Mein Computer, das unbekannte Wesen

22.04.1977

Diffamiert als Job-Killer, dümmlich als Spielzeug elitärer Technokraten und insgesamt als problematisch für die menschliche Gesellschaft hingestellt: Der Computer, schlichtes Vehikel für schnellere, differenziertere und fehlerärmere Problemlösungen ist ins Gerede geraten. Selbst die Gruppe, die von ihm lebt, ist teilweise argumentativ auf dem Rückzug vor dem allgemeinen und politischen Volkszorn über den Computer, dieses unbekannte Wesen. So galt es zum Abschluß des "Kanzlerzuges" (einer Deutschlandfahrt in Sachen Computer) unter den Mitreisenden auszuloten und klarzustellen - welche Lebensqualitäten der Rechner beeinträchtigt - und welche erst er produziert. In einem Roundtable-Gespräch (das wir hier auszugsweise wiedergeben*) wurde zu drei Fragen der CW Stellung bezogen.

Die Teilnehmer waren: Dipl.-Ing. Peter Schöltzel, Hewlett-Packard; Peter H. Tremmel, Inforex GmbH; Ing. Jürgen Cubasch, Deutsche Industriewartung GmbH; Ulrich Schröder, ICC Alanthus GmbH; Hans Kuschel, Hanseatische Leasing GmbH; Norbert Inderfurth, Wang Laboratories GmbH; Professor Timmermann, Konstanz; Dr. Klaus Börning, IDS Forschungs-Institut; Dr. Karl-Heinz Hopf, GMO - Gesellschaft für moderne Organisationsverfahren mbH & Co.; Thomas E. Panzer und Michael Mackenthum, beide Kienbaum.

Schöltzel: Diese Frage ist in direktem Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, daß der Computer dem Menschen eine Sprache oder Verfahrensweise der Kommunikation aufzwingt, die in keiner anderen Weise zu gebrauchen ist. Ganz klar ist es Aufgabe der Computerindustrie, also unsere Aufgabe, den Computer zu einem Werkzeug zu machen, das einfach, freundlich eingesetzt werden kann. Dann würden die meisten Fragen, die hier im Prinzip mit drin sind, bereits beantwortet sein.

Schröder: Ich möchte einen wesentlichen Schritt weitergehen: Wenn wir zurückdenken an die "Arbeitslosenmacher", und wenn wir diese ganzen Erfindungen von damals heute zurückdrehen würden, und sagen: "Zerschlagt die Computer, die Räder und und und", dann glaube ich, daß wir bald da sind, wo wir niemals hin wollten. Wer am Computer herumqueruliert, sollte sich mit Fachleuten unterhalten und sehen was passiert, wenn man Computer nicht mehr hätte.

Timmermann: Wie jede Technologie und jeder technologische Fortschritt hat natürlich auch der Computer damit zu tun, daß er Freisetzungseffekte herbeiführt. Ich glaube aber, daß das Hauptproblem gar nicht auf der Seite der Computertechnologie liegt, sondern sehe es darin, daß der Computerbenutzer bis heute nicht die richtigen Fragen stellen kann. Der reine Vorwurf der Freisetzung von Arbeitskraft ist haltbar, es sei denn, wir wollten den Wohlstand bekämpfen. Bisher ist der Wohlstand nur das Ergebnis von Arbeitsteilung und Spezialisierung, und der Computer liefert dazu einen hervorragenden Beitrag. Deshalb sollte das Problem in der Frage liegen. Können wir Computer nicht viel besser nutzen? Denn offensichtlich ist er uns in der Technologie mindestens um 3 - 5 Jahre voraus.

Kuschel: Ich bin nicht vom Fach, insofern kann ich mich kritisch äußern. Ich glaube, diese Frage würde in einem viel breiteren Kreis der Bevölkerung positiv gesehen, wenn die Computerindustrie in ihrer Öffentlichkeitsarbeit etwas freundlicher wäre und mehr dafür tun würde, daß man den Computer besser versteht.

Hopf: Ich halte den Computer überhaupt nicht für das Problem der Freisetzung von Arbeitskraft. Denn meines Wissens wurde in den letzten Jahren allein durch die Technologie der logischen Schaltung auf ganz anderen Gebieten wesentlich mehr Arbeitskraft freigesetzt. Wenn wir überlegen, wieviel Uhrmacher heute auf der Straße sitzen, dann sind das prozentual wesentlich mehr als ein paar Buchhalter, die hier und da eingespart werden konnten.

Panzer: Als Berater komme ich meistens in Unternehmen, in denen die Krankheit bereits recht weit fortgeschritten ist, wo es also von seiten der Benutzer Klagen gibt und gegen diese Klagen von seiten derer die den Computer als Leistung bereitstellen, wenig oder nichts getan werden kann. Die Fehler dann auf den Computer selbst zu schieben, scheint mir am Thema vorbeizugehen. Ich glaube die Krise und auch die Vertrauenskrise ist nicht eine, die die Computerindustrie betrifft, sondern eine, die mit Menschen zusammenhängt, die mit diesem Instrument arbeiten. Und ich glaube, daß dort ein Hoffnungsschimmer in zwei Dingen besteht: Einmal durch die fortschreitende Technologie und durch die Erkenntnisse der Organisation, die wir daraus ableiten. Beide helfen erheblich, den Computer nicht nur räumlich näher an den Arbeitsplatz, sondern auch menschlich näherzubringen.

Hopf: Was hier angedeutet wird hat Hintergrund, das wissen wir ja alle. Man kann sich natürlich fragen wie kommt es dazu, und da möchte ich nochmals auf die Bemerkung von Prof. Timmermann hinweisen. Im Grunde genommen ist es nicht anders: Der Anwender weiß nicht, was er denn überhaupt fragen soll. Oder etwas differenzierter gesagt, da werden Anlagen hingestellt, die hardware-technische Dinge können, die man softwaretechnisch überhaupt noch nicht realisiert hat. Und in der Softwaretechnik sind wir soweit, daß wir noch nicht wissen, was wir alles für Probleme damit erschlagen können. Es ist ja tatsächlich das Problem, daß eine sehr starke Diskrepanz zwischen diesen drei Dingen Hardware, Software und Anwendung besteht, und daß dabei nebenbei - vielleicht gestützt durch eine besonders aktive Vertriebspolitik mancher Häuser - dieser Eindruck entsteht, man wolle den Anwender nur melken.

Schöltzel: Die Frage "Computer als Generator von Arbeitslosigkeit" muß man sehr wohl differenziert betrachten. Zum einen macht die Einführung eines Computers oftmals Strukturschwächen, die zwar tatsächlich vorhanden, aber sonst gar nicht erkennbar sind, erstmals in aller Deutlichkeit sichtbar. Und in den meisten Fällen in denen ich daran beteiligt war, einen Computer einzuführen, wurden nicht etwa Leute freigesetzt, sondern Anzeigen aufgegeben: "Experten gesucht".

Schöltzel: Lassen Sie mich ganz kurz auf diese Ankündigung von neuen Großrechnern und das Argument "Jetzt endlich können wir diese Preissenkungen weitergeben an den Anwender" eingehen. Das ist sicherlich ein Trend der momentan sehr deutlich ist. Bisher war dieser nicht zu erkennen, weil gar keine Notwendigkeit bestand, so etwas zu tun. Aber Sie sehen das ganz deutlich im Bereich der Minicomputer. Dort haben wir seit Jahren einen Preisverfall von mindestens 30 Prozent pro Jahr für die gleiche Computerleistung. Im Großrechnerbereich war das noch nie zu sehen Jetzt kommt der Punkt, wo sich auch im Großrechnerbereich dieser Trend unweigerlich mal auswirken muß. Nicht nur wegen der Konkurrenz neuer Firmen im Großcomputerbereich, auch wegen der Konkurrenz der Minicomputer im funktionalen Bereich.

Panzer: Ich meine doch, daß wir eine Strukturwandlung haben. Nicht von der Maschine her, sondern von der Organisation her. Witzigerweise ist das Prinzip der Arbeitsteilung, das uns bisher weitergebracht hatte, bei Computern nicht gegeben: Weil ein Universalcomputer alles macht, nämlich für DM -, 50 die Coca Cola bucht und für Millionen die Planung. Mir scheint daß hier in der Tat eine Strukturwandlung von der gesamten Informationsdatenverarbeitung auftritt und daß es möglich wird, weil neue Technologien wirtschaftlich einsetzbar sind und diese Organisation erst ermöglichen.

Hopf: Wer sagt denn, daß wir vor 10 Jahren nicht die Werkzeuge gehabt hätten? Wir hatten sie doch, nur sie waren eben viel zu teuer. Heute ist man in der Lage, wirtschaftliche Lösungen zu konstruieren und da kann ich Herrn Panzer nur unterstützen: Insofern ergibt sich ein Strukturwandel aus organisatorischer Art.

Schröder: Die Werkzeuge, die man hier in der Bundesrepublik hat, sind z. T. skandalös teuer. Hier ein Beispiel: Eine Telegrafenleitung zwischen Montreal und Seattle kostet exakt so viel, wie eine gemietete Leitung zwischen Hamburg und Hannover. Ein Großteil der Riesenprojekte in diesem Lande hat bisher nicht verwirklicht werden können, weil aus irgendeinem Grunde die Bundespost die Schleusen bisher nicht zu öffnen bereit war.

Panzer: Ich möchte auch auf diesen Fetisch der maschinellen Integration eingehen: In den meisten Fällen brauchen wir keine Universalcomputer - allenfalls Datenbankcomputer oder Integrationscomputer. Fast alle Firmen und Anwender haben die Probleme in der menschlichen Integration, in der organisatorischen. Wenn wir dort die Einheiten überschaubar halten (überschaubar von den Kosten und von der Hantierung), dann kommen wir zu dem, was wir wirklich wollen: Reibungsverluste wegzukriegen. Das sollte unser Ziel sein.

Donner: Ich bin Computer-Laie. Ich höre hier immer Strukturwandel im Computerbereich, also für die Hersteller der Computer, für die Betreiber. Es ist doch nicht möglich für einen Menschen, der mit der Problematik vertraut ist, daß er den Computer wegdenkt. Die Volkswirtschaft und die Weltwirtschaft muß doch in der heutigen Phase durch Strukturwandel - der wirklich schnell vorangeht - beeinflußt werden. Das kann man doch nur, indem man elektronisch Daten erfaßt und verarbeitet, um frühzeitig agieren zu können. Die Meinung, wenn man Arbeitsplätze wegrationalisiert, ist doch eigentlich ohne wichtigen Hintergrund: Wenn man nämlich genausoviel produziert mit weniger Arbeitskräften, dann kann man ja auch mit weniger Arbeitskrafteinsatz das gleiche Produkt für die Volkswirtschaft, für die Weltwirtschaft erarbeiten - und das ist doch kein negativer Faktor

Tremmel: Die CW hat die Frage gestellt, ist das nur Marketing? Ich bin sicher, wir sind einer Meinung, daß Marketing in unserer westlichen Welt wenigstens mit zu den Grundelementen gehört. Es ist eine Notwendigkeit. Damit muß man auch jedem einzelnen Unternehmen zugestehen, daß es ein Marketing betreibt, das es ihm ermöglicht, erfolgreich zu sein. In einem Punkt stimme ich Ihnen zu, daß eben manche Unternehmen zum bestimmten Zeitpunkt eben nicht die Produkte haben, die den Notwendigkeiten des Anwenders oder dem Trend der Zeit entgegenkommen.

Hopf: Vielleicht noch ein kleiner zusätzlicher Tip. Wir sollten uns alle bemühen, die ganze Frage zu entmystifizieren. Es wird in Zukunft in jedem Fall Computer geben, ob nun mit Strukturwandel oder ohne. Das ist vollkommen klar, denn da hängen ja auch eine Menge Arbeitsplätze dran. Es wird auch in Zukunft den typischen EDV-Spezialisten geben. Das ist 100 Prozent sicher. Es wird auch sicherlich in Zukunft den Menschen auf der Straße geben, der mit dem Computer leben muß. Der auch, wie heute schon, seinen Scheck bekommt, der eben unten die Computerschrift drauf hat. Und er wird sich auch an andere Dinge noch gewöhnen.

CW: Man hat Datenverarbeitung eingeführt; um Integration zu erreichen. Man hat "kleine" Systeme großer Hersteller gegen MDT verkauft, und das seit zehn Jahren. Unter dem Schlagwort "Distributed Processing" hat sich ein "Strukturwandel der Datenverarbeitung" vollzogen - heißt es. Was besagt, der Rechner wird zum Werkzeug. Jetzt waren erstmals Großrechnerankündigungen mit Preissenkungen verbunden, was ja der Anwender durch Mehrlauf, Zukauf, Ausbau honorieren soll. Lassen Sie uns hinterfragen: Gibt es den Strukturwandel wirklich, wird er vom Anwender gesehen und akzeptiert, aber ist das Ganze letztlich nur Marketing?

CW: Zwei aktuelle Anlässe: Einmal hat der Club of Rome kürzlich in seinem 5. Jahresbericht resümiert, daß vor übermäßiger Computerisierung zu warnen sei, weil die Speicherung in Datenbanken unwirtschaftlich ist, und weil zum anderen der Computer die Lebensqualität insgesamt herabsetze. Es ist wohl auch der Entrüstungsschrei des Bundeskanzlers noch in Erinnerung, "er könne seine computerausgedruckte Gasrechnung nicht lesen." Die Frage lautet: Wie kann die Industrie derartigen, aus der Allgemeinheit kommenden, nicht gerade durch Sachkenntnis begründeten Argumenten gegenüber vorgehen, um die Rolle des Computers in der Gesellschaft, die Rolle des Computers in der Arbeitswelt verständlicher zu machen?

CW: Die Computer-Industrie ist fraglos zum Erfolg verurteilt, zum Erfolg nämlich, ständig mehr verkaufen, mehr vermieten zu müssen. Intimkenner unterstellen der Branche, man sähe im Kreise der Hersteller den Anwender als eine Kuh, die man melken kann, wobei man sieh eben heute schon der modernsten Melkmaschinen bedient. Man will den Anwender bewußt unmündig halten. Man beteuert zwar, ihn auszubilden, ihn zu unterstützen, aber die Ausbildungswirklichkeit, die Programmierwirklichkeit, sieht anders aus. Der Anwender ist nach wie vor unmündig. Er marschiert auf vorgezeichnetem Wachstumspfad. Technologiefortschritte werden vom Hersteller vorprogrammiert. Erscheinen vor diesem Hintergrund doch Beteuerungen der Industrie, es mit dem Anwender gut zu meinen, fragwürdig?