Forschungsprojekt zur Standardisierung von Dienstleistungen

Mehr Transparenz für den Servicesektor

22.06.2001
MÜNCHEN (jha) - Für Papier, Schrauben und Autoreifen gibt es eindeutige Normen. Das erleichtert den Einkauf und den Vertrieb dieser Produkte. Dem Dienstleistungssektor sind derartige Spezifikationen noch fremd. Um den Servicemarkt transparenter zu machen, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt "Dienstleistungsstandards für globale Märkte".

Der Dienstleistungssektor ist in Deutschland wie in allen Industriestaaten zu einer der tragenden Säule der Wirtschaft geworden. Zwei von drei Erwerbstätigen (66,5 Prozent, oder 24 Millionen Beschäftigte) stehen nach Angaben des statistischen Jahrbuchs 2000 in der Servicebranche in Lohn und Brot. Und auch im produzierenden Gewerbe erbringen rund 20 Prozent der Mitarbeiter Dienstleistungen. Weltweit entfallen etwa 60 Prozent des Bruttosozialprodukts auf das Geschäfts mit Services. In Deutschland trugen Mitarbeiter dieser Branche im Jahr 1999 rund 68 Prozent zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung bei. Doch damit nicht genug: Mit einer Rate von 3,8 Prozent wächst der Servicesektor überdurchschnittlich (Gesamtwachstum 1999: 1,4 Prozent, Quelle: Statistisches Bundesamt, 2000), die Bedeutung dieses Wirtschaftzweiges nimmt also weiterhin zu.

Das sind stolze Zahlen, allein beim Außenhandel hapert es. Nur 12,5 Prozent beträgt der Anteil der Services am Exportvolumen der deutschen Wirtschaft (141 Milliarden Mark). Eingeführt wurden dagegen Dienstleistungen im Wert von 227,49 Milliarden Mark (20,9 Prozent des gesamten Imports). Angesichts des sehr hohen Anteils am gesamten Bruttosozialprodukt sind das eher bescheidene Werte. Den Grund dafür formulierte das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) folgendermaßen: "Dieses Defizit beruht auf der einen Seite auf unzureichenden Rahmenbedingungen wie Markteintrittsbarrieren, Handelshemmnissen oder rechtlichen Beschränkungen. Ein wesentlicher Grund wird aber auch in fehlenden oder unzureichenden Branchenstandards beziehungsweise Normen gesehen, die es ermöglichen, Dienstleistungen wie Sachgüter zu exportieren und zu handeln."

Stärkung der DienstleistungsindustrieDem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ist dies ein Dorn im Auge. Es stellte für das Forschungsprojekt "Dienstleistungsstandards für globale Märkte" bis zum Jahr 2004 eine Summe von vier Millionen Mark zur Verfügung. Insgesamt sechs Projektpartner konzentrieren sich unter anderem auf die Themen Infrastruktur- und öffentliche Dienstleistungen, Weiterbildung, Sozialpartner sowie E-Commerce beziehungsweise E-Procurement (http://www.dienstleistungs-standards.de/).

Die Partner verfolgen allerdings nicht vornehmlich das Ziel, die Ex- oder Importquote von Services zu erhöhen, sondern wollen den Markt transparenter gestalten und vor allem den elektronischen Einkauf von Dienstleistungen fördern. Offiziell liest sich das folgendermaßen: "Das Projekt strebt die nachhaltige Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Dienstleistungsindustrie durch eine breite Beteiligung an nationale und internationale Standardisierungsprozesse an. Dies erfordert vor allem die Sensibilisierung und Gewinnung aller relevanten Akteure für Standardisierungsprojekte sowie die Definition und technisch-inhaltliche Unterstützung einer deutschen Position für die internationale Standardisierung."

Als Paradebeispiel zitieren die Projektpartner immer wieder die Gebäudereinigung. Hier lassen sich klare Definitionen treffen, welche die damit verbundenen Dienstleistungen recht gut beschreiben. Wie viele Quadratmeter sollen gesäubert werden? Handelt es sich dabei um Büro- oder Wirtschaftsräume? Wie oft soll die Dienstleistung erfolgen? Wenn sich hier alle relevanten Kriterien zusammentragen, kategorisieren und in ein Beschreibungsformular einbinden ließen, wäre bereits ein Standard geboren. Folglich stünde auch dem automatischen Einkauf über Web-basierende Marktplätze nichts im Wege, denn jeder angebotene oder nachgefragte Gebäudereinigungsservice ließe sich durch eine Abfrage- oder Eingabemaske klar beschreiben. Die Einkäufer könnten die von ihnen gesuchten Angebote schneller finden, die unterschiedlichen Offerten wären vergleichbar, das gesamte Auswahlprozedere ließe sich verkürzen.

Anhand der Gebäudereinigung lässt sich das Ziel des Forschungsprojekts zwar gut erläutern, dem komplexen Thema der Standardisierung wird das Beispiel allerdings nicht gerecht: "Services, die an einem Objekt erbracht werden, lassen sich relativ gut spezifizieren. Grundsätzliche Merkmale einer Dienstleistung sind die Immaterialität, die Gleichzeitigkeit der Erbringung und Nutzung eines Services sowie die Beteiligung des Kunden und dessen subjektive Wahrnehmung. Diese Abgrenzung zu materiellen Produkten verdeutlicht die Schwierigkeit einer eindeutigen Definition von Dienstleistung in fast allen Bereichen", erläutert Inka Mörschel, Projektleiterin des Forschungsprojekts beim Fraunhofer-Institut. Die Stuttgarter Einrichtung hat sich als Projektpartner dem Thema E-Commerce und E-Procurement verschrieben und möchte im Rahmen des Vorhabens IT-Dienstleistungen standardisieren.

Allerdings warnt Mörschel vor zu hoch gesteckten Erwartungen: "Eine komplexe Leistung wie die Unternehmensberatung lässt wohl kaum standardisieren. Es stellt sich auch immer die Frage, inwiefern eine Standardisierung sinnvoll und noch wirtschaftlich erscheint. Denkbar ist allenfalls, einen solchen Service in verschiedene Module zu zerlegen, die wiederum gut beschrieben werden können", erklärt die Projektleiterin. Christian Schwengels, Mitarbeiter beim Fraunhofer IAO, ergänzt: "Je komplexer die Serviceaufgaben, desto schwieriger wird die Spezifikation. Irgendwo muss man sicher eine Grenze ziehen, weil der Aufwand zu groß wird." Beispiele für relativ einfach zu beschreibende IT-Services wären etwa die Neueinrichtung eines PCs oder die Gestaltung einer Homepage.

Erste Arbeitsgruppen sind aktivDerzeit beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe aus Einkaufsleitern noch damit, Vorschläge für Felder eines Formulars zu definieren, das die grundsätzlichen Eigenschaften einer Dienstleistung beschreibt. Diese Vereinbarungen sollen in Zukunft die Basis für den elektronischen Einkauf von Services bilden. Beispiele dieser ersten Spezifikationsrunde sind der Ort, der Zeitraum eine IT-Projekts, die Zahl der benötigten Servicemitarbeiter, der Umfang eines Vorhabens und Angaben darüber, welche Gesetze oder Verordnungen berücksichtigt werden müssen.

Das wäre ein erster Schritt, ein wenig Struktur in den vielschichtigen Dienstleistungssektor zu bringen. Denn alle Einkaufsleiter treibt das Problem um, dass die Auswahl von Anbietern ein aufwändiger und zeitraubender Prozess ist. Zwar gibt es heute schon Marktplätze, über die sich Fremdleistungen einkaufen lassen, allerdings kranken die Angebote an zwei Problemen: Zum einen haben viele Unternehmen einen eigenen Marktplatz erstellt, über den die Lieferanten ihre Angebote einreichen können. Da es aber kein einheitliches Format für diesen elektronischen Handelsplatz gibt, stehen die Anbieter vor dem Problem, eine Vielzahl von Schnittstellen zu unterhalten.

Zum zweiten ist die Leistungsbeschreibung in der Regel in Fließtext eingebettet. "Wenn etwa ein Unternehmen einen Anbieter sucht, der ihm den Web-Server einrichtet, dann kann es auf einer solchen Seite den entsprechenden Suchbegriff eingeben und erhält vermutlich eine Vielzahl von Meldungen. Ob der gewünschte Dienst sich darunter befindet, ist allerdings fraglich", beschreibt Schwengels das Problem. Denn auch die Fließtexterläuterung birgt Schwierigkeiten, weil es beispielsweise keine einheitliche Terminologie gibt.

Standard zur LieferantenbewertungDa Dienstleistungen immer stark von der Qualifikation der involvierten Mitarbeiter abhängt, strebt das Fraunhofer IAO auch einen Standard zur Lieferantenbewertung an. Auch hier wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die Felder definiert, deren Inhalte Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Anbieter zulässt. Mögliche Kriterien sind etwa die Kompetenz, die ein Anbieter zwingend oder optional einbringen muss, und Angaben zu den Referenten, die er vorweisen kann.

Bei all diesen anstehenden Aufgaben übernimmt die Stuttgarter Forschungseinrichtung allerdings nur koordinierende und moderierende Funktionen, denn "Ziel des Projektes ist es, Standardisierungsaktivitäten zu initiieren", so Projektleiterin Mörschel. Die inhaltliche Spezifikation von IT-Services muss jedoch von den anbietenden Unternehmen und den Einkäufern erbracht werden, "denn die müssen diese Standards schließlich anwenden", erläutert Schwengels. Daher sollen in den nächsten Monaten neue Arbeitsgruppen gebildet werden, in denen das Fraunhofer-Institut den Erfahrungsaustausch moderiert und das eigene Wissen um die Normierungs- und Standardisierungsvorgänge sowie E-Business-Know-how bereitstellt. "Wenn wir etwa zehn Leute finden, die sich an einer solchen Arbeitsgruppe beteiligen würden, könnte man sicher die Klassifizierung von IT-Dienstleistungen vorantreiben", meint Mörschel.

Standard, keine Norm angestrebtErste Ergebnisse im Projekt sollen noch in diesem Jahr vorliegen. Abgeschlossen werden die Arbeiten bis dahin aber keinesfalls sein, dafür ist die Spezifikation von Dienstleistungen ein zu komplexes Thema. Zudem ist gerade die IT-Branche ein schnelllebiger Markt, so dass sich laufend neue Einflüsse und Änderungen ergeben. Daher strebt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angestoßene Projekt auch keine Normierung, sondern eine Standardisierung von Serviceleistungen an. Ersteres ist ein Prozess, zu dem sehr viele unterschiedliche Parteien gehört werden müssen und der sich durchaus über zehn Jahre erstrecken kann. Die Standardisierung hingegen ist schneller durchsetzbar und lässt sich dennoch über das Deutsche Institut für Normung (DIN) fixieren, und zwar im Rahmen von Publicly Available Specifications (PAS). Dahinter verbergen sich technische Regeln und Vereinbarungen, die im weitgehenden Konsens von einer Interessengemeinschaft getroffen und daher schnell verabschiedet werden können.

Die so erarbeiteten Spezifikationen können auch auf europäischer Ebene zur Diskussion gestellt werden. Auch diese Aufgabe obliegt den Projektpartnern, so dass über diesen Weg das Problem der niedrigen Exportquote bei Dienstleistungen gelöst werden könnte. Wenn es tatsächlich zu einer länderübergreifenden Spezifikation von Serviceprodukten käme, ließen sich derartige Angebote auch über nationale Grenze hinweg vertreiben.

Das ProjektAn dem im Frühjahr 2000 initiierten Forschungsprojekt "Dienstleistungsstandards für globale Märkte" sind insgesamt sechs Partner beteiligt: das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN), Berlin, das Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen, das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), Stuttgart, das Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart, die Gesellschaft für Softwaremanagement mbH, Stuttgart, sowie die Kooperationsstelle DGB-Gewerkschaften/Hochschulen, Hamburg. Sie können über einen Zeitraum von vier Jahren über eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereitgestellte Summe von vier Millionen Mark verfügen. Damit sollen Standardisierungspotenziale identifiziert werden, um Standards zu entwickeln, die den Dienstleistungsmarkt transparent und somit vergleichbar machen. Die Projektpartner konzentrieren sich zunächst auf die Themen E-Commerce beziehungsweise E-Procurement, Infrastruktur- und öffentliche Dienstleistungen, Weiterbildung sowie sozialpartnerschaftlicher Regelungsbedarf. Aus einer Spezifikation in diesen Bereichen könnten sich zwei Effekte ergeben. Zum einen ließe sich der Einkauf von Serviceleistungen über Marktplätze automatisieren. Zum zweiten ist eine positive Entwicklung bei der Exportquote möglich. Letzteres setzt allerdings voraus, dass die angestrebten Standards auch europaweit akzeptiert werden - auch dies ist ein Ziel des Projekts.

Abb.1: Mächtiger Dienstleistungssektor

In Deutschland, wie in allen Industrienationen, dominiert das Geschäft mit Dienstleistungen die Wirtschaft. Quelle: Statistisches Jahrbuch 2000

Abb.2: Magere Handelsbilanz

Der internationale Handel mit Services lahmt unter anderem, weil Standards fehlen. Quelle: Statistisches Jahrbuch 2000