Gastkommentar

Mehr Geld für Häftlinge als für Studenten

24.10.1997

Sind die USA ein Vorbild für Asien und Europa? Auf den ersten Blick ja. Das Land ist nicht weit entfernt von der Vollbeschäftigung - die Arbeitslosenrate liegt unter fünf Prozent -, es beherbergt die ertragsstärksten Unternehmen der Welt, und es ist die Heimat der angesehensten Management-Gurus. Die meisten Nobelpreisträger kommen von dort, und es hat die meisten Computer pro Kopf der Bevölkerung. Wirtschaftsexperten werden nicht müde, auf die hohe Innovationsfähigkeit der US-Wirtschaft zu verweisen, und sogar das sonst so kritische Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat kürzlich die Lobeshymne auf das Land gesungen.

Aber schauen wir etwas genauer hin:

- 34 Millionen Amerikaner leben unter der Armutsgrenze;

- 14 Prozent der Bürger werden als psychisch schwer krank eingestuft;

- mehr als 50 Prozent der Ehen gehen in die Brüche;

- zwei Prozent der Männer sind im Gefängnis und

- sieben Prozent stehen unter Bewährungsaufsicht.

Da die Aufklärungsquote der Polizei unter 40 Prozent liegt, folgt daraus, daß jeder fünfte männliche Amerikaner kriminell ist. Es wundert daher nicht, daß mehrere Bundesstaaten mehr Geld für Gefängnisse als für Universitäten ausgeben. Würde man die Häftlinge und die vielen, die ihr Brot außerhalb des regulären Beschäftigungssystems verdienen, statistisch berücksichtigen, dann wäre die Arbeitslosenrate genauso hoch wie in Europa.

Liebe USA-Fans: Bitte überlegt noch einmal, bevor Ihr die amerikanische Wirtschaftsordnung anderen empfehlt.