Anforderungsprofil und Arbeitsmarktchancen nach der Hochschule:

Mehr Raum für die angewandte Informatik

09.05.1980

HEIDELBERG - Vom 9. bis zum 1 1. April 1980 fand an der Universität Heidelberg eine "Fachtagung zur Ausbildung in Betriebsinformatik" statt, die von der Wissenschaftlichen Kommission Betriebsinformatik in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg ausgerichtet wurde. Intention der Fachtagung war es, durch Aufzeigen von Zielsetzung und Inhalt der Ausbildung zum Betriebsinformatiker eine Standortbestimmung für die wissenschaftlichen Träger vorzunehmen und andererseits im Gespräch mit Persönlichkeiten, die die Arbeitsmarktentwicklung am besten beurteilen können, Erkenntnisse für das zukünftige Anforderungsprofil der Ausbildung zu gewinnen.

Dr. H. Meisel als Präsident des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg vertrat die Arbeitsämter. Vom größten privaten Arbeitgeber der Bundesrepublik erschien H. H. Schlitzberger, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor der Siemens AG. Für Großforschungseinrichtungen und den öffentlichen Bereich war

Dipl.-Kfm. F. Winkelhage, Vorstand der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH, präsent.

Unter den Symbolen der vier klassischen Wissenschaften in der alten Aula der Universität Heidelberg eröffnete Prof. Dr. Rainer Thome, als Organisator und Mitglied der Programmkommission die Fachtagung und begrüßte die zahlreichen aus dem In- und Ausland angereisten Vertreter der Wissenschaft und Praxis. Anschließend begab sich ein Teil

der Tagungsmitglieder zum Wissenschaftlichen Zentrum der IBM, um dort der Vorführung eines Relationalen Datenbanksystems beizuwohnen. Alternativ konnte das Universitätsrechenzentrum besucht werden, wo das dort installierte Datenbanksystem "Ramis" demonstriert wurde.

Exkursionen in die Praxis

Der zweite Tag war gekennzeichnet von einem wissenschaftlichen Programm und der Möglichkeit zur Teilnahme an

Exkursionen zu verschiedenen Unternehmen des öffentlichen und privatwirtschaftlichen Bereichs, was besonders bei den anwesenden Studenten große Resonanz fand.

Im Rahmen des wissenschaftlichen Programms wurden zunächst Anliegen und Aufgabe der Betriebsinformatik aufgezeigt, die sich als die Wissenschaft von der Anwendung der maschinellen Datenverarbeitung in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung beschreiben läßt, und deren Aufgabe es ist, Gestaltung, Funktionsweise, Erstellung, Anwendung und Betreibung rechnergestützter betrieblicher Informationssysteme zu untersuchen und darzustellen. Die Ausbildung

der Hochschule muß an diesem breit gefächerten Aufgabenspektrum orientiert sein. In diesem Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, daß neben der Vermittlung theoretischer Grundlagen das Prinzip des "learning by doing" zu befolgen ist. Da er müssen künftig Computerübungen, Praktika, Fallstudien und Projektgruppenarbeit die Ausbildungsmethode im Bereich der Betriebsinformatik in besonderem Maße prägen.

Arbeitsmarktchancen im Mittelpunkt

Die Forderung nach praxisorientierter Ausbildung wurde unterstützt durch die Ergebnisse einer Fragebogenaktion an bereits im Beruf stehenden Betriebsinformatikern und dem Beitrag eines Absolventen über seine Erfahrungen beim Eintritt in die Berufswelt. Datenverarbeitungsanlagen und Bildschirmarbeitsplätze, die bereits jetzt in der Ausbildung eingesetzt werden und die diesem Postulat entgegenkommen, wurden zur Information vorgeführt.

Höhepunkt der Fachtagung war der dritte Tag. Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch Prof. Dr. A. Laufs, den Rektor der Universität Heidelberg, und den Grußworten von Dr. G. Weng, Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Baden-Württemberg, stand die Darstellung und die Diskussion um die Entwicklung des Anforderungsprofils und die Arbeitsmarktchancen für Hochschulabsolventen mit Betriebs- und Verwaltungsinformatik aus der Sicht verschiedener Funktionsträger im Mittelpunkt.

Für die Arbeitsämter wies Dr. H. Meisel auf die Schwierigkeiten hin, eine exakte Bedarfsprognose an Betriebs- und Wirtschaftsinformatikern über einen längeren Zeitraum abzugeben, da bereits der Wegfall einer Prämisse ein völlig konträres Bild geben kann. Hinzu kommt, daß von diesem Beruf kaum Vergangenheitswerte vorliegen, und die Computertechnologie einer permanenten Wandlung unterzogen ist. Dennoch ist er überzeugt, daß der Betriebs- und Wirtschaftsinformatiker in steigendem Maß auf dem Arbeitsmarkt "nachgefragt" wild.

Betriebsinformatiker als Kontaktperson

Anschließend zeigte H. H. Schlitzberger die Perspektiven für den Betriebsinformatiker aus der Sicht der Privatindustrie auf. Er sieht die Rolle des Betriebs- und Wirtschaftsinformatikers vornehmlich als Kontaktperson, die die Sprache des Ingenieurs und Mathematikers versteht, und auch mit den in der Praxis ausgebildeten Industriekaufleuten "reden" kann. Darüber hinaus muß er über die Fähigkeit verfügen, komplizierte datenverarbeitungstechnische Vorgänge einfach darzustellen, um im Betrieb auch von Mitarbeitern ohne spezielle DV-Kenntnisse verstanden zu werden. Für die nahe Zukunft sieht Schlitzberger für Absolventen besonders gute Chancen bei der Entwicklung entsprechender Softwareprodukte.

Als Fazit kann festgehalten werden, daß unter Berücksichtigung der gegebenen Tätigkeitsfelder und der Ausbildungspraxis in den Hochschulen die Betriebsinformatik den Wirtschaftswissenschaften zugeordnet werden muß. Es geht in den Anwendungsfächern der Informatik darum, im Sinne einer Weiterentwicklung des Anwendungsgebietes die methodischen und technischen Möglichkeiten der Informatik zu adaptieren und damit nutzbar zu machen. Damit ist die Betriebsinformatik auch nicht als reine Geisteswissenschaft von der öffentlichen Hand einzustufen, der nur 4,1 Quadratmeter Raumbedarf pro Student zugestanden wird sondern als Anwendungswissenschaft, die ähnlich wie Naturwissenschaften 16 bis 18 Quadratmeter bedarf, um ihren Ausbildungsanforderungen nachkommen zu können.

*Diplom-Volkswirt Michael Broßmann ist Mitarbeiter von Professor Dr. Rainer Thome (Betriebswirtschaftslehre und angewandte Informatik) vom Alfred Weber-Institut für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg.