kunden, mit Lieferanten, Behoerden und Dienstleistern immer wichtiger. Beispielsweise muessen im Anlagengeschaeft die Montageaktivitaeten an unterschiedlichen Baustellen mit einer Vielzahl von Subunternehmern koordiniert werden.

Kennzeichen von Corporate Networks

In den Produkt- und Systemgeschaeften sind unterschiedliche Lieferzeitklassen bis hin zu Just-in-time-Anforderungen zu erfuellen. Im Servicegeschaeft muessen rund 50000 Mitarbeiter unterstuetzt und die Ersatzteilversorgung sichergestellt werden.

Die Anforderungen an moderne Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen bestehen in der sicheren Uebertragung, Speicherung und Verarbeitung (idealerweise) saemtlicher Informationsarten (Text, Daten, Sprache, Grafiken, Video). Die Einbindung sollte sowohl fuer stationaere als auch fuer mobile Rechner ueber genormte Schnittstellen sichergestellt werden. Die Kommunikation jeder mit jedem muss gewaehrleistet sein. Directories enthalten die speziellen Benutzerprofile wie Angaben ueber die eindeutige Adresse, Zugriffsberechtigungen etc. Kommunikationspartner sind in diesem Verbund sowohl Mitarbeiter, externe Geschaeftspartner als auch Anwendungen. Schliesslich sind die Verfuegbarkeit rund um die Uhr und die verursachergerechte Leistungsverrechnung unverzichtbare Forderungen. Diese Anforderungen lassen sich jedoch nur erfuellen, wenn neben einheitlichen Mailservices auch die auszutauschenden Objekte uebergreifend abgestimmt werden. Dies ist unter anderem durch die Einfuehrung einheitlicher Werkzeuge beziehungsweise Arbeitsplatzloesungs-Umgebungen moeglich.

In diesem Sinne ist die Implementierung des Siemens Corporate Network recht weit fortgeschritten. Es stellt fuer alle Unternehmenseinheiten weltweit ein durchgaengiges Traegernetz fuer Daten-, Text-, Sprach- und Bildkommunikation bereit. Physikalisch besteht es aus Zubringernetzen mit niedrigeren Bandbreiten und teilweise dienstspezifischen Knoteneinrichtungen. Diese Einzelnetze werden durch ein Backbone zusammengefuehrt, das die universellen Knoteneinrichtungen enthaelt und die Datenstroeme heute in kleinen Zellen mit fester Laenge (Cell-Switching) ueber Kanaele von derzeit 2 Mbit/s transportiert. Diese Technologie ist als Einstieg fuer die zukuenftige ATM-Technologie (Asynchronous Transfer Mode) zu betrachten und erlaubt in Zukunft den ATM-Standard mit Geschwindigkeiten bis zu 140 Mbit/s und hoeher.

Zwischen zwei Knoten der wirtschaftlichste Dienst

Derzeit werden jaehrlich weltweit schon ueber 12000 GByte an Daten uebertragen und zusaetzlich 6000 GByte Sprache. Alle Siemens- Standorte sind via SCN ueber zirka 9000 projektierte Netzanschlusspunkte verbunden. Lokal koennen alle moeglichen Systemarchitekturen vom einfachen PC ueber Multiuser-Systeme bis hin zu komplexen LAN-Umgebungen ueber standardisierte Kommunikationssteckdosen an das SCN angebunden werden.

Dieses Traegernetz hat seine Dienste ressourcenschonend zu erbringen, was durch verschiedene Massnahmen sichergestellt wird: Zwischen zwei Netzknoten wird jeweils der wirtschaftlichste Uebertragungsdienst der in der Region vorhandenen Netzbetreiber gewaehlt. Zusaetzlich werden die unterschiedlichen Kommunikationsstroeme moeglichst optimal gebuendelt. Durch die Einbeziehung der Sprachkommunikationsstroeme von den oeffentlichen Waehlnetzen auf das SCN liessen sich die Gebuehren um mindestens 30 Prozent senken. Dies wurde durch die Buendelung der Sprach- und Datenkommunikationsstroeme und zusaetzliche Techniken wie Sprachkompression sowie durch Least-cost-Routing moeglich, das die Verwendung der jeweils guenstigsten Netzverbindung vorschreibt.

Backbone-Funktion fuer proprietaere Mail-Loesungen

Das Dienstespektrum, aufsetzend auf SCN, umfasst schon heute weitere Features und wird zukuenftig bedarfsorientiert ergaenzt:

- Videokommunikation,

- Auskunftsdienste wie beispielsweise Verzeichnisdienste (White und Yellow Pages) sowie

- diverse Multimedia-Anwendungen.

Die elektronische Post basiert auf den herstellerunabhaengigen Empfehlungen gemaess CCITT X.400 und dem offenen Directory-Service gemaess X.500. Die nach diesen Standards definierten "Postaemter" sind verteilt, hierarchisch vernetzt und uebernehmen je nach Funktion und Region zugeordnete Aufgaben. Die danach ausgerichtete elektronische Post ist einerseits die generelle Loesung fuer das Haus Siemens. Andererseits uebernimmt X.400/X.500 auch die Backbone-Funktion fuer vorhandene herstellerspezifische Mail- Loesungen. Ueber Gateways werden diese in den Mail-Verbund integriert. Heute sind Gateways im Einsatz fuer die Integration von Mail-Loesungen auf Basis von MS-Mail, Banyan, Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) sowie dem 5800-Mail. Damit wird heute jeder Mail- Teilnehmer eindeutig ueber eine X.400-Adresse im SCN adressiert, gleich welche Loesung verwendet wird. Fernziel ist es jedoch, unternehmensweit diesen standardisierten Mail-Service einzufuehren, der fuer den Transfer aller Informationsarten offen ist.

Fuer die unternehmensweite Kommunikation ist jedoch neben einem einheitlichen Mailservice auch die Standardisierung der Austauschformate notwendig, damit die arbeitsplatzuebergreifende Praesentationsmoeglichkeit beziehungsweise Weiterbearbeitung gewaehrleistet ist. Dafuer wurde die Siemens-weit gueltige Kommunikationsordnung als Regelwerk definiert, das Vorschriften ueber die einzusetzenden Techniken wie zum Beispiel zu waehlende Netzleitungen und -dienste, Services und Serviceuebergaenge (etwa fuer das Mailing), Dokumentenaustauschformate fuer die am weitesten verbreiteten Bueroanwendungen sowie den elektronischen Datenaustausch zwischen betriebswirtschaftlichen Applikationen fuer den beleglosen Bestell- und Abrechnungsverkehr enthaelt. Weiterhin unterbreitet dieses Regelwerk Vorschlaege fuer die zu waehlenden Schnittstellen fuer LAN/WAN-Verbindungen, die Adressierungskonventionen, Preisstellung und Verrechnung. Der Informations- und Warenfluss wird durch standardisierte Benummerungssysteme fuer Erzeugnisse sowie technische Unterlagen und die dazugehoerenden Identifikationssysteme (wie Barcode) beschleunigt.

Fuer den elektronischen Dokumentenaustausch und die Sicherstellung der Weiterbearbeitungsmoeglichkeit ohne Medienbrueche werden vom Siemens-Fachkreis "IuK-Anwendungssoftware" Austauschformate vorgeschlagen, die dann im Rahmen von Organisations- /Informationsleiter-Tagungen festgelegt werden, um den bereichs- und regionenuebergreifenden Dokumentenaustausch zu gewaehrleisten. Derzeit werden als einheitliche Standards fuer Textverarbeitung Winword V. 2.0, fuer Tabellenkalkulation MS-Excel 4.0 und fuer die Praesentation Powerpoint V 3.0 empfohlen.

Dabei koennen Anwender auch mit vergleichbaren Tools arbeiten, die Kompatibilitaet der Austauschformate muss aber sichergestellt werden.

Electronic Data Interchange (EDI), der offene Datenaustausch von Geschaeftsnachrichten in strukturierter Form mit internen und externen Partnern, laeuft ebenfalls ueber das SCN. EDI-Nutzen wie Zeitgewinn, weniger Erfassungsfehler, fehlende Medienbrueche, weniger Korrekturaufwand sowie eine hoehere Datenqualitaet und zusaetzlich die weltweiten Aktivitaeten der einzelnen Geschaeftsbereiche hinsichtlich Beschaffung, Fertigung und Vermarktung machen den effizienten elektronischen Datenaustausch zwischen betriebswirtschaftlichen Applikationen fuer den beleglosen Bestell- und Abrechnungsverkehr sowohl hausintern als auch mit den externen Partnern erforderlich. Dies gilt besonders fuer Wertschoepfungsketten, in denen Siemens als Lieferant beziehungsweise umgekehrt als Kunde "just in time" eingebunden ist.

Fuer den hausinternen Datentransfer BAV

Mit EDI koennen alle Organisationen gleich welcher Groesse und Branche den Geschaeftsverkehr beschleunigen und optimieren. Edifact (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) definiert, wie elektronischer Geschaeftsverkehr abgewickelt wird. Die inhaltliche Bedeutung einer Edifact- Nachricht ist anwender- sowie herstellerneutral und fuer jede Branche laenderuebergreifend eindeutig festgelegt, so dass eine automatische Weiterverarbeitung unabhaengig von der Landessprache erfolgen kann. Daher ist die weltweite Einfuehrung des offenen Edifact-Standards das Ziel.

Mit dem elektronischen Austausch von betriebswirtschaftlichen Daten sind jedoch zwei Problemkreise verbunden: Einmal wurde haeufig schon vor der Verabschiedung der offenen Edifact-Formate die Einfuehrung von firmeneigenen oder branchenspezifischen elektronischen Austauschverfahren erforderlich, die sich in der Praxis auch bewaehrt haben. Zum Beispiel arbeitet Siemens seit zirka 20 Jahren mit dem elektronischen Austausch von Geschaeftsdaten und hat fuer den hausinternen Datentransfer BAV (Bestell- und Abrechnugsverkehr) eingefuehrt, als Beispiel fuer einen Branchenstandard laesst sich VDA fuer die Automobilindustrie nennen.

Zweitens definiert Edifact nur standardisierte "elektronische Formulare", jedoch keinen speziellen, offenen Transferservice fuer diese Formulare zwischen den kommunizierenden Kunden-/Lieferanten- Applikationen. Hierfuer koennen grundsaetzlich alle sicheren Uebertragungsdienste genutzt werden. Die Auswahl eines Services ist der gemeinsame Beschluss der Geschaeftspartner. So nimmt Siemens auch unterschiedliche Transferservices in Anspruch, um den Datenaustausch intern und mit den Partnern sicherzustellen (vgl. Abbildung 1).

Die Siemens AG betreibt EDI derzeit mit ueber 450 externen Geschaeftspartnern. Dazu gehoeren Lieferanten, Kunden, Banken, Spediteure, Versicherungen etc.

Neben einem umfangreichen Lieferantenprojekt, in dem nach einem einheitlichen Rahmen vorgegangen wird, gibt es Kundenprojekte: Einzelprojekte, die vom jeweils auftraggebenden Bereich gesteuert werden.

Einige Geschaeftsbereiche werben mittlerweile bei den Kunden fuer EDI, um darueber die Bestellungen zu beschleunigen und zu rationalisieren.

Besonders deutlich wird dies in der Automobilbranche durch Verwendung sehr zeitkritischer Nachrichten.

Da im elektronischen Datenverkehr neben dem offenen Edifact auch branchenorientierte Standards verwendet werden, zeigt sich Siemens in der Kommunikation mit Geschaeftspartnern flexibel (vgl. Abbil- dung 2).

Fuer die Abwicklung des elektronischen Datenaustauschs zwischen den internen Geschaeftsstellen sowie mit externen Partnern ist der Siemens-EDI-Service fuer die gemeinsamen "Rechen- und Kommunikationsdienste" verantwortlich.

Ueber diesen EDI-Service erfolgt die Abwicklung des weltweiten elektronischen Geschaeftsdatenaustauschs. Von hier aus werden heute ueber 30 Millionen Geschaeftsvorfaelle pro Jahr betreut. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, hat Siemens Nixdorf eine spezielle Clearing-Software entwickelt, die auf den SEDI-Produkten von Siemens Nixdorf aufbaut.

* Ingo Claussen ist Produkt-Manager Office-Automation bei SNI in Paderborn.