In 75 Manntagen 83 Maps, 33 Files, 67 Programme, 19 Prompter und 12 Interfaces entwickelt:

Maxi kommt persönlich zum Endbenutzer

27.11.1981

Als Neil Armstrong 1969 seinen Fuß mit Hilfe von komplexen Computersystemen vorsichtig auf die Mondoberfläche setzen konnte, installierte auch die Armstrong World Industries GmbH in Münster/Westfalen ihren ersten Computer vom Typ IBM 1130. Über die Systeme 300/20/25 und 370/125/138 bis hin zur IBM 4341 wuchs die Mannschaft, die die Software dafür entwickelte, inzwischen von zwei auf elf Personen an.

Trotz dieser rapiden Entwicklung von Personal und Hardware konnten wir unsere zwölf Jahre bestehenden Probleme des permanent zu hohen Auftragsvorlaufs für neue Projekte und der daraus resultierenden Wartezeiten nicht zufriedenstellend lösen. 1600 Cobol-Programme müssen gewartet, überalterte Systeme neuen Erfordernissen angepaßt und ständig sollen neue Probleme "auf Knopfdruck" durch den Computer erledigt werden.

Online-Programme ohne Einweisung

Als verantwortlicher Leiter dieser Sektion der Datenverarbeitung sah ich seit langem die Sackgasse, in die wir uns hineinbewegten. Bei einem Besuch unserer Schwesterfirma in Montreal, Kanada, zu Anfang dieses Jahres machte ich zufällig die Bekannschaft mit dem Ausweg.

Der dortige EDV-Leiter führte mir Online-Programme vor, die er am Wochende im "Heimstudium" mit Mantis entwickelt hatte. Mantis war eine Woche vorher installiert worden; die Einweisung fehlte noch. Von dieser Demonstration war ich so beeindruckt, daß ich nach meiner Rückkehr Mantis als erster Kunde in Deutschland zur Test-Installation bei Cincom in Düsseldorf bestellte.

Die Installation vom Band erfolgte problemlos mit einem Zeitaufwand von weniger als einer Stunde. Nach einer eintägigen Benutzerschulung begaben wir uns Schritt für Schritt mit Mantis auf neue Wege der Online-Systementwicklung.

Nach Ablauf des Vier-Wochen-Tests beherrschten wir die Menü-gesteuerten Funktionen wie

- Bildschirm-Maskenentwicklung,

- Dateientwicklung,

- Programmentwicklung,

- Prompterentwicklung (Bediener- Handbuch oder Helpfunktion) und

- Testfunktionen recht gut und hatten bereits zu diesem Zeitpunkt nicht nur Programme, sondern einige "Mantis-Standards" und kopierfähige Basisprogramme für weitere Anwendungen erstellt.

Heute, nach rund vier Monaten Mantis-Erfahrung, sind wir sicher, daß wir in anderen Zeitdimensionen denken müssen. Probleme, für die wir früher mit Cobol Manntage oder Mannwochen Entwicklungszeit kalkuliert haben, erledigen wir heute in Stunden oder Tagen.

In Mantis erstellte Anwendungsprogramme müssen nicht compiliert werden. Mantis ist ein Interpretationssystem, das seinen Code sofort in die Ausführung umsetzt. Diese Tatsache machte uns anfangs unsicher, da wir davon ausgingen, daß ein Interpreter die Responsezeiten für die angeschlossenen 22 Terminals drastisch erhöhen könnte.

Mittlerweile sind wir sicher, daß sich das Zeitverhalten unserer Maschine durch Mantis nicht negativ verändert hat. Wir haben uns in der Praxis davon überzeugen lassen, daß Mantis zwar für die Interpretation seiner Statements Zeit braucht, aber durch optimale Datenspeicherung im Computational-Mode mit Gleitkomma-Arithmetik (Darstellung "E"-Notation) alle investierten Zeiten für die Interpretation an dieser Stelle wieder einspart.

Wie Pseudocode

Bei Mantis wurde die Einfachheit der Basic-Sprache zugrundegelegt. Programmierungstechniken und Verarbeitungslogiken aus höheren Programmiersprachen wie Cobol, Fortran und Pascal wurden integriert und nach aktuellen Gesichtspunkten der Strukturierten Programmierung in leicht verständlichem Code zur Verfügung gestellt.

Optisch präsentiert sich Mantis wie ein Pseudocode in eingerückter, übersichtlicher Darstellungsweise. Obwohl der Code wie die Vorstufe für ein Programm aussieht, ist Mantis in dieser Form bereits ohne Abwandlung lauffähig. Mit Mantis lassen sich alle Grundrechenarten in einfacher Art formulieren. Selbst die transzendentale Sparte der Mathematik ist mit Mantis leicht zu lösen. Für Sinus, Cosinus, Logarithmus, Tangens, Wurzelrechnung etc. stellt Mantis Rechenmakros zur Verfügung, die der Benutzer in Formeln unkompliziert aktivieren kann.

Interaktiver Test

Kill, Show, Run, Wait, List sind die Schlüsselworte für den interaktiven Test eines Mantis-Programms. Mit Kill kann vom Execute-Mode zu jeder Zeit der Verarbeitung in den Programming-Mode verzweigt werden. Hier ist der Programmierer in der Lage, sich einen Dateistatus, den Inhalt jedes beliebigen Feldes einer Datei oder des Arbeitsspeichers mit dem Show-Statement anzeigen zu lassen, oder er kann mit List in den Programm-Code Einsicht nehmen.

An der gleichen Stelle kann der Programmierer jetzt Befehle ändern oder ergänzen, das Programm in geänderter Version abspeichern und mit dem Run-Befehl in den Execute-Mode zurückverzweigen. Mit dem Wait-Befehl im Programm-Code kann ein Programm an jeder beliebigen Stelle während der Ausführung angehalten werden. Dadurch ist in der Tat ein schrittweises Austesten von Statement zu Statement und von Modul zu Modul ohne ein Blatt Papier möglich.

Ein "überaltertes" Kalkulationssystem zur Ermittlung von sogenannten Standardkosten (Herstellungskosten) für Armstrong-Produkte erforderte einen jährlichen Maintenance-Aufwand von 20 bis 40 Manntagen. Diese Zeit mußte zur Einarbeitung von Kalkulations-Schemen für neue Produkte oder für das Ändern von bestehenden Schemen investiert werden.

Mit Hilfe von Mantis wurde das System in 20 Manntagen als Online-Version neu konzipiert, so daß der in Zukunft noch erforderliche Maintenance-Aufwand auf null bis fünf Tage pro Jahr reduziert werden konnte. Man kann sagen, daß das System nun "wartungsfrei" läuft. Der erste echte Lauf dieser Online-Version hat unsere Erwartungen bereits bestätigt und ist bei der Fachabteilung auf ein positives Echo gestoßen.

Insgesamt konnten wir von Juni bis Oktober 1981 in 75 Manntagen 83 Maps, 33 Files, 67 Programme, 19 Prompter und 12 Interfaces entwickeln.

Online-Datenerfassung ist mit Mantis ein wahres . Kinderspiel". Man kann in wenigen Minuten ohne komplizierte Logik ein Bildschirm-Eingabeformat und eine Dateiausgabe definieren. Mit weniger als 20 -simplen Statements ist das notwendige Programm erstellt, das die Daten vom Bildschirm auf den definierten Plattenbereich überträgt.

Move-Befehle sind nicht erforderlich, wenn für Ein- und Ausgabefelder der gleiche symbolische Name benutzt wird. Mantis übernimmt dann automatisch die Datenübertragung. Es bleibt dem Anwender unbenommen, qualifizierte Prüfungen der Dateneingaben mit Konstanten oder anderen Dateien durchzuführen.

Einzelne Komponenten von Software-Tools waren auf dem Markt schon länger käuflich zu erwerben. Mit Mantis aber haben wir ein System gefunden, das nicht von einem Lochkartensystem herkommend "Online-fähig" gemacht wurde; es handelt sich hier vielmehr um ein in allen Komponenten aufeinander abgestimmtes System mit einer deutlich erkennbaren Online-Konzeption.

In Mantis findet man die heute so aktuell gewordenen Begriffe wie "strukturiert" und "modular" verwirklicht. Der Go-To-Befehl muß nicht mehr diskutiert werden; er fehlt im Mantis-Vokabular.

Dank der in den letzten Jahren geschaffenen Hardware-Komponenten wird es den Software-Entwicklern heute möglich, mit Mantis in die Fachabteilungen zu gehen und gemeinsam mit dem Anwender Probleme in der Praxis für die Praxis zu lösen.

Darüber hinaus kann die DV mit einem System wie Mantis die Fachabteilungen an den gemeinsamen Datenbeständen auf dem Hostrechner ab sofort teilhaben lassen. Jetzt kann der Anwender über den Bildschirm seine eigenen Anwendungen erstellen. Die "Insel-Lösung" mit dem Mini-Computer am eigenen Arbeitsplatz ist nicht mehr erforderlich - der Maxi kommt nun persönlich.

*P. Jürgen Arndt ist Leiter der Abteilung Systementwicklung bei der Armstrong World Industries GmbH in Münster/Westfalen, einem multinationalen amerikanischen Konzern, der weltweit Akustikdecken-Systeme, Isoliermaterialien, Zubehörteile für Textilmaschinen, Fußbodenbeläge in Platten und Bahnen, Korktapeten, Teppiche und Möbel herstellt und vertreibt.