Dietz, PSI und Hasler entwickeln Rohrpost-Ersatz:

Media digitalisiert die Haus-Brieftaube

11.04.1980

Hausbriefe brauchen oft einen ganzen Tag, um von einer Abteilung eines Unternehmens in eine andere zu gelangen - Im gleichen Gebäude. Es scheint, als sei dieser Vorgang der lokalen Nachrichtenverteilung bisher von den Herstellern des Computer- und Kommunikationsbereiches vernachläßigt oder gar übersehen worden. Man hat an Fernschreiber, Fernkopierer sowie an elektronische Text- und Datenübermittlung gedacht, man hat sich der Textbe- und -verarbeitung angenommen, aber die interne Nachrichtenverteilung läuft ab wie eh und je: durch Boten oder - etwas moderner- mit Rohrpostanlagen, die aber auch nicht alle Abteilungen direkt erreichen.

Dietz Computer-Systeme hat zusammen mit dem Berliner Software-Unternehmen PSI und der Schweizer Hasler AG ein "elektronisches Hauspostsystem" mit dem Namen "Media" entwickelt. Vereinfacht erklärt, ist Media ein schnelles Rohrpostsystem, das bis zu 400 Schreibmaschinenseiten in der Sekunde befördern kann und dabei jeden Teilnehmer direkt erreicht Es sind allerdings keine Briefbögen, die das System transportiert, sondern digitale Informationen, die zu Nachrichtenpaketen zusammengefaßt sind. Jedes Paket trägt eine Adresse. Wenn es zu der Station kommt, für die es bestimmt ist, wird das Paket aus der "Rohrpostleitung " ausgeschleust und dem betreffenden Empfänger zugestellt. Dieser kann nun den Inhalt des Paketes (in Wirklichkeit sind es viele "Päckchen") auf einem Bildschirm betrachten oder von einem Drucker ausgeben lassen.

Jeder Teilnehmer an der elektronischen Hauspost kann Nachrichten empfangen oder versenden, er kann aber über das gleiche Verteilsystem auch telefonieren, wenn ihm diese Informationsübertragung günstiger erscheint.

Was sich in der kurzen Beschreibung so einfach liest, ist in Wirklichkeit ein äußerst komplexes System, das erst durch moderne Minicomputer und eine fortschrittliche Übertragungstechnik möglich wurde. Wichtigstes Merkmal von Media ist die modulare, dezentralisierte Konzeption.

Media enthält drei Komponenten:

1. Das eigentliche Nachrichtentransportsystem mit allen Datenübertragungseinrichtungen (DCE).

2. Die prozessorgesteuerten Eingangskanäle für externe Nachrichtenquellen und lokale Teilnehmereinrichtungen. Als Teilnehmer kommen die an den Arbeitsplätzen über Terminalprozessoren angeschlossenen Datenendgeräte wie Bildschirmterminals und Drucker sowie Archivsysteme, Überwachungssysteme und Operatorsysteme in Betracht. Operatorsysteme lassen sich an beliebigen Stellen des Transportsystems einfügen; sie übernehmen globale Funktionen wie Systemsteuerung oder Langzeitarchivierung von Daten.

3. Die Integration der Komponenten 1 und 2 zu einem leistungsfähigen lokale Transportsystem. Sie erfolgt durch die Software. Mit ihr wird das gesamte Nachrichtenverteilsystem, das bis dahin ein neutrales Gebilde war, für die gegebene Aufgabenstellung dediziert.

Das Nachrichtentransportsystem Silk ist der Beitrag der Hasler AG zu Media. Es handelt sich um ein ringförmiges digitales Bussystem, auf dem die Informationen im Zeitmultiplexbetrieb übertragen werden. Technisch ist die Ringleitung als Koaxialkabel ausgeführt. Die maximale Übertragungsrate beträgt 16 Megabit pro Sekunde, das entspricht einer realen Nutzleistung von etwa 400 DIN A4-Seiten in der Sekunde. Das System ist so ausgelegt, daß mehrere hundert Teilnehmer mit einer sehr kurzen Reaktionszeit bedient werden können. Die Nachrichten sind in Paketen zu 32 bis 128 Bits zusammengefaßt.

Der Anschluß der Teilnehmer an den Ringbus erfolgt über Lokalblöcke, die über die notwendige Elektronik zum Senden und Empfangen sowie zum Verstärken der Signale verfügen. Die Lokalblöcke sind untereinander durch Koaxialkabel verbunden. Durch eine sogenannte Verzopfung erreicht man eine hohe Betriebssicherheit. Dazu werden beispielsweise aufeinanderfolgende Blöcke A, B. C einmal direkt mit einer Primärringleitung verbunden (eine Leitung von A nach B eine weitere von B nach C). Zur Sicherheit führt noch eine Sekundärringleitung direkt nach C, so daß bei Ausfall des Blocks B der Busbetrieb nicht 8 unterbrochen wird. Diese Auslegung, die sich durch den gesamten Bus fortsetzt, hat noch weitere Vorteile: Ohne den Betrieb zu unterbrechen, können defekte Blöcke ausgewechselt oder repariert werden, neue lassen sich ebenso problemlos einfügen.

Die Überwachung der Leitungen und Anschlußblöcke erfolgt durch zwei Hauptblöcke (einer als Reserve). Der Hauptblock selektiert nichtempfangene oder fehlerhafte Informationen sowie Fehlermeldungen der Lokalblöcke. Er steuert auch die Zopfumschaltung.

Bis zu sieben Teilnehmer (Terminalrechner) lassen sich über eine Datenübertragungseinrichtung an einen Lokalblock anschließen. Die Schnittstelle entspricht X.21.

Alle in Media verwendeten Prozessoren sind vom Typ Dietz 621. Sie können je nach Aufgabenstellung mit zusätzlichen Speichern oder Druckern ausgerüstet werden. An einen Terminalprozessor lassen sich über V.24-Schnittstellen bis zu sechs Datenendgeräte anschließen. also beispielsweise drei Arbeitsplätze mit Bildschirm und Drucker oder auch Faksimile-Einrichtungen oder Videotext-Terminals. Folgende Funktionen sind an einem dezentralen Arbeitsplatz möglich:

- Empfangen und Versenden vor Nachrichten "

- Eingeben und Modifizieren von Texten

- Ausgeben und Anzeigen von Meldungen

- Auswählen beliebiger Kommunikationsteilnehmer

Media verarbeitet und verwaltet drei Klassen von Nachrichten:

1. Interne Nachrichten, die im Haus erzeugt und über das Transportsystem in Archive geleitet werden. Von dort können sie dann von den einzelnen Teilnehmern bei Bedarf wieder abgerufen werden. Die Archivsysteme bestehen aus Speichern und Prozessoren, die die Organisation und Sicherung der Nachrichten übernehmen. Um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten, werden mehrere dieser Archivsysteme mit den entsprechenden Speichern von einem Überwachungssystem kontrolliert. Im Störungsfall übernimmt dieses Überwachungssystem die entsprechende Funktion, so daß die Anwenderfunktion weiter ablaufen kann.

2. Mitteilungen, die als normale oder prioritätsgesteuerte Kurztelegramme einzelne Teilnehmer oder ganze Gruppen ansprechen. Läßt sich ein Teilnehmer nicht erreichen, so erfolgen Wiederholungen, Rückmeldungen und entsprechende Vermerke im Betriebsprotokoll.

3. Nachrichten, die von außerhalb des lokalen Netzes liegenden Datenquellen kommen. Diese Quellen werden wie Datenendeinrichtungen behandelt. Die externen Nachrichten werden von den prozessorgesteuerten Eingangskanälen, die ebenfalls an den Ringbus angeschlossen sind, überprüft, in X.21-Pakete umgewandelt und in Speichern abgelegt. Von dort können sie dann von den Media Teilnehmern abgerufen werden. Auch hier steht aus Sicherheitsgründen für mehrere Eingangskanäle ein Überwachungssystem zur Verfügung.

Das ringförmige Nachrichtenverteilsystem und die Wahlmöglichkeit bei der Arbeitsplatzgestaltung geben Media große Flexibilität. Die verschiedenen Benutzerfunktionen werden dem System durch Programme eingeprägt. Diese Software ist ein Beitrag von PSI zu Media.

Die Integration zum System

Die Beschreibung der Systemkomponenten und die Zuweisung von Programmen werden vom Operatorsystem aus durchgeführt. Alle von den Bearbeitungsprogrammen benötigten Parameter werden mit Definitionsprogrammen generiert. Es gibt Programme für die Format-, Masken-, Betriebsprotokoll-, Schnittstellen- und Dateidefinition. Das Programm für die Teilnehmerdefinition ordnet einem Teilnehmernamen Parameter in Abhängigkeit von den zu benutzenden Geräten und Dateien zu.

Vom Operatorsystem aus können Teilnehmer oder Prozessoren gesperrt oder

freigegeben werden. Gleichzeitig lassen sich Datenbestände kopieren und Archive reorganisieren. Alle Operatoreingriffe werden durch die Betriebsprotokollfunktionen dokumentiert .

Der Sicherheit des Gesamtsystems dient eine Testeinrichtung, die als Softwaresystem ausgeführt ist. Sie kann aktiviert werden, ohne das Betriebsgeschehen zu beeinflussen. Die Hauptfunktionen der Testeinrichtung sind neben der Fehleranalyse von Hard- und Softwarebausteinen eine automatische Funktionsprüfung und die Beobachtung des dynamischen Systemverhaltens.

Darüber hinaus verfügt Media über eine zyklische Systemüberwachung, mit der alle angeschlossenen Teilnehmer und Prozessoren auf ihren Funktionszustand hin abgefragt werden.

Erster Anwender: Deutsche Welle

Media ist kein Papiertiger Bereits Ende 1981 wird bei der Deutschen Welle in Köln mit dem Aufbau einer Nachrichtenverteilanlage, die auf diesem Prinzip basiert, begonnen werden. Man will damit die ständig wachsende Nachrichtenflut aus den verschiedenen Agenturen besser als bisher bewältigen, denn die Zeitverluste, die heute noch beim Transport der Nachrichten entstehen, gehen zu Lasten der Aktualität. Nur ein dezentrales, über den gesamten Gebäudekomplex verteiltes Kommunikationssystem kann nach Meinung der Verantwortlichen bei der Deutschen Welle einem Redaktionsbetrieb über 24 Stunden optimal gerecht werden. Ausschlaggebend für die Wahl des Systems war die flexible Konzeption, die die Voraussetzung bietet, auch künftigen, heute noch nicht genau absehbaren Anforderungen gerecht zu werden. Eine weitere Bedingung war die hohe Zuverlässigkeit der Einrichtung. Wegen der zukunftsweisenden Lösung wird das Projekt beim Anwender vom Bundesministerium für Forschung und Technologie, BMFT, finanziell unterstützt.

Insgesamt werden 72 Computer Dietz 621 bei der Deutschen Welle an den Nachrichtenbus angeschlossen. Die von mehr als 10 Nachrichtenagenturen eintreffenden Meldungen werden von Agenturrechnern (Eingangskanäle) empfangen, formatiert (in Nachrichtenpakete aufgeteilt) und in einem Speicher abgelegt, der in der Größe so gewählt wurde, daß die Meldungen von 72 Stunden gespeichert werden können. Für jede Agentur steht ein Eingangskanal zur Verfügung. Aus Sicherheitsgründen ist bis zu vier Agenturrechnern jeweils ein Überwachungsrechner zugewiesen.

Die in den Agenturrechnern gespeicherten Nachrichten können von den Redakteuren über interaktive Arbeitsplätze angefordert, "durchgeblättert", selektiert und auf Wunsch über den Arbeitsplatzdrucker ausgegeben werden. Die Redaktionsarbeitsplätze verfügen in der Regel über Bildschirmgeräte und Drucker. Die Bildschirme lassen sich für die Ein- und Ausgabe von Nachrichten, für das Redigieren von Texten und für die Ausgabe von Kurzmitteilungen im laufenden Betrieb verwenden. Der 2000 Zeichen-Schirm ist dazu in drei Bereiche aufgeteilt: Editierbereich, Meldungen senden und empfangen sowie Kurztelegramme.

Wenn die Redakteure ihre Nachrichten fertiggestellt haben, können sie diese über den Nachrichtenbus an andere Teilnehmer verschicken oder sie in Nachrichtenrechnern (Archiven) ablegen. Von dort können sie für beliebige Zwecke abgerufen werden. Auch die Archive sind durch Überwachungssysteme gesichert. Die Datenhaltung wird nach zeitlichen Kriterien vorgenommen: Nachrichten mit hoher Aktualität werden in einem schnellen Halbleiterspeicher geführt und parallel dazu in Langzeitarchiven auf Plattenspeichern festgehalten.

Für globale Steuerungs- und Überwachungsaufgaben, die im Normalbetrieb jedoch nicht anfallen, stehen in diesem Anwendungsfall ein Journal- und ein Operatorrechner zur Verfügung. Beide sind baugleich und besitzen identische Programmsysteme. Die beiden Rechner kontrollieren sich gegenseitig und übernehmen im Bedarfsfall die Aufgaben des anderen. Normalerweise führt der Journalrechner das Langzeitarchiv für alle eingehenden Agenturmeldungen. Vom Operatorsystem aus erfolgt die softwareseitige Konfigurierung des Systems.

Höheres Informationsniveau

Media stellt eine Kapazität zur Verfügung, die es ermöglicht, mehrere hundert Teilnehmer mit Kommunikationsleistung zu versorgen. Durch die schnelle Übertragung von Texten und Nachrichten ergibt sich damit fast zwangsläufig ein höheres Informationsniveau für den einzelnen Benutzer.

Nicht nur Rundfunk- und Fernsehanstalten, Presseagenturen und Verlage können mit Media die interne Nachrichtenverteilung erledigen, das System eignet sich gleichermaßen für Behörden und Institutionen (beispielsweise Krankenhäuser), bei denen die Bewältigung eines hohen Informationsflusses zwischen den einzelnen Abteilungen und Mitarbeitern zum reibungslosen Arbeitsablauf erforderlich ist. Über die einheitliche Schnittstelle lassen sich die jeweils am besten geeigneten Datenendgeräte anschließen

Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung fällt die relativ niedrige Erstinvestition und beim Ausbau der lineare Kostenverlauf des Gesamtsystems im Gegensatz zu Sternnetzen ins Auge. Es sind immer nur die Systemkomponenten zu beschaffen, die auch effektiv benötigt werden.

Kristin Mierzowski ist freie Fachjournalistin.

Informationen: Dietz Computer-Systeme, Solinger Str. 9, 4330 Mülheim/Ruhr, Tel.: 02 08/44 34-t.

PSI Gesellschaft für Prozeßsteuerungs- und Informationssysteme mbH, Katharinenstr. I9/20, 1000 Berlin 31, Tel.: 030/8 92 80 21.

Hasler AG, CH-3000 Bern 14.