Konflikte außerhalb des Gerichtssaals lösen

Mediation als Weg aus der Sackgasse

24.10.2003
Sokrates würde sich freuen. Wirtschaftsmediatoren bedienen sich seiner Fragemethode, um Konflikte zu lösen. Hierzulande begeistern sich immer mehr für die Ausbildung zum Mediator, auch wenn Unternehmen erst zögerlich die neutralen Schlichter ins Haus holen.CW-Bericht, Ingrid Weidner

Was wäre, wenn sich die Konfliktparteien des Mautprojekts einen Mediator suchten? Die Vertragsparteien Toll Collect und Verkehrsministerium treffen sich am runden Tisch und versuchen, das Problem gemeinsam mit einem neutralen Dritten zu lösen. Eignet sich das verfahrene Mautprojekt für eine Mediation? Hans Uwe Neuenhahn überlegt kurz und meint: "Das wäre nach den von mir vermuteten Interessen möglich. Immerhin ist es ein komplexer Fall. Für die beteiligten Parteien steht einiges auf dem Spiel", ergänzt der Münchner Rechtsanwalt und Mediator.

Ein mögliches Ziel der Wirtschaftsmediation ist es, Konflikte und Rechtsstreitigkeiten hinter verschlossenen Türen und außerhalb von Gerichten zu lösen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ziehen Streithähne erst einmal vor den Kadi, bleibt meistens nur noch verbrannte Erde zurück. Eine weitere Zusammenarbeit ist danach meistens unmöglich. Hohe Gerichts- und Anwaltkosten tragen auch nicht dazu bei, das Klima zwischen den Kontrahenten zu verbessern.

Offene Kommunikation fördern

Wann wird ein Mediator zu Rate gezogen? Neuenhahn empfiehlt, Mediationen für Streitfälle bereits in Projektverträgen vorzusehen. So lassen sich Auswege finden, die ohne einen neutralen Partner nicht erkannt würden.

Mediationen ähneln sich im Ablauf. Allerdings setzen die Schlichter oft unterschiedliche Schwerpunkte oder beginnen das Verfahren anders. Der Jurist Neuenhahn beispielsweise liest sich vor dem ersten Treffen mit den Parteien in die Vertragsunterlagen, den Schriftverkehr und die Stellungnahmen beider Seiten oder deren Anwälte ein. Die eigentliche Mediation dauert meistens nicht länger als ein bis zwei Tage. "Die rechtlichen Fragen sind nicht immer entscheidend. Im Vordergrund stehen oft die Emotionen", weiß der Jurist aus seiner Erfahrung. Und die versucht der Mediator in den Griff zu bekommen.

Irmtraud Wolf arbeitet als Wirtschaftsmediatorin hauptsächlich für die IT-Branche. Ihre Schwerpunkte sind Veränderungsprozesse im Zuge von Fusionen, Unternehmensnachfolge oder Konsolidierung. Aber auch Konflikte zwischen Abteilungen, Projektteams oder zwischen Dienstleistern und Kunden. "Gleichheit ist oberstes Prinzip. Ich sammle vorab nur wenige Informationen, denn die Unterlagen der jeweiligen Partei sind möglicherweise nicht neutral." Während einer Unternehmensfusion kann es passieren, dass Führungspositionen doppelt besetzt sind. "Das ist ein typischer Konflikt", erzählt die Kölner Mediatorin. Sie klärt mit den Parteien beispielsweise, wie sich jetzt Kompetenzen verändern, was es für einen betroffenen Manager bedeutet, plötzlich weniger Budget oder Mitarbeiter im Team zu haben oder neue Aufgaben zu übernehmen.

Eine Mediation durchläuft unterschiedliche Phasen. Der Schlichter erklärt anfangs den beiden Parteien die Spielregeln. Eine wichtige Voraussetzung ist die Freiwilligkeit. Sind die Kontrahenten mit dem Procedere einverstanden, schließen sie ein Arbeitsbündnis und unterzeichnen einen Mediationsvertrag mit festen Regeln. Dazu gehört etwa die Vereinbarung von Fairness, Vertraulichkeit und Offenheit.

Anschließend stellt jede Seite ihr Verständnis des Konflikts vor, der Mediator fasst das Gesagte nochmals zusammen, fragt nach, hält wichtige Punkte fest. Entscheidend für das Ergebnis ist die dritte Phase. Jetzt kommt es darauf an, die Positionen beider Seiten zu hinterfragen, Interessen zu klären und die Motive hinter dem eigentlichen Streit zu finden. Entscheidend für den Erfolg ist ein umfassendes und differenziertes Interessenprofil. Die Kontrahenten näheren sich schrittweise an, sprechen idealerweise offen über ihre Motive, formulieren die gemeinsamen Interessen und richten den Blick von der Vergangenheit in die Zukunft. In der vierten Phase geht es um Lösungsalternativen. Eine beliebte Methode ist hier die Brainstorming-Technik, die auf kreative Ideenfindung abzielt. "Was sich aus dieser Materialsammlung umsetzen lässt und welche Aspekte sinnvoll sind, entscheiden beide Seiten anschließend", so Ulla Gläßer, die von Berlin aus als Anwältin und Mediatorin arbeitet.

In den Vereinigten Staaten und Großbritannien hat sich die Methode des gütlichen Schlichtens bereits einen festen Platz erobert. Hierzulande wächst das Interesse erst langsam, aber stetig. Zahlreiche Ausbildungsmodelle vom Wochenendkurs bis zum Master-Studium entstehen. Schwerpunkte der Ausbildung und spätere Arbeitsfelder der Mediatoren bieten beispielsweise die Wirtschaft, IT-Branche, Politik, Umweltfragen oder Wissenschaft.

Fundierte Ausbildung nötig

Seit Juli dieses Jahres gehört die Mediation als Schlüsselqualifikation zum Ausbildungskanon von Juristen während ihres Referendariats. Aber auch andere Berufsgruppen lassen sich zum Mediator ausbilden. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder bietet ab dem Sommersemester 2004 zusammen mit dem Institut für Anwaltsrecht an der Humboldt Universität zu Berlin einen Master-Studiengang Mediation an. "Wir wollen praktische und theoretische Ausbildung verbinden", schildert Gläßer, die an der Konzeption des dreisemestrigen Studiengangs mitgearbeitet hat. Momentan sei das Angebot an Mediation zwar noch größer als die Nachfrage, doch das ändere sich gerade.

Die Ausbildung an der Viadrina wird berufsbegleitend in Präsenz- und Fernunterrichtseinheiten angeboten. Die Teilnehmer sollten bereits über Berufs- oder Organisationserfahrung verfügen. "Grundsätzlich eignet sich die Mediation für alle Entscheidungsprozesse. Wunder in puncto Geschwindigkeit sollte allerdings niemand erwarten, denn manche Konflikte brauchen länger, bis es ein Ergebnis gibt", erläutert die Juristin.

Konflikte lösen

Konflikte lösen sich meistens nicht von alleine. Sind die betroffenen Parteien erst einmal zerstritten, drohen oft teure Gerichtsverhandlungen und verbrannte Erde. Mediatoren versprechen, Streitigkeiten ziemlich schnell, kostengünstig und für alle Parteien zufrieden stellend zu lösen. Mediatoren verfügen über ganz unterschiedliche berufliche Vorkenntnisse - vom Juristen bis zum Soziologen reicht das Spektrum. Allerdings sollten sie über eine fundierte Ausbildung verfügen. Mittlerweile bieten einige Hochschule Aufbau- und Master-Studiengänge an, die Interessierte auch berufsbegleitend besuchen können. Mediatoren berechnen je nach Projekt einen Stundensatz zwischen 200 und 500 Euro.