Mehr Entlassungen als Jobwechsel

10.08.2005
Noch immer kündigen meistens die Firmen. Doch die Relation könnte sich bald wieder verschieben.

Unternehmen wie SAP sind seit jeher stolz auf niedrige Fluktuationsraten. In vielen Unternehmensberatungen war es dagegen auch früher schon selbstverständlich, dass Berater häufiger ihre Koffer packen und sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber machen. Doch solche vertrauten Muster wurden in den letzten Jahren ziemlich durcheinander gewirbelt. Durch den verbreiteten Personalabbau überwogen die Kündigungen seitens der Arbeitgeber.

Hier lesen Sie …

• wie sich die Fluktuationsraten in der IT-Branche europaweit entwickeln;

• in welchen Ländern viele Mitarbeiter freiwillig den Arbeitgeber wechseln;

• welche Rolle Leistungs- beurteilungen spielen.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

*78899: Personalpolitik von SAP und Microsoft;

*72043: Flexible Personal- politik statt Bindung;

*78080: Chancen und Risiken eines Jobwechsels.

Mitarbeiterfluktation im IT-Sektor

Freiwillige Entlassungen Kündigungen Kündigungen insgesamt

Dänemark 3,0 8,1 11,1

Deutschland 6,4 7,3 13,7

Frankreich 4,0 7,2 11,2

Griechenland 10,8 3,5 14,3

Großbritannien 7,6 5,9 13,5

Italien 3,7 4,5 8,2

Niederlande 6,8 11,0 17,8

Österreich 5,5 6,5 12,0

Polen 4,2 6,0 10,2

Schweden 3,5 8,4 11,9

Schweiz 5,6 8,9 14,5

Slowakei 2,6 0,8 3,4

Spanien 2,5 5,9 8,4

Tschechien 5,0 5,0 10,0

Ungarn 6,4 5,3 11,7

Innerhalb der europäischen IT-Industrie variierten 2004 die Kündigungsquoten erheblich. Angaben in Prozent; Quelle: Towers Perrin

2004 verließen 6,4 Prozent der IT-Beschäftigten in Deutschland aus freien Stücken ihren Arbeitgeber, gekündigt wurde dagegen 7,3 Prozent. Allerdings sind diese Angaben mit Vorsicht zu genießen: "Durch den Kündigungsschutz lässt sich die Zahl der Entlassungen nicht genau beziffern", erläutert Martin Hofferberth, Vergütungsexperte von Towers Perrin, die vom Beratungsunternehmen erhobenen Zahlen. Aufhebungsverträge fließen in der Regel auch dann als freiwillige Kündigungen in die Statistik ein, wenn Mitarbeiter sie gegen ihren eigentlichen Willen unterschrieben haben. Die Zahl der De-facto-Entlassungen dürfte also höher liegen als 6,4 Prozent. Mit insgesamt 13,7 Prozent Kündigungen bewegt sich Deutschland jedenfalls am oberen Ende der europäischen Skala.

Die niedrigste Mitarbeiterfluktuationsrate im IT-Bereich weist mit 3,4 Prozent die Slowakei auf; mit 0,8 Prozent fällt hier der Anteil der Kündigungen durch den Arbeitgeber besonders bescheiden aus. In Griechenland und Großbritannien verlassen mehr Mitarbeiter freiwillig ihre Unternehmen, als Kündigungen ausgesprochen werden. Hofferberth interpretiert das als Aufschwungsignale. Auch in den neuen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas sowie in Russland kündigen mehr IT-Angestellte freiwillig. Die meisten Kündigungen gibt es mit 17,8 Prozent in den Niederlanden; elf Prozent sprechen die Arbeitgeber aus. Towers Perrin befragte Manager aus 930 Konzernen und mittelständischen ITK-Unternehmen in Europa. Gegenüber 2003 sind die Fluktuationsraten nahezu stabil geblieben.

Wer neue IT-Mitarbeiter mit Berufserfahrung sucht, muss Überzeugungsarbeit leisten. Selbst wenn die Perspektiven beim jetzigen Arbeitgeber schlecht sind, schrecken Beschäftigte vor einem Wechsel zurück. Viele Unzufriedene bleiben, weil sie fürchten, bei einem neuen Arbeitgeber die Probezeit nicht zu überstehen, wenn dieser sparen wolle.

Auch das Geld spricht oft gegen einen Neubeginn. Hofften viele in der Vergangenheit auf eine kräftige Gehaltserhöhung, wenn sie den Job wechselten, sehen sich viele heute sogar mit einem niedrigeren Angebot konfrontiert. "In den letzten Jahren haben einige IT-Unternehmen ihr Gehaltsgefüge nach unten korrigiert. Das schreckt berufserfahrene Bewerber davor ab, den Job zu wechseln, selbst wenn es in der jetzigen Firma nur wenige Perspektiven gibt", erläutert Sven Kolthof, Partner der Rarecompany AG in Heidelberg. Der Vergütungsexperte Hofferberth kann diesen Trend bestätigen: "Auch Headhunter können längst nicht mehr so viel bieten. Außerdem gibt es nach den schwierigen Jahren am IT-Arbeitsmarkt einen Unsicherheitsfaktor." Wenn das Risiko nicht einmal über das Gehalt verringert werden kann, reduziert sich die Flexibilität noch stärker.

In Jobbörsen und Foren tummeln sich dagegen viele Wechselwillige. Die 2001 gegründete IT-Beratung Syngenio AG beschäftigt an vier Standorten rund 50 Mitarbeiter. Auf vier freie Positionen für unterschiedliche Niederlassungen innerhalb des letzten halben Jahres erhielt der Gründer und Vorstand Michael May kürzlich rund 550 Bewerbungen, die meisten erreichten ihn online. "80 Prozent der eingehenden Bewerbungen konnte ich sofort aussortieren. Vielen Anschreiben fehlte der logische Aufbau, andere hatten unglaublich viele Rechtschreibfehler", wundert sich May über die schlechte Qualität. Selbst wenn die Unterlagen überzeugen, erwarten die Bewerber mehrere Vorstellungs- und Auswahlgespräche. Rund die Hälfte der offenen Positionen kann der Syngenio-Mann über Empfehlungen von Mitarbeitern besetzen.

Mittlerweile haben viele Unternehmen ihre Personalpolitik angepasst. Da sie weniger neue Mitarbeiter einstellen, durchlaufen diese eine intensivere Prüfung, ob sie fachlich und menschlich in das Firmengefüge passen. Selbst ein unbefristeter Arbeitsvertrag garantiert keinen Job auf Lebenszeit. Firmen haben mehr in die Leistungsbeurteilung ihrer Angestellten investiert und verfolgen sehr genau deren Entwicklung. "Leistungsschwache Mitarbeiter stehen stärker unter Beobachtung", weiß der Towers-Perrin-Mann Hofferberth. Auch die Probezeit nutzen Unternehmen heute konsequenter, um sich schneller wieder von Angestellten zu trennen, die den Anforderungen nicht gewachsen sind.

Auch Syngenio nimmt die Mitarbeiterbeurteilung ernst. "Wir sprechen am Anfang des Jahres ausführlich mit unseren Kollegen und legen gemeinsam Ziele und Entwicklungsschritte fest. Offenheit und Transparenz sind uns wichtig, denn niemand sollte mit falschen Versprechungen enttäuscht werden." An das Jahresgespräch schließen sich bis zu drei weitere an; darin geht es um die Selbsteinschätzung des Mitarbeiters, die Beurteilung durch den vorgesetzten Manager und das Entwicklungspotenzial. So weit es möglich ist, wird auch ein Urteil des Kunden zur erbrachten Leistung im Projektalltag eingeholt. "Wir fordern in diesen Gesprächen unsere Mitarbeiter auf, Verbesserungsvorschläge für ihre Arbeitsumgebung zu entwerfen und Wünsche für neue Projekteinsätze zu nennen", erklärt May das Procedere. "Der Mitarbeiter weiß jederzeit, wo er steht, und vereinbart gemeinsam mit dem Personalvorgesetzten weitere Entwicklungsschritte."

Klare Absprachen schaffen Transparenz

Die zielorientierte Arbeitsweise schafft für beide Seiten Transparenz. Das Unternehmen trennte sich in diesem Jahr von zwei erfahrenen Kollegen mit einem Aufhebungsvertrag, da sie die abgesprochenen Ziele nicht erfüllen konnten. "Für die Mitarbeiter ist unsere Personalstrategie transparent. Es gibt keinen Überraschungseffekt. Die betroffenen Kollegen wussten, wie die Meilensteine aussehen, und haben sich rechtzeitig auf die Suche nach einer neuen Stelle gemacht", kommentiert May die Trennungsgespräche.

Viele Indikatoren sprechen für eine sukzessive Erholung am IT-Arbeitsmarkt. Einige prognostizieren in naher Zukunft sogar wieder einen Arbeitskräftemangel in der IT-Branche. Sven Kolthof schätzt die Jobchancen von Young Professionals mit einigen Jahren Berufserfahrung und einer fundierten Ausbildung optimistisch ein: "In den nächsten vier bis fünf Jahren wird der demografische Wandel zu einem starken Engpass im mittleren Management und in der Fachberatung führen. Dies kommt vor allem denen zugute, die gerade die Hochschule verlassen oder über erste Berufserfahrung verfügen."